Название | Das Leichenpuzzle von Anhalt |
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Автор произведения | Bernd Kaufholz |
Жанр | Юриспруденция, право |
Серия | |
Издательство | Юриспруденция, право |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783963112850 |
Am 27. Mai glaubt die Kripo eine heiße Spur zu haben. Der neunjährige Uwe Meurer*, der wie Helga auf die Talamt-Schule in der Olariusstraße geht, behauptet, er habe das gesuchte Mädchen am Marktplatz gesehen. Der Direktor der Schule und VP-Meister Rasch gehen gemeinsam mit dem Zweitklässler dorthin, um vor Ort die Angaben des Schülers zu überprüfen. Uwe hatte berichtet, er habe an der Ecke am HO gestanden und Helga mit einem Mann am Roten Turm gesehen. Er will gehört haben, dass der Unbekannte das Mädchen gefragt hat, ob sie mit ihm zum Thälmann-Platz fahren wolle. Beide seien in ein Auto gestiegen, das am Kraftdroschken-Platz gestanden habe. »Das Auto hat da gedreht und ist dann die Leipziger Straße hochgefahren.«
Allerdings stellt der Polizist schnell fest, dass die Angaben Uwes nicht stimmen können. Die Entfernung zwischen HO und Rotem Turm beträgt rund 35 Meter. »Es ist ausgeschlossen«, so Rasch in seiner Aktennotiz, »dass der Junge auf diese Entfernung etwas von dem Gespräch verstanden hat. Weiterhin wird ein Auto nicht an dieser belebten Straße drehen und verkehrswidrig um den Marktplatz die Einbahnstraße – Klement-Gottwald-Straße – hochfahren.«
Trotzdem wird der 9-Jährige noch einmal gründlich befragt. Er kenne die vermisste Helga, sagt er. »Meine Mutti ist Angestellte, die von Helga ist Reinemachefrau. Ich habe schon mit Helga gespielt. Jetzt spielt sie aber mit einem anderen Jungen.« Dann wiederholt er seine Angaben, die er im Zusammenhang mit dem Mädchen gemacht hat. Das Mädchen habe einen lila-dunklen Rock getragen und eine Bluse, die hell, fast weiß war. Schuhe und Strümpfe habe sie ebenfalls angehabt. »Der Mann hatte einen dunkelbraunen Anzug mit weißen Streifen an.« Das Auto sei »oben hellblau und unten weiß« gewesen.
Als ihn der Schulleiter, der bei der Vernehmung dabei ist, ermahnt: »Junge, bleib bei der Wahrheit!«, schaut Uwe betreten zu Boden: »Es kann auch ein anderes Mädchen gewesen sein. Ich habe ein bisschen geschwindelt«, rollen ihm dicke Tränen über die Wangen. Das Verhör wird abgebrochen, nachdem der 9-Jährige schluchzt: »Wir haben uns in der Schule über die Sache unterhalten. Ich habe gedacht, dass ich das sagen muss, weil das vielleicht die Helga war.«
Auch diese Spur verläuft also im Sand, doch am selben Tag gehen die Ermittler einer weiteren nach. Ein Mann meldet sich unter dem Namen Willi Horst* beim Kriminaldauerdienst im Polizeikreisamt und berichtet, ein Arbeitskollege habe am 25. Mai bei einem Spaziergang am Saaleufer an der Weinbergbrücke »einen Flausch Haar liegen sehen«. Die Haare seien »dunkel- und hellblond« gewesen. Wieder nichts: Die Polizei findet am beschriebenen Ort keine Haare.
Drei Tage später, am 28. Mai, greift die Kripo den Hinweis der Eltern auf, dass Helga gerne ins Luisen- und ins Kanal-Bad gegangen ist. Gemeinsam mit Feuerwehr und Wasserschutzpolizei startet die Kripo eine große Suchaktion. Um 7.30 Uhr beginnen die Einsatzkräfte am Luisenbad erst das zwei Kilometer lange Kanalgelände, dann das Sommerbad an den Pulverweiden abzusuchen. In Ufernähe sind Wasserschutzpolizisten in einem Holzboot unterwegs, in der Gewässermitte suchen Feuerwehrleute in einem Schlauchboot nach Hinweisen. Zwischen den beiden Booten ist eine Leine mit Such- und Schwimmankern gespannt. Die Kripo benutzt Spezialhaken, um am Ufer nach dem Mädchen zu forschen. Doch nach fünfeinhalb Stunden wird die Aktion abgebrochen.
Die Suchmannschaft setzt um und fährt auf einem Motorboot der »Wapo« die Saale zwischen Stadtschleuse und Trothaer Schleuse ab. Auch in diesem Bereich werden beide Uferseiten nach Hinweisen durchkämmt. Bootsverleiher und Schleusenwärter werden befragt. Gegen 15.30 Uhr weist der Einsatzleiter an: »Schluss, Genossen. Das bringt hier nicht. Als Nächstes werden wir uns die Heide vornehmen.«
Trotz intensiver Bemühungen der Einsatzkräfte ist das Mädchen auch nach drei Tagen nicht aufzufinden. Es kann nicht einmal die Frage beantwortet werden, ob ein tragischer Unfall oder ein Verbrechen vorliegt. Dass Helga nur von zu Hause weggelaufen ist, schließen die Ermittler hingegen aus.
Weitere Personen werden befragt. Am 6. Juni soll Ruth Banse, die Nachbarin, die das Kind zum Brauseholen geschickt hat, die Ereignisse am Tag des Verschwindens schildern. »Ich habe Helga eine leere Flasche gegeben und 50 Pfennig und habe gesagt: ›Geh zum Kaufmann Petzold.‹ Als sie nach einer Stunde immer noch nicht zurück war, bin ich nachschauen gegangen. Frau Petzold hat dann auch bestätigt, dass Helga da war. Allerdings sei Brause gerade nicht am Lager gewesen. Sie habe gesagt, dass sie in einer Stunde wiederkommen soll.« Ruth Banse berichtet, sie habe dann noch am Hallmarkt nachgesehen, aber auch dort keine Spur von Helga entdeckt. »Es ist mir unverständlich, was mit dem Kind geschehen ist.«
Die Fahndung nach dem verschwundenen Mädchen geht weiter. Das Gelände zwischen Halle-Planena bis Wörmlitz-Böllberg wird entlang der Saale abgesucht. Ebenso der Bereich Rabeninsel bis zum Pionierpark. Am 5. Juni durchkämmen 160 Polizisten die Dölauer Heide. Doch auch dort gibt es nicht den kleinsten Hinweis auf das vermisste Mädchen.
Nicht zuletzt durch den Artikel in der Zeitung hat es sich in der Stadt herumgesprochen, dass ein »Kinderfänger« unterwegs ist. Die Menschen sind aufmerksam. Besonders Männer, die allein in der Innenstadt spazieren gehen, werden argwöhnisch beäugt. Aber auch Frauen, die sich »auffällig« benehmen, müssen damit rechnen, dass die Polizei auf sie aufmerksam gemacht wird: Das bekommt auch die 43-jährige Frührentnerin Charlotte Claus* zu spüren. Am 10. Juni will sie in der Reilstraße Butter kaufen. Auf dem Weg wird sie von einem kleinen Mädchen angesprochen. »Gehst Du zum Reileck, Tante? Ich traue mich nicht alleine.« Die tiefreligiöse Frau nimmt das Kind bei der Hand und geht mit ihm Richtung Reileck. Unterwegs fragt sie das Mädchen, ob es »ein Liedchen von Jesus« kenne. Als das Mädchen sie erstaunt ansieht, beginnt sie laut zu singen. Die Kleine ist so erschrocken, dass sie sich losreißt und anfängt, zu weinen. Die »Sängerin« kann sich diese Reaktion nicht erklären und bleibt verdutzt stehen. In der Zwischenzeit ist die Mutter des Kindes auf die Situation aufmerksam geworden. Panisch spricht sie einen Schutzpolizisten an, der sich in unmittelbarer Nähe befindet. Er nimmt Charlotte Claus mit zum Volkspolizeikreisamt.
Im Untersuchungsbericht schreibt der zuständige Meister der Volkspolizei Rasch: »Bei der Claus handelt es sich um eine sehr religiöse Frau. Sie versucht, allen Leuten den christlichen Glauben klar zu machen. Weiterhin singt sie Kindern, welche beim Spielen in der Anlage sind, Jesuslieder vor. Momente, die die Zugeführte belasten könnten, sind nicht vorhanden.«
Die Anzeigen häufen sich. Ebenfalls am 10. Juni meldet sich ein Mann aus der Dieskauer Straße auf dem Polizeiamt. Der Monteur Kurt Weimar* sagt aus, er habe am Vortag auf dem Weg von der Arbeit nach Hause in der Osendorfer Straße gegen 17 Uhr gesehen, wie sich ein »etwa 45 Jahre alter Mann mit einem kleinen Mädel, etwa sechs Jahre alt, unterhielt«. Er habe gehört, wie der Mann sagte: »Da staunste, wa? Das wird ein Kinderspielplatz.« »Als ich mich später noch mal umgesehen habe, habe ich gesehen, dass das Mädchen dem Mann weggelaufen war.« Er bereue es, dass er sich nicht den Namen von dem Mann habe geben lassen. »Auch hätte ich das Kind fragen müssen, was der Mann wollte.«
Drei Tage später, am 13. Juni, klingelt bei VP-Meister Rasch das Telefon. Ihm wird mitgeteilt, die Kinder vom »Rosengarten« hätten unmittelbar neben den Bahngleisen, die sich unweit des Heimes befinden, einen Mann beobachtet, der sich auffällig benommen habe. Er habe in einem Getreidefeld ein Loch gegraben und darin etwas versteckt.
Rasch und der Abschnittsbevollmächtigte der Polizei gehen mit dem Kind, das einer Mitarbeiterin des Heimes von dem Mann erzählt hatte, zu dem acht Morgen großen Feld an der Stalinallee. »Wir haben Verstecken gespielt. Dabei habe ich gesehen, wie der Mann eine Hacke benutzt hat.«
Das verrostete Arbeitsgerät wird auch tatsächlich gefunden. Allerdings keine Spur von Grabungen. Und der Schüler kann auch die Stelle nicht beschreiben, an der er den »Gräber« am Vorabend gesehen haben will.
Ein zweites Mal wird das Gebiet durchsucht. Dann befragen die Ermittler das Kind erneut. Der Junge ist nun mehr als verunsichert: »Es hat doch in der Zeitung gestanden, dass ein Mädchen fehlt. Ich habe gedacht, dass der Mann ein totes Kind vergraben hat.«
Als seine Spielgefährten in seinem Beisein ebenfalls befragt werden, räumt er ein, »geschwindelt«