Orient im Umbruch. Группа авторов

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Название Orient im Umbruch
Автор произведения Группа авторов
Жанр Историческая литература
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Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954623785



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halbherzig unterstützt, weil es Vorbehalte gegen den „Krieg gegen den Terror“ gab, wie er von der US-Regierung geführt wurde. Schließlich hatten die USA in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts während des afghanischen Widerstandskrieges gegen die Sowjetarmee mit den Mujaheddin-Gruppen in Pakistan ein Netzwerk islamischer Glaubenskämpfer mit aufgebaut, ausgerüstet und finanziert, in dem die al-Qaida verwurzelt war. Im Krieg gegen diese Gruppierung wurde Afghanistan ein erstes Opfer.

      Das Land wird wegen der weitgehend gescheiterten Politik der von den USA dominierten internationalen Gemeinschaft auf Jahre auf ausländische Hilfe angewiesen sein. Unter westlicher Planung wurde ein Sicherheitsapparat von allein mindestens 350.000 Soldaten und Polizisten aufgebaut, den Afghanistan aus eigener Kraft nicht bezahlen kann. Die Unterhaltung von Militär und Polizei erfordert in den kommenden Jahren jeweils vier Milliarden Dollar. Allein dieser Betrag übersteigt den Resthaushalt des Landes. Wie kläglich der zivilgesellschaftliche Ansatz gescheitert ist, wird auch daran deutlich, dass die afghanische Armee von ausländischen Beratern fast ausschließlich auf den Einsatz im Inneren vorbereitet wurde.

      Die künftige Finanzierung dieses Sicherheitsapparates konnten die USA bei den langwierigen Verhandlungen über das Abkommen zur Stationierung ausländischer Truppen nutzen, um sich Privilegien für ihre Armeeangehörigen und die Mitarbeiter ziviler Sicherheitsfirmen zu sichern. Vor allem die Immunität ausländischer Soldaten und Berater sowie die genaue Dauer des Abkommens und die Befugnisse von Spezialeinheiten waren umstritten. Selbst in Kabul stationierte Diplomaten hatten keine Kenntnis von den wichtigen Details bei den monatelangen Verhandlungen. Es blieb auch unklar, ob die USA ein mögliches Abkommen zwischen Afghanistan und der NATO über den weiteren Aufenthalt von Militärberatern und die Fortsetzung von Militärhilfe akzeptieren würden.

      Karzai hatte sich im November 2013 geweigert, das damals ausgehandelte Abkommen zu unterschreiben. Auch wenn der größte Teil der politischen Elite des Landes diesem zustimmte, wollte sich der Präsident durch seine Blockade die Möglichkeit für eine Friedensvereinbarung mit den Oppositionsgruppen erhalten. Karzai nutzte die verbleibenden Monate seiner Amtszeit nicht nur für Verhandlungen mit den Taliban, sondern auch zu Kontakten mit Russland, Indien, China und weiteren Staaten in der Region, um deren Zahlungsbereitschaft zu ergründen, falls sich die westlichen Staaten weigern sollten, den Unterhalt der afghanischen Sicherheitskräfte auch künftig zu subventionieren. Gleichzeitig konnte Karzai mit der Verweigerung seiner Unterschrift auch innenpolitisch an Einfluss gewinnen. Er festigte seine Stellung unter den Paschtunen, die eine weitere Stationierung ausländischer Soldaten ablehnen. Mit der Kritik an den fremden Truppen wegen der hohen Zahl der Zivilopfer vor allem bei nächtlichen Einsätzen oder bei Flugzeug- und Drohnenangriffen sicherte sich der Präsident Zustimmung bei nahezu allen Afghanen. Dabei lenkte er davon ab, dass im Jahre 2013 afghanische Sicherheitskräfte mit 194 nahezu doppelt so viele Zivilisten getötet haben wie die ausländischen Soldaten. Nach Angaben der UNO starben etwa drei Viertel (2.311) der insgesamt 2.959 Menschen durch Angriffe der Regierungsgegner. Ausländische Soldaten töteten mindestens 92 Zivilisten.

      Die Ablehnung der fremden Truppen wuchs auch so schnell, weil wichtige Bereiche der zivilen Hilfen auf die Erfüllung der Bedürfnisse dieser Truppen ausgerichtet waren. Vor allem beim Straßenbau war dies auffällig. Allein hierfür stellten die USA vier Milliarden Dollar bereit. Doch das seit 2002 entstandene Straßennetz ist bereits nach dem Abzug der fremden Truppen zu einem großen Teil wieder verfallen. Mittel für Reparaturen und Instandhaltung fehlen. In Afghanistan haben die Fehlschläge Ausmaße in einer nicht vorstellbaren Dimension: Brücken stürzten ein oder wurden wie viele Straßen nie fertig gebaut, neu errichtete Schulen stehen leer, weil Lehrpersonal fehlt, Krankenhäusern fehlen (nicht lange nach ihrer Einweihung) Medikamente, Finanzhilfen für Ministerien verschwinden in dunklen Kanälen, das Chaos verschlingt vieles mehr. Oft verschlangen die Kosten für die Gehälter und die Sicherheit der ausländischen Spezialisten und ihrer afghanischen Helfer bis zu 90 Prozent der eingesetzten Mittel. Deshalb fehlten dann oft die Mittel für die Verwirklichung von Projekten im Hinterland, fern der Hauptstadt Kabul und den Hauptstädten der Provinzen. Zudem erfolgten Projekte für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen in den ländlichen Regionen meist nur im Umfeld der Stellungen fremder Truppen.

      Dabei wurden die Soldaten aus den NATO-Staaten und internationale zivile Helfer nach dem Sturz der Taliban von der Bevölkerung freundlich aufgenommen. Auch in abgelegenen Landesteilen arbeitende ausländische Helfer waren nicht gefährdet. Erst ab 2004 gab es den Stimmungsumschwung. Seither werden Regierung und Ausländer für gescheiterte Projekte und Unterentwicklung verantwortlich gemacht. Zuerst wurden die Ausländer hinter vorgehaltener Hand beschuldigt, die eigentlich für die Afghanen bestimmten Gelder selbst aufzubrauchen, später kam es zu immer offenerer und direkter Kritik an den Fremden und den afghanischen Beamten und Politikern, die mit ihnen zusammenarbeiteten.

      Bis heute wird Ausländern eine Mitverantwortung an den Fehlplanungen, der Korruption und der Verschwendung von Milliarden von Hilfsgeldern angelastet. Deshalb treten Soldaten und Spezialisten seit Jahren immer seltener in der Öffentlichkeit auf und meiden die Straßen der Orte, in denen sie stationiert sind oder arbeiten. Aus Angst vor Anschlägen aufständischer Gruppen (unterschiedliche Fraktionen der Taliban) und der immer deutlicher werdenden Fremdenfeindlichkeit verlassen Ausländer ihre Unterkünfte kaum noch. Nur selten werden Hilfsprojekte in den rund 40.000 Dörfern des Landes ausgeführt, obwohl in ihnen etwa drei Viertel der 30 Millionen Afghanen leben.

      In diesen vernachlässigten Regionen können die unterschiedlichen Taliban-Gruppen ihre Kämpfer rekrutieren und deren Angriffe gegen die Sicherheitskräfte der Regierung vorbereiten. Die Organisationen bauen dabei auf die traditionellen Wertesysteme und die tiefe Gläubigkeit vor allem der Paschtunen in Süd- und Ostafghanistan, um gegen die Regierung in Kabul zu mobilisieren. Oft entscheiden sich junge Männer auch für die Taliban, weil sie eine bessere und regelmäßigere Bezahlung als einfache Polizisten von der Regierung erhalten, deren Unzufriedenheit so groß ist, weil sie in der Regel schlecht ausgerüstet sind und oft unter unfähigen und korrupten Offizieren leiden.

      Diese Probleme beim Versuch, eine Zivilgesellschaft in Afghanistan mit dem Einsatz von Soldaten aufbauen zu wollen, kommen nicht überraschend. Seit etwa 2.400 Jahren gibt es in dem Land eine „erfolgreiche Tradition“, ausländische Truppen aus dem Land zu vertreiben. Warum die verantwortlichen Politiker der NATO-Staaten dieser Vorgeschichte nicht die notwendige Beachtung schenkten, könnte darin begründet liegen, dass die Afghanistan-Einsätze auch aus innen- sowie bündnispolitischen Erwägungen erfolgten und die Probleme dort schön geredet wurden, statt Konsequenzen aus den zunehmenden Schwierigkeiten zu ziehen.

      Ähnlich verhält es sich bei der Korruption. Diese gibt es in Afghanistan seit alters her – aber in unterschiedlichen Formen. Als Bakschisch dient sie zur Aufbesserung der schlechten Bezahlung und ähnelt einer Spende. Doch bereits beim Polizisten, der bei einem Verkehrsvergehen keine Geldbuße verhängt, sondern vom Verkehrssünder einen US-Dollar fordert und erhält, ist die Grenze überschritten. Statt eine Leistung zu belohnen, wird mit der Zahlung eine Behördenentscheidung verändert oder die Zahlung eines Anteils von überhöhten Leistungen erpresst. Für den Korrumpierten handelt es sich in allen Fällen um die Aufbesserung seines Monatsgehalts, von dem er mit seiner Familie gar nicht leben kann. Nur hat die Korruption in den vergangenen Jahren ein in der Geschichte des Landes beispielloses Ausmaß erreicht und als Entwicklungsblockade gewirkt. Verantwortliche für vom Ausland finanzierte Hilfsprojekte waren gewohnt, Ausgaben für Korruption oder Zahlungen an Miliz-Kommandeure oder Aufständische in ihren Berichten zu verstecken oder unter irreführenden Rubriken zu buchen. Nur wurden damit auf Kosten der Projekte Empfänger gestärkt, die auch künftig als Entwicklungsbremsen agieren, um sich derartige Zahlungen zu sichern. Von afghanischer Seite wurde ebenfalls eine Technik entwickelt, Geldgebern Aufstellungen zu liefern, in denen falsch aufgewendete, verschwundene Mittel oder durch Korruption verloren gegangene Gelder verschleiert werden.

      Dabei hat Afghanistan Voraussetzungen für eine dauerhafte Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Das Land verfügt über genügend Rohstoffvorkommen, um auf Dauer Entwicklungsprojekte finanzieren zu können. Schon die sowjetische Führung träumte davon, den enormen Ausgaben für den Afghanistan-Krieg in den achtziger Jahren durch Billigimporte afghanischer Rohstoffe etwas entgegensetzen