Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich.. Hans-Joachim Grünitz

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Название Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich.
Автор произведения Hans-Joachim Grünitz
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783869351544



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ausgewählte, offensichtlich mit Privilegien ausgestattete Soldaten darin verschwinden. Unterschiede zu machen, war in dieser Kompanie ein gern praktiziertes Mittel um den einen oder anderen hervorzuheben und auf diese Weise Kameraden gegeneinander auszuspielen.

      Zapfenstreich

      Privilegien in größerem Umfang zu genießen, sollte für mich viel später auch wahr werden. Aber noch waren wir in Johanngeorgenstadt und die ersten schlimmsten 14 Wochen ohne Ausgang neigten sich nur ganz langsam dem Ende zu. Nach der Freizeit stand Stuben- und Revierreinigen auf dem Dienstplan. Jeder war für irgend etwas eingeteilt, alles mußte sauber sein bevor der Zapfenstreich folgte. Pünktlich 22.00 Uhr hatten alle in den Betten zu liegen. Die Stubenältesten machten dem UvD noch Meldung: »Stube mit 10 Mann belegt, 9 Mann anwesend, einer im Med-Punkt, Stube gereinigt und gelüftet, zur Nachtruhe bereit.« So oder ähnlich lauteten die einstudierten Meldungen und der eine, der da fehlte und im Medizinischen Punkt oder Lazarett lag, hatte entweder Fieber oder einen Knochen gebrochen, sonst läge er dort nicht.

      Das Licht wurde gelöscht, und es hatte Ruhe zu herrschen. Die konnten wir nach dem ausgefüllten militärischem Tagewerk allerdings gut gebrauchen und alle hofften, daß ja kein Nachtalarm unseren Schlaf jäh beendet. Schlaf war sehr beliebt, war es doch gediente Zeit, von der wir nichts mitbekamen. Wer nicht gleich einschlafen konnte, der kam ins Grübeln. Dachte man doch an zu Haus und seine Angehörigen. Einige von uns waren bereits verheiratet, hatten ein kleines Kind, von dem sie nun anderthalb Jahre nur sehr wenig mitbekamen. Ein Umstand, der sogar den Einsichtigsten zum Fluchen auf die Armee veranlaßte. Und ich habe mich oft gefragt, ob es dafür nicht eine andere Lösung hätte geben können. Schließlich befand man sich nicht im Kriegszustand, wenn es uns auf Grund permanenter ideologischer Einflußnahme auch manchmal so vorkam. Draußen, wenige Meter vor meinem Fenster und doch so weit weg, lief das Leben ab. Auf dem Bett liegend, fiel mein Blick oft auf den »Tourist«, eine Urlaubertanzgaststätte, die fast jeden Abend hell erleuchtet war.

      Der Zeitpunkt der Nachtruhe wurde nur einmal in der Woche befehlsmäßig nach hinten verschoben, nämlich immer Montag wenn im Fernsehen der »Schwarze Kanal« von und mit Karl-Eduard von Schnitzler gesendet wurde. Für uns eine Pflichtveranstaltung, sollten wir doch durch Herrn von Schnitzler in unserer verordneten sozialistischen Ideologie gestärkt werden. Diese Sendung bewirkte bei den meisten Genossen nur ein müdes Lächeln oder lethargisches Danebenhören, denn selbst die treuesten Genossen mußten feststellen, daß der Mann maßlos überzog und in seinen Argumenten der kälteste Krieger aller Zeiten war. Warum der sein »von« noch nicht abgelegt hatte war geradezu verwunderlich. Eine weitere Pflichtsendung flimmerte jeden Abend um 19.30 Uhr auf uns hernieder. Die »Aktuelle Kamera«, eine im Sinne des sozialistischen Zuschauers geprägte Nachrichtensendung. Leider hatten die von Pressefreiheit noch nichts gehört, denn viele Ereignisse fielen einfach unter den Tisch. Gesendet wurde nur, was ins Weltbild paßte. Unvergeßlich sind die tödlich langweiligen Berichte von angeblicher Planerfüllung in den Betrieben, von Erntekapitänen und ihren Helfern bei der Getreideernte und von Kartoffelvollerntemaschinen. Letztere mußten auch als schön langes Wort für Galgenrätsel herhalten, mit denen wir solche Zeiten zu überbrücken versuchten.

      Ein ignoriertes Gespräch

      Der Zeitpunkt der Vereidigung der Truppe rückte immer näher. Eines Tages machte der Zugführer, ein Oberleutnant, Einzelgespräche mit jedem Soldaten. Da wir ja zu Grenzsoldaten ausgebildet werden sollten, wollte er unter anderem wissen, wie wir uns bei einer eventuellen Grenzverletzung verhalten würden. Ob wir Hemmungen hätten, die Schußwaffe anzuwenden. Ich sagte ihm ganz klar, daß ich bei einer direkten Bedrohung meiner Person oder meiner Genossen, also aus Notwehr, Waffen anwenden, sie aber in anderen Fällen niemals benutzen würde. Ich würde nicht auf Flüchtende schießen, wie auf Hasen. Ein eventuelles Todesurteil zu fällen, egal aus welchen Gründen auch immer, fühlte ich mich nicht im Recht. Der Genosse Oberleutnant fand das zwar nicht so toll und meinte, es gäbe ja auch subversive Grenzverletzer, die bei uns eindringen würden. Abschließend gab mir mein Zugführer noch zu verstehen, daß sich meine Meinung im Laufe der Zeit schon noch ändern werde, denn zur ideologischen Bildung habe man ja in den Grenztruppen extra ein halbes Jahr Zeit und damit hatte sich der Fall für ihn erledigt. Probleme wollte der anscheinend nicht haben. Ich auch nicht, also lief vorerst alles ganz normal weiter. Allerdings sollte dieses Gespräch nicht das letzte dieser Art gewesen sein.

      Vereidigt

      Der Tag der Vereidigung, befohlener Höhepunkt im Soldatenleben, war da. Man hatte uns gut vorbereitet. In den letzten Tagen hatten wir nur noch exerziert, das Gelöbnis erläutert und studiert, die Paradeuniformen auf Vordermann gebracht und die Stiefel hochglanzpoliert. Ein solch überragendes Ereignis, das Bekenntnis zu seinem Staat, findet meist in der Öffentlichkeit statt. Das war bei uns auch der Fall. Ein großer Teil der Angehörigen der Soldaten war zu diesem Zweck extra nach Johann­georgenstadt angereist. Das Kasernentor stand ausnahmsweise einmal ganz weit offen, denn es war gleichzeitig Tag der offenen Tür.

      Nach der Vereidigung, bei der wir den heißgeliebten Paradeschritt vorführten und den uns vorgesprochenen Text nachsprachen, hatten nach Auflösung der Formation die meisten von uns Freizeit. Die war das Angenehme an der ganzen Prozedur, konnte doch jetzt erstmalig seit der Einberufung persönlich mit Angehörigen gesprochen werden. Ich hatte allerdings ziemliches Pech. Da ich keinen Besuch empfing und aus eventuell noch anderen Gründen, die festzustellen mir unmöglich waren, aber sicherlich einer Laune des Hauptfeld entsprangen, wurde ich zum Küchendienst eingeteilt. So endete für mich dieser Höhepunkt im Soldatenleben weniger angenehm bei Kartoffeln schälen und Töpfe waschen. Kleiner bescheidener Vorteil: ich durfte so viel Kuchen essen wie ich wollte. Kuchen gab es immer an Sonn- und Feiertagen und natürlich auch am Tag der Vereidigung, pro Mann ein Stück. Unter Umständen wurde dieser Kuchen zur Tauschware, denn nicht alle standen da drauf aber viele eben doch, so wie ich. Nachdem die Angehörigen und alle anderen Neugierigen unseren Bettenbau, die Ordnung in den Spinden sowie die erstklassig gebohnerten Fußböden bewundert hatten, fuhren sie nach Hause.

      Die Freizeit war beendet und der militärische Alltag hatte uns wieder in seinen Klauen. Jetzt allerdings mit strafrechtlich erweiterten Pflichten, die sich aus der Vereidigung ergaben, was uns durch unsere Vorgesetzten nun auch ausdrücklich klargemacht wurde. Ja, es gab kein Zurück! Das hätte es allerdings vorher auch nicht gegeben, denn in Unehren entlassen zu werden, wer wollte das schon ausprobieren.

      Beurlaubt

      Alles lief weiter wie gehabt, in der Hoffnung auf einen baldigen VKU, den verlängerten Kurzurlaub, mit längst fälliger Heimreise. Leider enttäuschte man uns. Wir führten noch tagelang diese und jene hochwichtige militärische Übung durch, wollte unser KC, der Kompaniechef, doch der Beste sein. Die Ausbildungskompanien standen nämlich untereinander in einem »Sozialistisch-Militärischem Wettkampf«. Offenbar Karrieresprungbrett für besonders gute KCs, was uns allerdings völlig egal war. Wir wollten endlich raus! Raus aus dem Kasernenmief, der uns schon weltfremd hatte werden lassen. Und das trotz allabendlich befohlenem Schauen der »Aktuellen Kamera« im Fernsehen!

      Nach 14 Wochen war es dann endlich soweit und man erklärte uns eindringlich, wie wir uns draußen zu benehmen hätten. Die ganze Kompanie fuhr in den VKU nach Hause. Das wurde auch Zeit, der Stumpfsinn hatte sich schon mächtig in unsere Hirne eingenistet. Freuten wir uns jetzt doch über die einfachsten alltäglichen Dinge des zivilen Lebens wie die kleinen Kinder, wußten wir doch, daß dies nur von sehr kurzer Dauer sein würde.

      Kaum raus aus der Kaserne, eilten wir zum Bahnhof. Die meisten hatten eine lange Reise vor sich, denn es war vielfach Methode, den Wohn- und den Dienstort weit voneinander festzulegen. So verbrachten wir also eine nicht unbeträchtliche Zeit unseres spärlichen VKUs auf den Schienen und Bahnhöfen der Deutschen Reichsbahn. Schnelle Zugverbindungen, in denen eventuell der Klassenfeind hätte sitzen können, wie z.B. in den sogenannten Interzonenzügen, waren ohnehin verboten. Ein solcher Westkontakt wäre unserer Armee wegen der bereits weiter oben schon einmal beschriebenen »politisch-ideologischen Diversion des Gegners« nicht gut bekommen! Aber das war uns jetzt auch erstmal egal. Alle wollten vor Abfahrt noch Bier kaufen. Zwei Flaschen reichten, um uns endgültig