Sein Blick fiel auf Melori, die immer noch am Tisch stand, keine Miene verzog, aber aufmerksam allem zuhörte. Sie könnte sehr wohl ihre Finger im Spiel haben. Immerhin hatte sie nicht damit rechnen können, dass der Botschafter auf ihrer Anwesenheit bei diesem Essen bestand. Aber das ließ sich herausfinden. Erstens wurde jede Bewegung in jedem Raum außer in den privaten Quartieren der Besatzungsmitglieder von den Schiffssensoren erfasst, aufgezeichnet und archiviert. Zweitens verfügte die Sicherheitsabteilung nicht umsonst über Retrospektionsscanner, die anhand von abgesonderter Körperstrahlung und Haut-, Fell- und Schuppenpartikeln, rekonstruieren konnten, wer außerhalb der Erfassung der Schiffssensoren zu welcher Zeit an welchem Ort gewesen war. Vorausgesetzt diese Zeit lag nicht länger als vierzig Stunden zurück. Darum würden sich Romanow und seine Leute kümmern. Der nickte Trevayaa zu und verließ mit seinen Leuten den Raum, um seine Nachforschungen anzustellen.
Trevayaa wandte sich an Melori. „Captain, wem haben Sie von dem Abendessen erzählt.“
Melori blieb völlig gelassen. „Ich habe mit meiner befohlenen Teilnahme nicht herumgeprahlt, falls Sie das meinen, Admiral. Ich habe selbstverständlich Captain Kenaról darüber informiert, da sie meine Staffel ab siebzehn Uhr zur Bereitschaft eingeteilt hatte, und natürlich auch meinen Stellvertreter Captain Shar. Darüber hinaus habe ich mit niemandem darüber gesprochen.“
Trevayaas spürte, dass sie die Wahrheit sagte. Sein Uniform-Kommunikator gab einen Signalton von sich. Er aktivierte die Verbindung. „Ja?“
„Der Botschafter hat das Bewusstsein verloren“, meldete Dr. Ailarons Stimme. „Aber vorher hat er noch verlangt, dass Captain Melori persönlich den Schutz seines kostbaren Körpers übernimmt. Und sein Arzt besteht darauf, dass Melori auch auf ihn aufpasst.“ Das klang ausgesprochen sarkastisch.
„Sie kommt.“ Trevayaa unterbrach die Verbindung und nickte Melori zu. „Gehen Sie. Noch eine Frage, Captain. Wie gut kennen Sie Ihre drei nagdanischen Piloten? Wie schätzen Sie die ein?“
„Sie sind ordentliche Piloten, die ihr Handwerk verstehen, sie befolgen alle Anweisungen und geben sich die größte Mühe, sich in die Staffel einzufügen, was ihnen gut gelingt. Ansonsten kenne ich sie so gut, wie man jemandem kennen kann, dem man vor fünf Tagen zum ersten Mal begegnet ist. Falls Sie, wie ich glaube, vermuten, dass einer von ihnen etwas mit dem Anschlag zu tun haben könnte, so halte ich das für unwahrscheinlich. Das Getränk des Botschafters muss entweder schon vergiftet worden sein, bevor es an Bord gebracht wurde – was schon vor Tagen geschehen ist, in denen die drei unter Admiral Rhans Aufsicht standen und keine Gelegenheit dazu hatten – oder in der Zeit, seit es sich an Bord befindet. Für diese Zeit kann der Aufenthalt der drei aber durch die Bioscanner lückenlos nachgewiesen werden. Das ist denen bewusst. Sie wären reichlich dumm, wenn sie das Getränkt trotzdem vergiftet hätten. – Hekah!“
Sie verließ den Saal. Auch ungefragt die eigene Meinung zu sagen oder eine Hypothese aufzustellen, war typisch frelsisch. Trevayaa musste Melori aber recht geben. Auch wenn niemand gegen Dummheit gefeit war, so war es doch recht unwahrscheinlich, dass einer der drei Piloten für den Anschlag verantwortlich war. Er hoffte, dass Romanows Analyse einen Verdächtigen lieferte. Noch mehr hoffte er, dass Skelosk apat Taskesk überlebte.
*
„... GARANTIERT EINER von den Sternenwanderern“, hörte Melori eine Männerstimme sagen, die mit deutlich sretallesischem Akzent sprach, als sie die Krankenstation betrat. Sie gehörte einer der Sicherheitswachen, die zu fünft an strategisch günstigen Plätzen im Behandlungszimmer standen. „Ich habe schon immer gesagt, dass Sternenwanderer in der IsteP nichts zu suchen haben.“
Melori sah an seinem Rangabzeichen – zwei daumengroße weiße Sterne unter dem IsteP-Logo auf seiner Uniform –, dass er Lieutenant war. Sein Namensschild über dem Logo wies ihn als Nissu Kashann aus. Melori baute sich vor ihm auf.
„Ich empfehle Ihnen, Lieutenant, Ihre private Meinung für sich zu behalten und sie nicht noch einmal in Gegenwart von Nagdaneh zu äußern, die dadurch in ihrer Vermutung bestätigt werden, dass das Attentat von einem unserer Leute begangen wurde“, sagte sie in Sretallesisch, was ihn zu einem überraschten Zischen veranlasste. Da diese Sprache nicht in die Translatoren der Nagdaneh eingespeist worden war, konnten die sie nicht verstehen. „Ihnen ist bekannt, dass Sternenwanderer, die temporär in die IsteP aufgenommen werden, eine noch strengere Überprüfung durchlaufen als jedes reguläre Mitglied. Ich wäre an Ihrer Stelle also sehr vorsichtig damit, solche Verdächtigungen laut auszusprechen.“
„Jawohl, Captain.“
„Wenn ich der Attentäter wäre“, fuhr Melori in ISArru fort, „würde ich genau auf dieses Vorurteil bauen und sogar falsche Spuren legen, um einen Sternenwanderer zu belasten.“ Sie schüttelte den Kopf. „Wir gehören alle derselben Organisation an und haben uns dem Schutz unserer Mitwesen verschrieben. Unterstehen Sie sich, noch einmal nur aufgrund Ihrer persönlichen Vorurteile pauschal eine Gruppe von Kameraden zu verdächtigen. Verstanden?“
„Ja, Captain. Es tut mir leid.“
„Entschuldigen Sie sich bei den Sternenwanderern.“
Es war immer wieder dasselbe. Auch nach Jahrhunderten von Kontakten mit Fremdvölkern und mit inzwischen dreiundzwanzig von ihnen in der ISA unter einer einzigen Regierung vereint, gab es immer noch Rassenvorurteile und Diskriminierung. Da die gegenüber einem ISA-Volk zum schlechten Ton gehörten, nahm man in der Regel die Sternenwanderer aufs Korn. Die meisten sammelten nur ein paar Jahre bei anderen Völkern praktische Erfahrung, ehe sie bei ihrem eigenen Volk eine feste Arbeitsstelle antraten. Andere fanden am häufigen Wechsel ihres Arbeitsplatzes und im selben Zug auch des Volkes, bei dem sie arbeiteten, so großen Gefallen, dass sie Berufssternenwanderer wurden und bis zu dem Tag, an dem sie aus Altersgründen aufhörten zu arbeiten, wie Nomaden ständig auf Wanderschaft waren. Gerade diese Berufssternenwanderer litten unter dem Vorurteil einer zweifelhaften Loyalität, da sie sich keinem Volk genug verbunden fühlten, um bei ihm sesshaft zu werden; nicht einmal ihrem Ursprungsvolk.
Von so her kam Lieutenant Kashanns Verdacht keineswegs überraschend. Dennoch ging es nicht an, dass ein IsteP-Mitglied ein anderes derart öffentlich verdächtigte. Melori ließ ihn stehen und trat zu Dr. Ailaron, der die Tentakelgriffe seines nagdanischen Kollegen am Körper des Botschafters ebenso wachsam verfolgte wie die Anzeigen der Vitalwerte auf der Diagnosetafel. Das Bett des Botschafters war in eine senkrechte Position gestellt worden, da Nagdaneh ihr ganzes Leben stehend verbrachten und auch im Stehen schliefen. Der Körper war festgeschnallt, damit er nicht in sich zusammenfiel.
„Wie steht es, Doktor?“, fragte Melori in Frelsisch.
„Er lebt noch“, stellte Ailaron nüchtern fest und deutete auf die Diagnosetafel. „Aber das Gift hat ihn schlimm erwischt. Wie Sie an den grünen Werten sehen, die nach den uns von den Nagdaneh übermittelten Daten die Normalwerte darstellen, ist sein Organismus ziemlich durcheinander. Ich kann nicht sagen, ob er durchkommt. Das weiß auch mein nagdanischer Kollege noch nicht.“ Er nickte zu einem Nagdaner mit gelben Tentakelringen hin, der vor dem Botschafter stand, ihm mit seinen Tentakeln über den Körper strich und mit anderen etwas in dessen Mundtentakel übertrug.
„Captain Romanow hat rausgefunden, dass er mit Orangensaft vergiftet wurde.“
Ailaron nickte. „Das hat er mir schon mitgeteilt. Wir haben im Vorfeld eine Liste der Stoffe erhalten, die bei Nagdaneh zu Vergiftungen, allergischen Reaktionen oder harmloseren Unverträglichkeiten führen. Einer davon ist Ascorbinsäure – simples Vitamin C. Eine geringe Dosis reicht schon aus, um einen Nagdaneh umzubringen. Irgendjemand, der das wusste, hat etwas Orangensaft in das Getränk des Botschafters gemischt. Da das sowieso eine stark zitronige Geruchsnote hat, ist das nicht aufgefallen. Und nein, ich werde keine Spekulationen darüber anstellen, wer das gewesen sein könnte. Das überlasse ich Captain Romanow