Der Hammermord am Hansering. Bernd Kaufholz

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Название Der Hammermord am Hansering
Автор произведения Bernd Kaufholz
Жанр Юриспруденция, право
Серия
Издательство Юриспруденция, право
Год выпуска 0
isbn 9783963115196



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       Tatrekonstruktion: Ein Zeuge sah Christel (dargestellt durch eine Puppe) am 23. September kurz nach 16 Uhr unweit der Schleuse Eicheln sammeln

      12Forstarbeiter Kurt Ander* bestätigt die Aussage seines Chefs. Er ergänzt jedoch, dass er beim Treiben des Rehwilds gegen 17.30 Uhr einen älteren Mann gesehen habe, der einen Handwagen zog, auf dem drei Säcke lagen. Er sei in Richtung Kühnauer See gegangen.

      Eine – wie sich später herausstellt – wichtige Beobachtung hat Walter Söller* gemacht. Am 23. September fuhr er auf seinem Fahrrad mit Anbaumotor, einem sogenannten Hackenwärmer, gegen 15.15 Uhr von seiner Wohnung in Dessau-Ziebigk los. „Ich wollte hinter dem Bruchgraben angeln. Ich fuhr bis zum sogenannten Obelisken am Wall zwischen Dessau und Ziebigk, dann auf dem ‚Schwarzen Weg‘ bis zu den Achterteichen.“ Dort sei er eine knappe halbe Stunde geblieben und habe danach seine Fahrt in Richtung Schleusenbrücke fortgesetzt. „In unmittelbarer Nähe der Schleuse, vielleicht hundert Meter davor, stand an einer Eiche ein Fahrrad. Gleich daneben sammelte ein kleines Mädchen, ich schätze zehn Jahre alt, Eicheln. Das Kind hatte einen Stoffbeutel dabei.“ Diese Beobachtung des Lagermeisters unterstreicht Leutnant Kunte rot.

      „Haben Sie das Kind angesprochen?“, fragt der Kriminalist.

      „Nein. Aber ich habe mir so meine Gedanken gemacht, was ein Kind so allein im Wald macht. Ich war aber mit meinem Fahrrad recht schnell unterwegs.“

      Was der 51-Jährige dann berichtet, ist für Kunte nicht weniger interessant. „Circa drei Meter von der Schleusenbrücke entfernt sah ich am Wegesrand ein Fahrrad liegen. Daneben saß ein älterer Mann aus Dessau, den ich zwar vom Sehen her kenne, aber dessen Namen ich nicht weiß, und rauchte Pfeife“

      Kunte: „Sie sagten, Sie kennen den Mann? Woher?“

      „Er war früher im Angelverein, und ich habe mal mit ihm beim Fischermeister Forster gefischt.“

      „Haben Sie den Mann angesprochen?“

      „Nein, ich fuhr vorbei und sagte dabei nur kurz ‚Guten Tag‘. Er grüßte zurück.“

      „Ist Ihnen etwas aufgefallen? Was hatte der Mann an?“

      13

       Die Wege-Karte, die nach Angaben des Zeugen Walter Söller angefertigt wurde – Punkt 1: der Ort, an dem der Zeuge Christel Eicheln sammeln sah; Punkt 2: an der Schleuse saß gegen 16.15 Uhr ein 60 bis 65 Jahre alter Mann mit blauer Schiffermütze und schwarzgrauer Arbeitsjacke und rauchte Pfeife, links neben dem Weg lag ein Fahrrad

      14Söller kratzt sich die Bartstoppeln unterm Kinn und sagt dann: „Soweit ich mich erinnere, lag auf dem Gepäckträger ein gefüllter Futtersack. An eine blaue Schiffermütze kann ich mich erinnern. Ach ja, er hatte eine schwarzgraue Arbeitsjacke an – und ich glaube eine graue Hose. Aber da bin ich mir nicht ganz sicher. Vom Alter her war er so um die 60, 65 Jahre.“

      „Wann haben Sie den Mann gesehen?“

      „Es muss so gegen 16 Uhr gewesen sein, als ich über die Schleusenbrücke fuhr.“

      Er sei zu den Tümpeln weitergefahren, wo er bis circa 18.30 Uhr geangelt habe. „Bevor ich an meiner Angelstelle war, fiel mir unter den Eichen, die dort stehen, ein Mann auf, der ebenfalls Eicheln sammelte.“

      Kunte: „War das derselbe Mann mit der Schiffermütze?“

      „Nein, der Mann war jünger – höchstens 55 Jahre alt. Ich sagte im Vorbeifahren ‚Guten Abend‘. Aufgefallen ist mir, dass er eine Art Baskenmütze aufhatte. Als ich so um halb sieben genug vom Angeln hatte und wieder losfuhr, sah ich den Mann erneut. Er fuhr mit dem Fahrrad Richtung Schleusenbrücke.“

      Er sei auf der Rückfahrt wieder an den Eichen vorbeigekommen, wo er ein paar Stunden zuvor das Mädchen bemerkt hatte. „Ich habe das Kind nicht wiedergesehen.“

      Es ist 22 Uhr, als der Befragungsmarathon weitergeht. Diesmal sitzt ein Rentner aus Dessau-Kleinkühnau Leutnant Kunte gegenüber, der sich am Vortag ebenfalls in jenem Gebiet aufgehalten hat, in dem Christel verschwand. Friedrich Kramer* wurde als derjenige identifiziert, den Walter Söller an der Schleuse sitzen sah. „Gegen 14.15 Uhr bin ich mit meinem Fahrrad, einem älteren Herrenrad, von zu Hause losgefahren“, beginnt Kramer mit seiner Wegbeschreibung. Er sei nicht über Großkühnau, sondern über Kleinkühnau auf dem Schwarzen Weg, am Lehmtor vorbei, bis zur Elbe unterwegs gewesen. „Dann fuhr ich den Wall entlang, rechts am Obelisken vorbei und kam etwa 500 Meter vom Kornhaus entfernt zur Elbe.“ Er sei dann immer am Fluss entlanggefahren bis zum Hydrierwerk.

      15„Sind Sie auf Ihrem Weg jemandem begegnet?“, fragt Leutnant Kunte.

      „Bis dahin nicht“, so die Antwort des 63-Jährigen.

      Er habe Futter gesucht. Das müsse so gegen 15.30 Uhr gewesen sein, als er weiterfuhr – elbabwärts bis unweit der Schleusenbrücke. Vor der Brücke habe er sich hingesetzt und seine Pfeife angezündet. „Kurz darauf kam ein Mann mit seinem ‚Knatterfahrrad‘ vorbei, den ich vom Angeln her kenne. Nachdem ich geraucht hatte, guckte ich dort noch nach Regenwürmern zum Angeln, fand wegen der Trockenheit aber keine.“

      Anschließend sei er in den Wald gegangen, um Buschbirnen und Eicheln zu sammeln. „Ich habe auch gleich hinter der Schleusenbrücke Birnen gefunden und sie mit nach Hause genommen.“

      Kunte: „Haben Sie dort außer dem Angelbekannten noch jemanden getroffen? Und wann fuhren Sie wieder los?“

      „Getroffen habe ich niemand. Losgefahren bin ich so gegen 16.30 Uhr über die Brücke Richtung Großkühnau. Dabei sah ich in etwa 400 Metern Entfernung einen Radfahrer, der aus dem Gebüsch über die Wiese kam und ebenfalls nach Großkühnau fuhr.“ An der Pappelallee habe er den Mann eingeholt und erkannt: „Es war der Lummer* aus Großkühnau.“ Vor dem Kühnauer See habe er dann noch seinen Schwiegersohn getroffen.

      „Haben Sie bei Ihrer Fahrt ein acht Jahre altes Mädchen gesehen?“, will Kunte wissen.

      Ohne lange nachzudenken, schüttelt der Rentner den Kopf. „Nein, nur diese Personen, die ich genannt habe.“

      Dann will der Vernehmer noch wissen, was Kramer angehabt hat.

      „Eine graue Jacke und Hose und eine blaue Schirmmütze.“

      Wie bei den anderen Zeugen, die zuvor ausgesagt hatten, soll auch bei dem 63-Jährigen die Bekleidung untersucht werden. Doch als die Kriminalisten nach einiger Zeit wieder ins Vernehmungszimmer im Volkspolizeikreisamt Dessau zurückkommen, ist der Rentner verschwunden.

      16„Das ist ja ein Ding!“, entgleisen Kunte die Gesichtszüge. „So etwas hatten wir hier noch nicht, dass ein Zeuge einfach abhaut, ohne dass er offiziell entlassen wurde.“

      Doch Leutnant Müller meint: „Vielleich ist er bloß mal austreten.“

      Die Toiletten werden durchsucht, aber von Kramer keine Spur. Inzwischen ist das halbe VPKA auf den Beinen. Doch der Erfolg der Suche ist gleich null. „Wir geben eine Fahndung raus“, ordnet der Leutnant an.

      Ein paar Stunden später wird der 63-Jährige auch tatsächlich von einer Streife entdeckt. Er ist gerade dabei, sich im Garten einen Strick um den Hals zu legen. Da strahlen ihn plötzlich mehrere Taschenlampen an.

      „Ich war am Grab meiner Frau“, begründet Kramer sein Weglaufen. „Ich habe ihr gesagt, Lieschen, ich habe nichts mit dem Verschwinden der Kleinen zu tun.“ Er habe ihr gesagt, dass er ihr nun „folgen und nachkommen“ werde. „Ich wollte mich umbringen, weil mir meine Nerven durchgegangen sind. Ich habe geglaubt, unschuldig verhaftet zu werden. Diese Schande hätte ich nicht ertragen.“ Als er durch den kleinen Fichtenwald am Exerzierplatz gegangen sei, habe er ein Seil gefunden und sei auf die Idee gekommen, sich zu erhängen. „Ich bin auf einen Baum geklettert und habe mich runterfallen lassen, aber der Strick ist beim ersten Versuch gerissen, und ich lag unten.“