Alpendohle. Swen Ennullat

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Название Alpendohle
Автор произведения Swen Ennullat
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783954620821



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leicht bebender Stimme wandte sich der Professor an Torben: „Mein lieber Freund, ich hoffe, diese kleine Begebenheit bleibt unser beider Geheimnis! Bedauerlicherweise ist es in Deutschland nämlich nicht gestattet, einen Stockdegen zu besitzen.“

      Torben, von der ungewohnten Anstrengung keuchend und noch völlig gefangen von den Ereignissen der letzten Minuten, war der Einwand im Augenblick schlichtweg egal und er winkte ab. „Wenn das Ihre einzige Sorge ist, wird Ihre Bitte gewährt! Aber die Waffe anzuwenden, steht bestimmt noch unter einer höheren Strafe, meinen Sie nicht? – Wie haben Sie es nur geschafft, so schnell zu reagieren, und woher können Sie mit dem Stock, der Waffe oder was auch immer Sie da haben, so gut umgehen?“

      Professor Meinert lächelte. „Sie meinen sicher, wie bekommt ein alter Mann das noch hin? – Zu meiner Zeit existierten keine über Weltfrieden, Gleichberechtigung und regenerative Energiequellen philosophierenden Studentenverbindungen, aber es gab schlagende Burschenschaften. Und ebenso wie der ehemalige Hausherr der Dammsmühle Heinrich Himmler war auch ich aktives Mitglied einer solchen! – Aber genug davon, ich mag zwar gerade äußerlich die Ruhe selbst sein, aber innerlich bin ich so aufgeregt wie vor meiner ersten Hochzeitsnacht!“

      „Erste Hochzeitsnacht?“, fragte Torben.

      „Ja, aber das ist eine andere Geschichte. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich will hier so schnell wie möglich raus. Zum einen, weil ich diesem Gesindel nicht traue, und zum anderen, weil ich zur Beruhigung meiner Nerven dringend einen Schluck Rotwein brauche. Ich schlage vor, wir reduzieren unsere Suche auf das Arbeitszimmer, in dem Reiher damals das Zusammenpacken beobachtet haben will. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass Himmler viel Zeit in der Küche, die wir uns auch noch ansehen wollten, verbracht hat. Reiher hat Ihnen etwas von einem Zugang über den Salon im Ostflügel erzählt. Der Raum müsste dort den Flur entlang zu finden sein. Kommen Sie, mein junger Freund, sputen wir uns!“

      Torben stimmte dem Professor zu und gemeinsam durchquerten sie recht eilig den Flur. Das schnellere Gehen half beiden, sich zu beruhigen und die durch den Stress ausgeschütteten Hormone abzubauen. Langsam gelang es Torben, wieder einen klaren Gedanken zu fassen.

      Plötzlich schlug ihm ein ekelerregender Gestank entgegen. Der Professor, der ebenso die Nase rümpfte, winkte ihn zu einem Zimmer auf der linken Seite. „Offensichtlich haben wir die Toilette unserer drei neuen Freunde gefunden!“, raunte er Torben zu und ging schnell weiter. Torben starrte jedoch noch einen Moment lang völlig ungläubig auf einige alte Zehnliterfarbeimer, die wie der Großteil des Fußbodens mit Kot und wahrscheinlich Urin gefüllt waren. Er kämpfte – während er die Luft anhielt – verzweifelt mit seiner Übelkeit und wandte sich schnellstmöglich ab. Er lief weiter den Korridor entlang, bis er sich halbwegs sicher sein konnte, wieder atmen zu können, ohne sich zu erbrechen. Gierig sog er die frischere Luft ein. Als er kurz darauf wieder zum Professor aufschloss, fragte er: „Was um alles in der Welt war denn das?“

      „Es sieht so aus, als ob sich unsere neuen Freunde hier länger aufgehalten haben. Vielleicht haben sie den ganzen Winter hier verbracht. Ich nehme an, das Schloss verfügt über Kamine, die man noch nutzen kann. Sie haben den Müll verbrannt und es sich dabei gemütlich gemacht. Allerdings mussten sie auf den Luxus von fließendem Wasser verzichten. – Die Vorzüge eines Wasserklosetts lernt man erst schätzen, wenn einem keines zur Verfügung steht. O Gott, ich habe den Gestank immer noch in der Nase. Wir können nur froh sein, dass es noch nicht so warm ist, sonst hätten uns sicherlich die Insekten aufgefressen. Und jetzt lassen sie uns endlich unsere Suche fortsetzen! Ich vermute, dass die zweiflüglige Tür am Ende des Korridors zum Salon führen könnte.“

      Torben zeigte ein zustimmendes Nicken. „Beeilen wir uns! Ich brauche nämlich dringend eine Dusche!“

      Lediglich Gertrud schien der Gestank überhaupt nichts ausgemacht zu haben. Sie drängte augenscheinlich vielmehr danach, in den letzten Raum zurückzukehren, da der Professor sie mehrmals rufen musste.

      Wenige Augenblicke später erreichten sie den Salon der Dammsmühle. Außer der Tür, durch die der Professor und Torben traten, verfügte der Raum jedoch zu Torbens Überraschung über keinerlei Zugänge zu anderen Räumlichkeiten. Das Zimmer war etwa einhundert Quadratmeter groß. Die Wände waren komplett mit einem dunkel gebeizten Holz verkleidet. Die Decke wies aufwendige Stuckelemente auf, die augenscheinlich Jagdszenen zeigten oder gezeigt hatten, denn der Großteil des Putzes hatte im letzten Jahrzehnt der Schwerkraft keinen Widerstand mehr leisten können und lag als Schutt am Boden. Etliche Scheiben der großen Fenster, die von drei Seiten Licht in den Raum ließen, waren wie viele andere im Schloss eingeschlagen. Das dadurch eindringende Regenwasser hatte das Parkett und die Wandverkleidung angegriffen. An vielen Stellen schienen sie brüchig und verfault. Bis auf einen Stapel von Bauholz, der in der Mitte des Raumes gelagert war, damit man sicher sein konnte, dass er trocken blieb, war der Raum leer.

      Torben, den Salon durchschreitend und darauf achtend, nicht irgendwo einzubrechen, sagte laut: „Dies kann nicht der richtige Raum sein. Er ist eine Sackgasse!“

      Als die Reaktion seines Begleiters ausblieb, drehte er sich zu ihm um. „George, haben Sie gehört? Es ist der falsche Salon! Was machen wir nun, schauen wir uns doch noch weiter um?“

      Der Professor, der nur etwa zwei Meter in den Raum getreten war, stand mit dem Rücken zu Torben und blickte auf den oberen Abschluss des Türrahmens, den beide soeben durchschritten hatten. Er sagte: „Multi quarent intrare et non poterunt.“

      „Bitte? Was haben Sie gesagt?“, fragte Torben nach, da er mit der Bemerkung nichts anfangen konnte.

      „Multi quarent intrare et non poterunt“, wiederholte der Professor und zeigte auf den Türrahmen. „Ich kenne diesen Spruch. Die Übersetzung lautet: Viele wollen eintreten und können es nicht!“

      Torben ging zurück und sah, dass das Holz des oberen Rahmens diese Inschrift aufwies. Als er Professor Meinert fragend anblickte, bemerkte er, dass dieser lächelte.

      „Dieser lateinische Satz, mein junger Schüler, weist auf das Recht des Schlossherrn hin, darüber zu entscheiden, wer sein Haus betritt. Eigentlich müsste er über dem Eingangstor des Schlosses stehen.“

      „Wir sind aber schon im Inneren!“, gab Torben zu bedenken.

      „Richtig! Die Frage ist nun, warum wurde er dennoch hier angebracht.“ Der Professor ließ seinen Blick an der Holzverkleidung links und rechts neben der Tür entlangschweifen. Plötzlich hielt er inne, trat einige Schritte nach rechts und ging zielstrebig an die Wand heran. Er dreht sich lächelnd zu Torben um und sagte: „Willkommen im Arbeitszimmer Heinrich Himmlers!“ Er griff in eine Vertiefung in der Holzverkleidung, die Torben bislang nicht bemerkt hatte, und zog ein Teil des Holzes wie ein Portal auf. Dahinter kam eine schwere Holztür zum Vorschein.

      „Wirklich nicht schlecht, George! Seien Sie sich meines größten Respekts gewiss!“, lachte der überraschte Torben.

      „Moment, Moment!“ Um größtmögliche Ernsthaftigkeit bemüht, obwohl er augenscheinlich gern in das Lachen einfallen wollte, griff der Professor die Türklinke und sagte: „Jetzt also der zweite Versuch: Willkommen im Arbeitszimmer Heinrich Himmlers!“

      Die Tür ließ sich völlig mühelos und mit einem leichten Knarren öffnen. Sie gab den Blick auf ein etwa zwanzig Quadratmeter großes, quadratisches und durch zwei Fenster gut erhelltes Zimmer frei. Zu Torbens großer Enttäuschung war es aber bis auf eine dicke Staubschicht, die Boden und Fensterbänke bedeckte, völlig leer. Der Professor, der offenkundig auch mit einer etwas anderen Entdeckung gerechnet hatte, trat noch vor Torben ein und blieb in der Mitte des Raumes stehen.

      Torben, der ihm folgte, fiel es sehr schwer, seine Niedergeschlagenheit zu unterdrücken. „Irgendwie habe ich mir das Arbeitszimmer anders vorgestellt.“

      „Mein lieber junger Freund, ich muss Sie um Verzeihung bitten!“ Der Professor seufzte. „Ich habe mich in meiner Arroganz einen kurzen Moment dazu hinreißen lassen, mir vorzustellen, dass wir die Ersten sein könnten, die dieses Arbeitszimmer gefunden haben. Ich hatte nicht bedacht, dass Rote Armee und Staatssicherheit das Schloss über Jahrzehnte hinweg genutzt