Baltrumer Bärlauch. Ulrike Barow

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Название Baltrumer Bärlauch
Автор произведения Ulrike Barow
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264942



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gewaltige Gebiss des Wals hatte darstellen sollen, war seltsam achtlos neben seinem vorgesehenen Platz abgestellt worden. Der Freude der Kinder tat der Verfall des Kunstwerkes allerdings keinen Abbruch. Sie tobten herum, während die Eltern auf den Bänken saßen und sich von der Sonne bescheinen ließen oder vielleicht in den Geschäften rundherum ihre Einkäufe erledigten.

      »Hallo, junge Frau, dürfen wir dich zu einem kühlen Getränk einladen?«

      Erstaunt blickte Inga sich um. Vor einem Lokal saßen vier junge Männer, jeder mit einem gefüllten Glas Weizenbier in der Hand. Einer von ihnen, braun gebrannt und mit einem blonden Wuschelkopf, winkte ihr fröhlich zu.

      Inga lachte. »Grundsätzlich schon, aber im Moment gerade nicht.«

      »Du stehst deinem Glück aber mächtig im Wege«, antwortete der Blonde, und ein anderer fiel zaghaft ein: »Und unserem erst …!«

      »Kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete sie. »Ihr seht doch aus wie das Urlaubsglück pur. Zumindest du.« Sie nickte dem Blonden zu, bevor sie sich den anderen zuwandte, die missmutig in ihre Gläser starrten. »Ihr drei solltet allerdings etwas an eurer Laune arbeiten. Bis dahin: Macht’s gut.«

      Hoffentlich bin ich denen nicht zu nahe getreten, dachte sie, als in Richtung Insel-Markt weiterging, aber eigentlich war es ihr egal. Ingas Programm hieß Lebensmittel besorgen, schwimmen gehen und dem Schöpfer der skurrilen Skulpturen in ihrem Ferienhaus einen Besuch abstatten.

      Lena kam ihr mit wehenden Haaren auf dem Fahrrad entgegen und brachte es mit einem waghalsigen Bremsmanöver genau vor ihr zum Stehen.

      »So trifft man sich wieder.« Inga lächelte. »Ich hab euch vorhin zugewinkt, aber ihr wart wohl ins Gespräch vertieft, du und deine Oma.«

      »Ach Mensch, hör bloß auf«, winkte Lena ab. »Mir könnte schlecht werden, wenn ich sehe, wie Oma sich duckt und windet, wenn das Gespräch auf Opa kommt. Dabei hat sie immer die Karre am Laufen gehalten mit der Pension, während der alte Knabe zeitlebens seine Rückenschmerzen gepflegt hat. Nichts kann er mehr, aber jeden Tag Fahrrad und Wippe durch den tiefen Strandsand schieben, das geht. Und seine alten, verrotteten und salzwassergetränkten Holzbalken auf die Wippe laden, das geht auch! Und sie will es einfach nicht einsehen. Da kann ich reden wie ’ne Blöde.«

      Inga schaute ihre neue Freundin nachdenklich an. »Ich kenne deine Großmutter nicht, aber vielleicht hat sie sich in all den Jahren in diesem Zustand eingerichtet und möchte da gar nicht rausgeholt werden?«

      Lena nickte. »Genau das ist der springende Punkt. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Dabei will ich Oma natürlich auf keinen Fall unter Druck setzen. Also, wenn überhaupt, dann vielleicht ein bisschen. Sie soll wissen, dass wir auf ihrer Seite sind, wenn sie endlich anfängt, Opa zu zeigen, wer der Herr im Hause ist.« Lena lächelte. »Aber wie auch immer, wir sehen uns morgen beim Kluntje? Ach was, wir können genauso gut zusammen hingehen. Also um drei Uhr auf der Straße? Noch besser, ich hole dich ab. Basta.«

      Inga nickte. »Dann bis morgen. Mach’s gut.«

      *

      »Wie schade, nun ist sie fort«, seufzte Bernd und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas.

      »Nun fahr mal wieder runter, Bernd.« Karsten schaute sein Gegenüber mürrisch an. »Du weißt genau, wie die Aufgabe lautet: Kontakte knüpfen, aber nicht auffallen.«

      Leonard schloss die Augen. Hörte der denn nie auf zu meckern? Er wünschte sich Ruhe, nichts als Ruhe, aber Karsten gab unerbittlich seine Anweisungen.

      »Leonard und ich gehen heute Nachmittag zum Hafen und schauen, was läuft. Bernd, du und Manfred, ihr beide macht am Strand euren Job. Also schluckt nicht mehr so viel, damit ihr nicht mit besoffenem Kopp im Wasser landet. Wir sehen uns dann heute Abend. Und denkt alle dran: keine scharfen Weiber anbaggern.« Karsten strich im Aufstehen über sein sorgfältig gestyltes Haar. »Na ja, wenn ihr mir eure Herzis zeigt und ich sie für gut befinde, will ich mal nicht so sein. Tschüss dann, bis später.«

      »Das war’s dann mit der Stimmung«, murmelte Manfred, als Karsten außer Hörweite war. »Die Kleine von eben ist weg. Und glaubt mir, das mit dem ›für gut befinden‹ hat der wörtlich gemeint. Erst will er selber drübersteigen und wenn er genug hat, dann dürfen wir mal.«

      »Jus primae noctae«, sagte Bernd. »Da wäre er nicht der Erste, der auf dem Recht der ersten Nacht besteht. Na ja, eigentlich habe ich nichts gegen gebrauchte Ware. Bin schließlich im Second-Hand-Laden der Caritas groß geworden. Aber bei Mädels bin ich mir da nicht so sicher.« Er grinste schief. »Wie sagt man doch immer: Der größte Feind des Rechtes ist das Vorrecht.«

      »Das ist alles zu hoch für mich.« Manfred reckte sich. »Lass uns jetzt zum Strand gehen, Bernd, sonst wird Kars­ten böse.«

      »Ich für meinen Teil will noch ein Bier und dann ein Schnarchpäuschen.« Bernd schaute über den Marktplatz. »Ganz nett hier, aber wenn alles gut läuft, sind wir in drei Tagen schon auf Langeoog. Dann können wir dort den Bestand der Töchter aufmischen.«

      »Meine Fresse«, sagte Leonard, »müsst ihr immer über Weiber reden? Gibt doch auch Wichtigeres im Leben. Ihr zahlt. Nicht vergessen, wir wollen uns nicht unbeliebt machen auf dieser schönen Insel.« Er wollte aufstehen, aber Bernd drückte ihn zurück auf den Stuhl.

      »Schau mal, dort, der Süße, der die Folienkartoffel mit Krabben vor sich stehen hat. Ein echter Hingucker. Die Kartoffel meine ich natürlich«, flüsterte er Leonard ins Ohr.

      Leonard stöhnte genervt auf. »Lasst mich doch in Ruhe«, sagte er leise. »Ist doch mein Ding, oder?«

      »Da hat er recht, Bernd, und jetzt lass uns endlich zum Strand gehen«, sagte Manfred. »Wie sollen wir denn unseren Job machen, wenn wir das Zeug nicht haben?« Unbewusst fasste er sich an die Nase. Seine Finger fühlten den schlecht zusammengewachsenen Knochen, der seinem Gesicht seit einigen Monaten ein verwegenes Aussehen verlieh. Die grobporige Haut und die schlecht geschnittenen schwarzen Haare mit den tiefen Geheimratsecken taten ihr Übriges.

      »Du wirst doch nicht schlapp machen, Manni? Ein Bierchen wirst du noch können, oder?« Bernd schaute sich nach der Bedienung um. »Soll Karsten doch selber an den Strand gehen. Schließlich ist das alles seinetwegen. Aber was soll’s. Letztendlich sind wir hier, weil wir eine Aufgabe zu erledigen haben. Aleae jactae sunt. Das war doch in dem Moment klar, als wir auf diese Insel gekommen sind, oder? Aber wie auch immer, wir trinken noch einen, bevor wir den Strand aufmischen. – Herr Ober, noch drei Weizenbiere für mich und meine Freunde.«

      Leonard stand endgültig auf. »Ich nicht mehr. Bis später.« Sollten die man auf der Rechnung sitzen bleiben, wer weiß, wie lange die da noch den Platz warm hielten.

      Er war mit den Jungs auf diese Insel geschickt worden, um einen Job zu erledigen. Der Boss hatte Karsten zum Anführer bestimmt, weil der am längsten dabei war. Das wäre auch okay gewesen, würde Karsten nur nicht ständig alle spüren lassen, dass er das Sagen hatte. War ja eben schon wieder das beste Beispiel gewesen. Obwohl er recht hatte, wenn er sagte, sie sollten nicht so viel saufen – Bernd schluckte ganz schön was weg. Und Manfred brauchte sowieso jemanden, der ihm sagte, wo’s langging.

      Leonard hatte genug von Karsten, Bernd und Manfred, aber wie er es auch drehte und wendete, noch konnte er nicht ohne die anderen, so viel war ihm klar. Der Boss hatte es so gewollt. Er musste die Zähne zusammenbeißen­ und mit den Wölfen heulen. Sonst wurde das nix mit der großen Abfindung, die der Boss ihm versprochen hatte. Und die wollte er haben. Unbedingt.

      Das Mädchen hatte ganz recht gehabt mit ihrem Spruch über die Stimmung. Komisch, wie gut sie diese Truppe eingeschätzt hatte. Musste wohl ziemlich einfühlsam sein.

      *

      Der Hinweg ohne die zwei Einkaufstaschen war entschieden gemütlicher gewesen, stellte Inga kurzatmig fest, als sie schwer bepackt wieder im Ostdorf ankam. Sie hätte Frau Meyers Angebot, eines der Fahrräder mitzunehmen, nicht so leichtfertig ausschlagen sollen. Beim nächsten Mal wäre sie schlauer.

      Schnell verstaute sie Milch, Brot, Konfitüre