Der Kaiser. Geoffrey Parker

Читать онлайн.
Название Der Kaiser
Автор произведения Geoffrey Parker
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783806240108



Скачать книгу

Kardinal Thomas Wolsey, die Vertreter Franz’ I., Karls und etlicher anderer europäischer Herrscher, ihre Signaturen unter den Vertrag von London zu setzen, der den Unterzeichneten nicht nur verbot, einander anzugreifen, sondern sie im Umkehrfall sogar dazu verpflichtete, einen vertragsbrüchigen Partner mit vereinten militärischen Kräften in die Schranken zu weisen. Dennoch lag der alte Argwohn nie allzu fern. Als Franz ein persönliches Treffen mit Karl vereinbaren wollte, um einige offene Punkte zu klären, sprach sich Chièvres dagegen aus und erinnerte daran, »wie man einst mit dem Herzog Johann von Burgund umgesprungen war« (ein Paradebeispiel für ein funktionierendes institutionelles Gedächtnis, denn Chièvres spielte auf den Mord an Herzog Johann Ohnefurcht von Burgund an während einer Unterredung mit dem französischen Dauphin ein Jahrhundert zuvor).4 Stattdessen brachen Chièvres selbst, Gattinara und andere führende Minister Karls nach Montpellier auf, um dort die Streitpunkte mit einer französischen Delegation zu erörtern, die von Artus Gouffier de Boisy angeführt wurde, dem Großmeister von Frankreich sowie Mentor und wichtigstem Ratgeber Franz’ I. Da Gouffier auch an der Spitze jener französischen Delegation gestanden hatte, mit der man zum Vertrag von Noyon gelangt war, bestand auch diesmal einige Hoffnung auf einen guten Ausgang der Verhandlungen; sein plötzlicher Tod am 13. Mai 1519 brachte die Gespräche jedoch abrupt zum Erliegen.

      Im Rückblick erkannte der scharfsichtige französische Diplomat Guillaume du Bellay in dem Scheitern der Verhandlungen von Montpellier einen fatalen Wendepunkt: »Der Tod [Gouffiers] verursachte große Kriege, wie noch zu zeigen sein wird, denn wenn [er und Chièvres] ihre Verhandlungen abgeschlossen hätten, wäre die Christenheit vorerst bestimmt im Frieden verblieben. Jene, die hernach die Regierungsgeschäfte führten, sorgten sich nicht so sehr um den Frieden der Christenheit, wie Chièvres und der Großmeister es getan hatten.« Mindestens einer von Franz’ Feldherren war ganz derselben Meinung. Da Chièvres und der Großmeister »sämtliche Angelegenheiten ihrer Herren in Händen hielten«, schrieb der Seigneur de Florange, »starben nach seinem [d. h. Gouffiers] Tod wohl an die zweihunderttausend Männer, die, da bin ich mir sicher, weitergelebt hätten, wenn auch er gelebt hätte«.5

      Noch eine Weile verfolgte Karl seine Politik der Beschwichtigung Franz gegenüber weiter – im Juni 1519 zahlte er eine Rate des jährlichen Tributs, der nach dem Vertrag von Noyon wegen der französischen Ansprüche auf Neapel fällig wurde; auch wechselten Franz und er eigenhändige Briefe, in denen sie einander Frieden zusicherten, unabhängig davon, wem von ihnen beiden die Kaiserkrone letztlich zufallen sollte. Aber Karls Wahl verringerte sein Bedürfnis, die Franzosen zu besänftigen, in demselben Maße, wie die Notwendigkeit wuchs, nun die Reichsstände zu besänftigen.6 Die Kurfürsten, denen Karls voreilige Titulatur als »König von Spanien« gewiss noch im Gedächtnis war, legten fest, dass er den Titel »Römischer König« (rex Romanorum) auf keinen Fall vor seiner Krönung nutzen durfte und dass diese Krönung erst stattfinden sollte, nachdem er geschworen hatte, sich an die Wahlkapitulation zu halten, die unmittelbar nach der Wahl in seinem Namen von den kaiserlichen Bevollmächtigten in Frankfurt gebilligt worden war.

      Erkannte Karl die volle Bedeutung dieser Wahlkapitulation? Als er seine spanischen Untertanen davon in Kenntnis setzte, dass die kurfürstlichen Gesandten in Barcelona eingetroffen waren, »um unsere Abreise zu erbitten und uns zu begleiten, bis wir in Deutschland sind«, sprach er auch davon, dass ihm »das Wahldekret zu unseren Gunsten« vorgelegt worden sei »zusammen mit den im Gegenzug erforderten Zugeständnissen«. Inhaltliche Einzelheiten dazu nannte er freilich nicht, vielleicht weil sie in einem äußerst gespreizten Deutsch formuliert waren, einer Sprache, die – wie es damals hieß – »er noch nicht sehr gut spricht«.7 Viele der betreffenden Klauseln waren reine Routine: Karl sollte die Rechte und Privilegien der deutschen Fürsten, Prälaten und Reichsstädte achten, Gerechtigkeit walten lassen, keinen der Reichsstände gegen sich aufbringen etc. Einige andere hingegen waren wohl den Befürchtungen geschuldet, die sich an die Wahl eines ausländischen Herrschers zum römisch-deutschen König knüpften: Karl sollte in der Reichsverwaltung nur Deutsche beschäftigen und offizielle Dokumente stets in deutscher oder lateinischer Sprache vorlegen; er durfte den Reichstag nicht außerhalb der Reichsgrenzen zusammentreten lassen und bei seiner Ankunft im Reich keine fremden Truppen mit sich bringen. Bei einigen Klauseln schien der Ärger bereits vorprogrammiert: Karl musste schwören, das Reich nicht in ein Bündnis oder einen Konflikt hineinzuziehen, ohne dass die Kurfürsten dem zugestimmt hatten, und niemals sollte ein deutscher Herrscher oder Untertan vor eine auswärtige Gerichtsbarkeit geladen werden. Außerdem verpflichtete Karl sich, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in deutschen Landen zu nehmen; für Zeiten seiner Abwesenheit sollte ein Regentschaftsrat geschaffen werden, dem ausschließlich Deutsche angehören sollten (darunter einige Kurfürsten und andere Fürsten); und er musste schwören, all das rückgängig zu machen, was die Päpste entgegen dem Herkommen der deutschen Kirche eingeführt hatten.8

      Die Forderung, er solle unverzüglich zu seiner Krönung nach Deutschland reisen, stellte Karl vor ein Dilemma: Er hatte bereits versprochen, von Katalonien nach Valencia zu ziehen, wo er die Cortes des Königreichs empfangen und deren Huldigung (nebst weiteren Steuerzusagen) entgegennehmen wollte. Chièvres sprach sich dafür aus, dass Karl dieses Versprechen halten und anschließend von Spanien nach Italien segeln sollte, von wo aus er nach Aachen weiterreisen konnte, um sich dort krönen zu lassen – selbst wenn er dafür Franz um die Erlaubnis zum Durchzug durch dessen neu erworbene Territorien Genua und Mailand ersuchen musste. Gattinara jedoch lehnte diesen Reiseplan ab, hauptsächlich wegen einer erst kürzlich erfolgten Annäherung zwischen Frankreich und England. Im Oktober 1518 war es zwischen Franz und Heinrich VIII. zu drei Vereinbarungen gekommen: Franz’ Sohn und Erbe sollte die Prinzessin Mary Tudor heiraten, sobald er vierzehn Jahre alt war; Heinrich sollte unverzüglich Tournai an Frankreich zurückgeben; und die beiden Monarchen wollten bei einem persönlichen Treffen alle noch offenen Problempunkte klären. Unter Karls Ministern sorgte das zunächst keineswegs für Beunruhigung: Auch wenn Tournai schon bald wieder in französischen Besitz überging, waren die beiden verlobten Königskinder doch noch lange nicht volljährig, und auch konkrete Pläne für das vereinbarte Treffen zwischen Franz und Heinrich gab es vorderhand keine. Zu Beginn des Jahres 1520 jedoch änderte sich dieser letzte Punkt, als Franz dem englischen Lordkanzler Wolsey vorschlug, die beiden Königsfamilien sollten bereits im Mai zu einem spektakulären Turnier bei Calais zusammenkommen.9

      Gattinara drängte nun Karl, er solle schleunigst durch Aragón und Kastilien bis zu dem galicischen Hafen La Coruña zurückreisen, wo eine Flotte auf ihn wartete. Mit dieser solle er dann »den englischen König abfangen, bevor dieser mit dem französischen König zusammenträfe … um so, wenn möglich, deren Treffen zu verhindern«. Anschließend sollte Karl durch die Niederlande zu seiner Krönung nach Aachen reisen. Zu Gattinaras Plan gehörte es eigentlich auch, dass Karl wie vorgesehen die kastilischen Cortes um die Bewilligung neuer Steuern bitten sollte, um für die erwähnte Flotte zu bezahlen – angesichts der in dem Königreich bestehenden Spannungen eine hochriskante Vorgehensweise –, doch am 22. Januar 1520 gab Karl bekannt, dass er nicht nach Valencia, sondern stattdessen gleich nach Galicien reisen wolle, von dort dann in die Niederlande und weiter nach Deutschland. Schon am nächsten Tag verließ er Barcelona.10

      Pedro Mártir de Anglería, der seinen Herrn in Valladolid erwartete, warnte Gattinara (mit dem er von Landsmann zu Landsmann ein offenes Wort pflegte):

      »Es heißt, auf den Ratschlag des Geißbocks [d. h. Chièvres’] und der Spanier, die um den König sind, wird Seine Majestät Kastilien um zwei Dinge bitten: Erstens sollen die Cortes in Santiago de Compostela zusammentreten, und alle Städte mit Stimmrecht in den Cortes sollen Bevollmächtigte schicken, denen man aufgetragen hat, jegliche Anweisung des Königs zu befolgen. Man munkelt, dass unter diesen Bedingungen die Freiheit zerstört werde und man derartige Gesetze für gewöhnlich nur Sklaven zumute, wie sie auf dem Markt gekauft und verkauft werden. Ich sehe viele, die geneigt sind, sich dem zu verweigern. Die zweite Bitte ist die Forderung nach einer neuen Steuer, welche die Spanier servicio nennen, und das, obwohl die vorherige noch nicht einmal eingetrieben ist. Ich stelle fest, dass diese beiden Forderungen nicht gerade wohlwollend aufgenommen wurden.«

      Als Karl am 4. März 1520 nach kurzem Aufenthalt Valladolid verlassen wollte, läuteten die Sturmglocken und Menschenmassen strömten zu