Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky

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Название Mörder kennen keine Grenzen
Автор произведения Horst Bosetzky
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783745205954



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...“ Damit lief er schnell in die Küche.

      „Ach so ...“ Rannow warf einen Blick auf die Gasuhr und prägte sich den Zählerstand ein: 4657. Die aufgerissenen Fenster hatten ihn misstrauisch gemacht.

      Die Unterredung mit Ziegenhals verlief so ergebnislos, wie er es erwartet hatte.

      „Ich hatte keine Schulden bei ihr!“, beharrte Ziegenhals. „Wenn Sie meinen, ich hätte Miezi ermordet, um mich um die Rückzahlung meiner Schulden zu drücken, dann sind Sie auf dem Holzweg!“

      „Und wovon haben Sie seit 1962 gelebt?“

      „Erst habe ich ein Stipendium bekommen und dann ... ja, dann habe ich mich mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen. Mal hier, mal dort ... Eine Zeit lang habe ich bei Siemens Waschmaschinen verpackt, dann habe ich Büromöbel durch die Gegend geschleppt, manchmal habe ich auch auf Rummelplätzen gearbeitet und Luftdruckgewehre geladen. Eine doppelte Buchführung habe ich mir natürlich nicht zugelegt, wenn Sie wollen, können Sie mich ja beim Finanzamt anzeigen.“

      Rannow schluckte eine Gegenbemerkung hinunter und verabschiedete sich. Von Ziegenhals aus fuhr er gleich zur Einziehungs-Abteilung der Berliner Gaswerke in der Brandenburgischen Straße und ließ sich die letzten Rechnungen von Ziegenhals und dessen Vorgängern zeigen. Tatsächlich, in diesem Monat war weitaus mehr Gas verbraucht worden als in den Zeiträumen davor. Es lag also auf der Hand, dass in der letzten Nacht eine große Menge Gas ausgeströmt war.

      Für Rannow stellte sich nun die entscheidende Frage: Hatte man Ziegenhals ermorden wollen oder hatte er einen Selbstmordversuch unternommen?

      13. Kapitel

      Betr.: Bernd Ziegenhals.

      Anlage zum psychiatrischen Gutachten. Abschrift des Tonbandes 3/5.

      Locker assoziierende Selbstdarstellung des Probanden. Vom Autor überarbeitet.

      Das Telefon schrillt und schrillt, um mich herum zerplatzen grellbunte Farbbeutel, ich falle und falle, ich durchstoße blutrote Schleier, ich glühe auf wie ein Komet, und ich zerschelle schließlich auf einem glatten Felsplateau. Tausend schwere Hände pressen sich auf meinen Mund und ersticken meine Schreie. Meine Glieder sind so schwer, dass ich glaube, ich sei auf dem Jupiter gelandet, und mein Gehirn leistet nicht mehr als das einer Schildkröte. Aber ich taste mich irgendwie zum Nachttisch und werfe den Hörer hinunter. Aus weiter Ferne, aus den Tiefen des Weltraums, dringt eine heisere Stimme an mein Ohr.

      „Ziegenhals, Gott sei Dank, Sie leben noch! Reißen Sie die Fenster auf, schnell, um Gottes willen, beeilen Sie sich! Ihre Gashähne stehen offen ...!“

      Ich begreife plötzlich, ich taumle aus dem Bett, ich breche zusammen, ich raffe mich wieder auf, ich schleppe mich zum Fenster, ich reiße es auf.

      Was ich auch tue, wo ich auch bin, immer steht mir diese Szene vor Augen. Sogar in den Sekunden, in denen Ginny in meinen Armen liegt.

      Kolczyk hatte es also nicht übers Herz gebracht, mich zu ermorden, der Gute! Und so schrecklich der Gedanke an den Gastod auch sein mochte, so trostreich war die Gewissheit, dass Kolczyk nicht die Nerven hatte, mich zu ermorden. Er schaffte es nicht, er hatte nur bis zur nächsten Telefonzelle durchgehalten. Ich konnte also aufatmen, von Kolczyk drohte mir nun keine unmittelbare Gefahr mehr. Es sprach vieles dafür, dass er sich nach diesem Fehlschlag mit einem lebenslangen Patt abfinden würde. Die Aktien des ehrenwerten Bernd Ziegenhals standen also an diesem denkwürdigen Märzmorgen höher als je zuvor.

      Der Taifun war über mich hinweggegangen und ich hatte überlebt. Jetzt hatte ich Jahre des Sonnenscheins vor mir, Jahre mit Ginny, von Kolczyk finanziert. Und auch der Besuch des „Tapirs“ konnte meiner euphorischen Stimmung keinerlei Abbruch tun. Der „Tapir“, das war für mich der ehrenwerte Oberkommissar Rannow. Seine Ähnlichkeit mit diesem merkwürdigen Säugetier war für mich immer wieder frappierend. Vielleicht sollte ich mir diesen Vergleich verkneifen, aber Rannow ist sowieso mein Feind Nummer eins und setzt ohnehin alles daran, mich fertig zu machen.

      Es lag gar kein Grund vor, warum ich mich an diesem Morgen vor Rannow fürchten sollte. Möglicherweise nahm er an, ich habe Selbstmord begehen wollen, und das war schließlich nicht strafbar.

      In den nächsten Tagen und Wochen tanzte, sang und liebte ich und genoss meine Wiedergeburt. Dann aber kam ein schwarzer Freitag für mich, ein ziemlich verhängnisvoller Tag. Das Unheil kam, wie so oft, aus heiterem Himmel.

      Um halb zwei verließ ich mein Domizil in der Grunewaldstraße und fuhr zur Gedächtniskirche hinüber, wo ich mit Ginny verabredet war. Wir wollten chinesisch essen. Es war Punkt vierzehn Uhr, als ich die Schaukästen vor dem Zoo-Palast erreichte. Sie stand schon da und wartete auf mich.

      „Hallo, Schätzchen!“, rief ich. „Du siehst mal wieder bezaubernd aus!“

      Sie bedankte sich mit einem Pfefferminzkuss; in ihrem türkisfarbenen Kostüm sah sie wirklich umwerfend aus. „Wohin des Wegs, Gevatter?“

      „Sie, verehrte Regina, zum Mampfen zu führen, bin ich!“

      „Verführer befiehl, wir folgen!“

      „Wir ...? Was denn, bist du etwa gesegneten Leibes?“

      „Wie könnte ich denn! Eine unverheiratete Maid – diese Schande! Nein, das würde ich nicht überleben!“ Sie schluchzte, und ein paar alte Damen drehten sich um.

      Wir waren so vergnügt und ausgelassen, dass wir jedem Vorübergehenden ein herzliches guten Tag zuriefen.

      Dann ließen wir uns die fernöstlichen Spezialitäten schmecken oder, um mit Muttchen Braatz zu sprechen, trefflich munden. Nach dem Vorgericht, einer leckeren Frühlingsrolle, gab es für Ginny Baujü (Hühnerbrust mit Bambus und chinesischen Champignons, gedünstet) und für mich Sinjen Bolo Yading (Ente in Würfeln, süßsauer, mit Ananas und Mandeln). Als Nachtisch wählten wir Lychees und als Getränk einen leichten Roséwein. Kein Wunder, dass wir von Minute zu Minute heiterer wurden.

      „Wie geht’s denn dem Herrn Vater?“, fragte ich.

      „Danke ... Der hat gerade Besuch, Dr. Völker ist bei ihm, ein Rechtsanwalt, den er schon jahrelang kennt. Das ist ’ne Type, sage ich dir ... Den müsstest du mal kennen lernen – ’n Kerl mit ’nem Monokel und so konservativ, dass sein Sohn nicht Apotheker werden darf, weil er glaubt, das hätte was mit den Anarchisten zu tun.“

      Ich lachte schallend, sie war köstlich. „Das ist der Kalauer des Tages ... du, gucke mal, da läuft ein ganz seltenes Tier herum!“

      „... tut mir Leid, ich sehe nur einen altersschwachen Pekinesen ...“

      „Nein, eine ganz ausgefallene Kreuzung ist das – da, direkt vor der Litfaßsäule!“

      „Du spinnst ja!“

      „Hast du denn Tomaten auf den Augen – siehst du denn nicht, das ist doch ein ausgewachsener Bärtiger!“

      Es dauerte ein paar Sekunden, bis es bei ihr gezündet hatte. „Das ist aber noch gar nichts – ich habe sogar einen Tiger im Bad ...“

      Jetzt war es an mir, zu staunen.

      „... einen Haarfestiger!“

      „Hahaha! Dein Dr. Völker würde uns auf der Stelle rausschmeißen,