Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Jörg Olbrich

Читать онлайн.
Название Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges
Автор произведения Jörg Olbrich
Жанр Историческая литература
Серия Geschichten des Dreißigjährigen Krieges
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783862825301



Скачать книгу

Prag reisen würde. Wenn sie sich jetzt Karla anschloss, konnte es sein, dass er sie doch noch endgültig verlor. Sie kannten sich erst seit wenigen Wochen. Dennoch war Magdalena zum wichtigsten Menschen in seinem Leben geworden. In den ersten beiden Wochen hatte sich der Sekretär in die Wirtstochter verliebt. Und obwohl die vergangenen Tage für beide sehr schwierig gewesen waren und auch, wenn die Stimmung zwischen ihnen sehr getrübt war, hatten sie diese Zeit gemeinsam überstanden.

      »Ich werde zurück nach Prag gehen«, sagte Magdalena zu Philipps Erleichterung. »Es gibt nichts mehr, was mich hier hält. Gestern dachte ich noch, dass ich lieber wieder in meiner Heimat leben möchte. Jetzt weiß ich, dass sie nicht mehr vorhanden ist.« Die Gesichtszüge der jungen Frau wirkten wie erstarrt und ihre Stimme schien jegliches Leben verloren zu haben.

      »Dann trennen sich unsere Wege wohl endgültig«, sagte Karla. Ich werde die Nacht noch in der Kirche bleiben und morgen aufbrechen.«

      »Wir werden noch einmal zu den Resten des Gasthauses reiten und dort übernachten«, sagte Magdalena und nahm Philipp damit die Entscheidung ab, ob sie den Rückweg noch in der Nacht antreten sollten. »Leb wohl, Karla. Ich hoffe, wir werden uns eines Tages unter glücklicheren Umständen wiedersehen.« Die beiden Frauen umarmten sich und blieben einige Sekunden in dieser Haltung stehen. Beide schienen zu spüren, dass sie sich niemals wiedersehen würden.

      Auch Philipp verabschiedete sich und verließ mit Magdalena gemeinsam den Ort. Als sie den Baum erreichten, an dem sie die Pferde festgebunden hatten, waren diese verschwunden.

       Pressburg, 04. Juli 1618

      »Wo hast du denn die ganzen letzten Tage gesteckt?«, hörte Anton die verärgerte Stimme hinter sich und spürte einen eiskalten Schauer über seinen Rücken jagen. Was will die denn jetzt noch?

      »Wolltest du etwa gehen, ohne mir auf Wiedersehen zu sagen?«

      Um ehrlich zu sein, ja. »Natürlich nicht. Ich wollte dich schon die ganze Zeit über besuchen, hatte aber zu viel zu tun. Ich musste für den König mehrere Schreiben aufsetzten. Du weißt ja selbst, wie viel seit dem Brand im Schlossturm geschehen ist.« Um zu vermeiden, dass jemand hörte, was er mit Vroni zu bereden hatte, war Anton notgedrungen nah an sie herangetreten. Er hatte leise gesprochen und hoffte, dass das Weibsbild nun ebenfalls ihre Stimme drosseln würde.

      In den vergangenen Tagen hatte er wenig Zeit mit König Ferdinand verbracht, der sich oft mit Erzherzog Maximilian zurückgezogen hatte. Das musste Vroni allerdings nicht wissen. Anton war ihr bewusst aus dem Weg gegangen, um nicht an die Nacht mit ihr und seine Versprechungen erinnert zu werden. Jetzt hatte sie ihn aber doch noch erwischt. Und das kurz bevor er mit König Ferdinand, dem Erzherzog von Bayern und deren Gefolge die Rückreise nach Wien antreten würde. Er konnte es kaum abwarten, diese Stadt endlich zu verlassen.

      »Ich dachte wirklich, du würdest einfach so abreisen.«

      Genau das hatte ich vor. »Kannst du bitte etwas leiser sprechen?«

      »Warum? Hast du etwa Angst, dass jemand uns zusammen sieht? Schließlich sind wir praktisch verlobt.«

      Gott bewahre, bloß das nicht! »Es muss ja nicht jeder gleich hören, was wir miteinander reden. Ich wäre, bevor wir abreisen schon noch zu dir gekommen, um dir auf Wiedersehen zu sagen.«

      »Das musst du ja jetzt nicht mehr. Ich werde für immer bei dir bleiben.«

      »Was soll das nun wieder bedeuten?«

      »Ich komme mit dir nach Wien.«

      Nein, das wirst du nicht! Anton sah Vroni beschwörend an und versuchte, sich dabei nicht von ihrer üppigen Oberweite ablenken zu lassen. »Ich habe dir doch gesagt, dass du mich nicht begleiten kannst und ich dich nachholen werde, sobald ich die Anstellung als kaiserlicher Schreiber sicher habe.«

      »Das musst du nicht mehr. Ich habe bereits alles geregelt. Wir können sofort aufbrechen.«

      »Hast du nicht verstanden, was ich dir gesagt habe?« Gott hilf mir, dieses Weibsbild endlich loszuwerden.

      »Du verstehst nicht. Es ist bereits alles geregelt. Ich werde mit euch nach Wien kommen.«

      »Und wie stellst du dir das vor?«

      »Zwei Küchenmägde des Königs sind spurlos verschwunden. Sie haben wohl beschlossen, in Ungarn zu bleiben. Euer Koch hat bei uns in der Burg nachgefragt, ob jemand von uns bereit wäre, mit nach Wien zu reisen und eine Anstellung im Kaiserhof anzutreten. Da ich ungebunden bin, habe ich mich dafür gemeldet.«

       Lieber Gott, sag, dass das nicht wahr ist.

      »Du freust dich ja gar nicht.« Vroni sah den Schreiber beleidigt an.

      »Doch«, entgegnete Anton schnell, obwohl er Vroni am liebsten eigenhändig in die Küche zurückgebracht und dort festgebunden hätte. »Das kommt nur sehr überraschend.«

      »Ich freue mich so sehr auf Wien. Wir können uns jeden Tag sehen und noch in diesem Jahr heiraten!«

      Ganz sicher nicht. »Nicht so eilig. Du weißt doch, dass mir mein Lehrmeister kaum eine freie Minute lässt. Ich werde mich nicht jeden Tag mit dir treffen können. Und heiraten werde ich erst, wenn meine Zukunft am Kaiserhof gesichert ist.« Du wirst niemals mein Weib werden. Vorher ertränke ich dich eigenhändig in dem tiefsten Brunnen, den ich finden kann. Es kostete Anton große Mühe, die Beherrschung zu behalten und sich nicht auf der Stelle auf das Weib zu stürzen, das so hartnäckig an ihm klebte wie eine Honigwabe.

      »Es wird schon alles gut werden«, sagte Vroni unbeschwert und strahlte über das ganze Gesicht. »Ich muss jetzt zum Koch. Wir sehen uns spätestens, wenn wir unser Nachtlager aufgeschlagen haben.«

      Vronis Blick versprach Anton, dass sie ihm angenehme Abendstunden bereiten würde. Genau darauf wollte er aber lieber verzichten. Er musste einen Weg finden, sich unterwegs von ihr fernzuhalten. Wenn sie erst einmal am Kaiserhof waren, würde er seine Ruhe haben.

       ***

      Anton stellte sich auf einen langweiligen Tag ein. Er ritt wieder hinter König Ferdinand und Erzherzog Maximilian, die sich wie bereits auf dem Hinweg angeregt unterhielten. In den Straßen der Stadt hatten sich ein paar wenige Bürger versammelt, um ihren König zu verabschieden. Diesen winkte Ferdinand freundlich zu.

      Vroni war am Ende des Zuges bei den anderen Mägden. Wenigstens tagsüber würde Anton also vor ihr Ruhe haben. Er musste eine Möglichkeit finden, das Weib in Wien schnell loszuwerden. Er hatte hart für die Anstellung am Kaiserhof gearbeitet und wollte seine Zukunft nicht durch eine Liebschaft gefährden, an deren Beginn er sich nicht einmal erinnern konnte.

      Sie waren gerade einmal eine Viertelstunde unterwegs und hatten Pressburg eben erst verlassen, als zwei Kundschafter zurückkehrten, die vorausgeritten waren, um sicherzustellen, dass unterwegs keine bösen Überraschungen auf den König und sein Gefolge warteten.

      »Wir haben zwei tote Frauen gefunden«, meldete einer der beiden Männer.

      »Wo das?«, fragte der König, der über die Störung sichtlich verärgert war.

      Der Mann deutete auf ein kleines Wäldchen vor ihnen. »Sie liegen da zwischen den Bäumen.«

      »Darum sollen sich die Soldaten aus Pressburg kümmern. Wir können uns nicht durch jeden Bauernstreit aufhalten lassen. Sonst kommen wir nie in Wien an.«

      Damit hatte der König ausgesprochen, was auch Anton dachte. So tragisch der Tod der Frauen auch sein mochte, es war nicht die Aufgabe des Königs, sich mit der Aufklärung eines gewöhnlichen Mordes zu befassen.

      »Ich kenne die Frauen«, sagte der Kundschafter. Sie gehören zu unseren Küchenmägden.«

      »Bist du sicher?«

      »Ja, Eure Majestät.«

      »Führt den Koch zu den Toten. Wenn er deinen Verdacht bestätigt, begrabt sie dort. Wir werden eine kurze Rast einlegen. Ich erwarte, dass ihr die Sache