Название | Das Zeitalter der Extreme |
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Автор произведения | Eric Hobsbawm |
Жанр | Историческая литература |
Серия | |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783806239669 |
Die Zerstörungen und Probleme der Kriegs- und Nachkriegszeit und die politischen Schwierigkeiten in Europa können den wirtschaftlichen Zusammenbruch in den Jahren zwischen den Kriegen jedoch nur zum Teil erklären. Wirtschaftlich betrachtet kann man ihn aus zwei Perspektiven sehen.
Die erste wird vor allem ein auffälliges und stetig zunehmendes Ungleichgewicht in der internationalen Wirtschaft entdecken, verursacht durch die asymmetrische Entwicklung der USA und des Rests der Welt. Man könnte behaupten, daß das Weltsystem deshalb nicht funktionieren konnte, weil die USA den Rest der Welt nicht besonders brauchten (im Gegensatz zu Großbritannien, das vor 1914 das Zentrum des Weltsystems gewesen war) und sich deshalb auch nicht dafür interessierten, als globaler Stabilisator zu fungieren (wieder im Gegensatz zu Großbritannien, das sehr wohl wußte, wie sehr das Weltzahlungssystem auf dem Pfund Sterling basierte, und deshalb dafür gesorgt hatte, daß er stabil geblieben war). Die USA brauchten die Welt auch deshalb nicht besonders, weil sie nach dem Ersten Weltkrieg weniger Kapital, Arbeitskraft und (relativ gesehen) weniger Güter importieren mußten als jemals zuvor – abgesehen von einigen Rohstoffen. Ihre Exporte, obwohl international von Bedeutung (Hollywood hatte effektiv den gesamten internationalen Filmmarkt monopolisiert), machten einen wesentlich geringeren Teil des Nationaleinkommens aus als in irgendeinem anderen Industriestaat. Über die Frage, wie signifikant dieser Rückzug der USA aus der Weltwirtschaft tatsächlich war, kann man streiten. Aber ziemlich deutlich ist, daß amerikanische Ökonomen und Politiker in den vierziger Jahren von dieser Krisenanalyse stark beeinflußt waren, was schließlich auch dazu beitrug, Washington in den Kriegsjahren davon zu überzeugen, daß es nach 1945 die Verantwortung für die Stabilität der Weltwirtschaft übernehmen müßte.24
Die zweite Perspektive auf diese Depression rückt das Versagen der Weltwirtschaft in den Brennpunkt, eine Nachfrage zu stimulieren, die ausgereicht hätte, um dauerhafte Expansion zu garantieren. Wie wir wissen, war die Basis für den Wohlstand der zwanziger Jahre nur schwach – sogar in den USA, wo sich die Landwirtschaft bereits in der Depression befand und wo die Löhne im Gegensatz zum Mythos des großen »Jazz-Zeitalters« nicht dramatisch anstiegen, sondern in den letzten verrückten Jahren des Booms sogar stagnierten.25 Wie so oft während eines Booms der freien Marktwirtschaft stiegen mit dem Zurückfallen der Löhne die Profite unverhältnismäßig an. Die Reichen konnten sich daher auch ein noch größeres Stück vom nationalen Kuchen abschneiden. Doch als die Massennachfrage in der Blütezeit von Henry Ford nicht mehr mit der rapide wachsenden Produktivität des industriellen Systems Schritt halten konnte, hieß das Resultat: Überproduktion und Spekulation. Sie wiederum waren dann Auslöser für den Zusammenbruch. Es soll hier nochmals betont werden, daß zeitgenössische Beobachter mit starkem Interesse an der Politik – ganz unabhängig davon, was Historiker und Ökonomen, die über diese Frage noch immer streiten, von diesem Argument halten – zutiefst von der schwachen Nachfrage beeindruckt waren; nicht zuletzt John Maynard Keynes.
Als der Kollaps dann eintrat, war er in den USA katastrophaler als in irgendeinem anderen Land; denn dort hatte man versucht, ausbleibende Nachfrage durch enorm erweiterte Möglichkeiten für Verbraucherkredite hochzuputschen. (Leser, die sich an die späten achtziger Jahre erinnern, werden sich hier auf vertrautem Boden wiederfinden.) Banken, die schon vor dem Großen Crash mit Hilfe von sich selbst belügenden Optimisten26 und wie Pilze aus dem Boden sprießenden Finanzbetrügern bereits durch den Spekulationsboom auf dem Grundstücksmarkt Schäden davongetragen hatten, waren nun mit Massen von zahlungsunfähigen Schuldnern konfrontiert und verweigerten neue Hypotheken oder die Umschuldungen der bereits aufgenommenen. Doch selbst das konnte sie nicht mehr davor bewahren, zu Tausenden zugrunde zu gehen.27 1933 war fast die Hälfte aller amerikanischen Hypothekenzahlungen im Verzug, und Tausende von diesen Hypotheken mußten pro Tag für verfallen erklärt werden.28 Allein die Automobilbesitzer hielten 1400 Millionen Dollar Schulden von insgesamt 6500 Millionen Privatschulden in kurz- und mittelfristigen Krediten.29 Was die Wirtschaft diesem Kreditboom gegenüber so verwundbar gemacht hatte, war, daß sie von den Verbrauchern nicht zum Erwerb von traditionellen Massenkonsumgütern – also Lebensmittel, Kleidung und ähnliches – genutzt wurden, die Leib und Seele zusammenhalten und deren Erwerb in geringerem Maße von Mehreinkommen abhängig ist (denn man kann seinen Bedarf an Lebensmitteln zwar nicht unter ein bestimmtes Maß senken, aber bei doppeltem Einkommen verdoppelt er sich auch nicht). Statt dessen kaufte man die dauerhaften Konsumgüter der modernen Konsumgesellschaft, und deren Pionier war schon damals Amerika. Doch der Kauf eines Autos oder eines Hauses konnte aufgeschoben werden, weil die Nachfrage nach solchen Konsumgütern gegen Änderungen im Einkommen ungeheuer sensibel ist.
Die Auswirkungen einer solchen Krise waren dramatisch, sofern sie nicht nach kurzer Zeit schon überwunden worden war und das Vertrauen in die Zukunft nicht zerstört hatte. So halbierte sich die Automobilproduktion in den USA zwischen 1929 und 1931; die Produktion von Schallplatten für arme Leute (race records und Jazzplatten, die sich an ein schwarzes Publikum richteten) wurde für eine Weile sogar fast völlig eingestellt – um nur ein Beispiel aus einem weniger hoch angesiedelten Wirtschaftszweig zu nennen. »Anders als bei den Eisenbahnen oder leistungsfähigen Schiffen, oder bei der Einführung von Stahl- und Maschinenwerkzeugen – die sich alle kostensenkend ausgewirkt haben –, erforderten die neuen Produkte und Lebensformen ein immer höheres Einkommensniveau und ein hohes Maß an Vertrauen in die Zukunft, das schnell zerstört werden konnte.«30 Und genau das war geschehen.
Auch die schlimmste zyklische Krise hat einmal ein Ende, und nach 1932 mehrten sich die Anzeichen, daß das Schlimmste überwunden war. In der Tat stürmten denn auch einige Volkswirtschaften voran. Japan (und in bescheideneren Ausmaßen auch Schweden) konnte bis Ende der dreißiger Jahre sein Produktivitätsniveau gegenüber der Zeit vor der Krise beinahe verdoppeln, und die deutsche Wirtschaft lag 1938 25 Prozent über dem Niveau von 1929 (nicht aber die italienische). Sogar eine so träge Wirtschaft wie die britische bot viele Anzeichen von Dynamik. Doch irgendwie fand der erwartete Aufschwung nicht statt. Die Welt verharrte in Depression. Am sichtbarsten war dies bei der größten aller Volkswirtschaften, in den USA, wo die vielen verschiedenen Experimente von Präsident F. D. Roosevelts »New Deal«, mit denen die Wirtschaft (auf nicht immer konsequente Art und Weise) angekurbelt werden sollte, nicht wirklich zum versprochenen Erfolg führten. 1937–38, nach einem großen Aufschwung, gab es eine neue Wirtschaftskrise – wenn auch in bescheidenerem Ausmaß als nach 1929; und die Automobilproduktion, der führende Sektor der amerikanischen Industrie, konnte nie wieder ihr Niveau von 1929 erreichen. 1938 war sie nur geringfügig höher, als sie es 1920 gewesen war.31 Im Rückblick aus den neunziger Jahren ist man beeindruckt vom Pessimismus vieler intelligenter Kommentatoren der damaligen Zeit. Fähige und brillante Ökonomen sahen die Zukunft eines sich selbst überlassenen Kapitalismus in der Stagnation. Diese Ansicht, die Keynes in seinem Pamphlet gegen den Versailler Friedensvertrag bereits vorausgesehen hatte, war nach der Krise natürlich vor allem in den USA weit verbreitet. Mußte nicht jede vollentwickelte Wirtschaft Tendenzen hin zur Stagnation zeigen? Ein anderer Prognostiker schlechter Aussichten für den Kapitalismus, der österreichische Ökonom Schumpeter, bemerkte: »In Zeiten einer länger anhaltenden wirtschaftlichen Misere bieten Ökonomen, die wie andere Menschen auch auf die Stimmungen ihrer Zeit hereinfallen, Theorien an, die beweisen sollen, daß es keinen Ausweg aus der Depression gibt« (Schumpeter, 1954, S. 1172). Vielleicht werden dereinst Historiker aus einem vergleichbaren Abstand auf die Periode von 1973 bis zum Ende des Kurzen 20. Jahrhunderts zurückblicken und davon fasziniert sein, daß sich die siebziger und achtziger Jahre hingegen beharrlich weigerten, die Möglichkeit einer allgemeinen Depression der kapitalistischen Weltwirtschaft auch nur in Betracht zu ziehen.
Trotz alledem waren die dreißiger Jahre auch ein Jahrzehnt der großen technologischen Innovationen in der Industrie, beispielsweise bei der Entwicklung von Plastikstoffen. Auch in der Unterhaltungsindustrie und unter den später so genannten »Medien« fand zumindest in der angelsächsischen Welt der eigentliche