Grillparzerkomplott. Hermann Bauer

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Название Grillparzerkomplott
Автор произведения Hermann Bauer
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839265826



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vorläufig abgestellt hatte. »Im Augenblick ist alles ungewohnt. Bei Erika und beim Papa habe ich mich damals schnell eingelebt«, überlegte sie.

      »Mein Vorschlag: Du bleibst fürs Erste hier«, drängte Korber auf eine Entscheidung. »Du kannst immer noch zu Erika und Leopold wechseln.«

      »Und ihnen sagen, dass ich von dir komme?«

      »Natürlich nicht! Du hast bei einer Freundin gewohnt, zum Beispiel bei Natalie, mit der du mich bei deinem letzten Aufenthalt besucht hast. Mach doch nicht alles so kompliziert!«

      Sabine seufzte. »Papa kommt mit seinem detektivischen Gespür sicher drauf. Dann ist er für alle Ewigkeit auf dich und mich böse. Aber ich riskier’s unter einer Bedingung: Du vergisst, was kurzzeitig zwischen uns war, und wir bilden eine ganz normale Wohngemeinschaft. Dann hole ich meine restlichen Sachen aus Halbturn und ziehe in ein paar Tagen bei dir ein.«

      »Selbstverständlich«, stimmte Thomas Korber zu. Er sah ein, dass im Augenblick nicht mehr drin war. So hatte er Sabine wenigstens in seiner Nähe.

      Sabine wiederum wusste, dass sie sich auf eine heikle Sache eingelassen hatte. Sie war sich über ihre Gefühle Thomas Korber gegenüber nicht im Klaren. Einerseits mochte sie ihn sehr, andererseits wollte sie sich keinesfalls an ihn binden, schon gar nicht am Beginn eines Studiums. Studentin sein hieß doch, unbegrenzte Freiheiten zu haben und sich einfach auf Erlebnisse und Bekanntschaften einzulassen.

      Sie hatte dabei vor, ihren Vater Leopold möglichst oft zu sehen. Sie freute sich schon auf ihn und seine Freundin Erika. Sie freute sich auch auf das Café Heller, in dem er arbeitete. Vielleicht durfte sie dort wieder einmal aushelfen. Und wenn sie Glück hatte, war ihr Vater sogar wieder mit der Aufklärung eines Verbrechens beschäftigt.

      *

      Katja Winkler saß in ihrem großen Fernsehsessel. Jetzt, wo sie dem Alkohol bereits über das verträgliche Maß zugesprochen hatte, ergriffen die Ereignisse aus der Vergangenheit wieder Besitz von ihren Gedanken. So muss es sein, wenn man stirbt, dachte sie. Das ganze Leben zieht in wenigen Zehntelsekunden an einem vorüber. In diesen Momenten dauerte es freilich etwas länger, und sie musste feststellen, dass ihre Erinnerung lückenhaft war.

      Es gab zwei Brennpunkte in ihren Träumereien. Da war einerseits ihre Karriere als Schauspielerin und Bühnenliebling. Im Burgtheater und in der Josefstadt hatte sie nicht gespielt, aber sonst beinahe überall in Wien. Die Leute hatten sie fest ins Herz geschlossen. Der Applaus klang ihr noch immer in den Ohren, und sie roch den Duft der Blumen, die sie von ihren zahlreichen Verehrern bekommen hatte. Viele davon hatten eine oder mehrere Nächte mit ihr verbracht.

      Dann der andere Brennpunkt: der Unfall, der komplizierte Bruch. Trotz Operation war der Fuß im Eimer gewesen, die Bühnenkarriere damit beendet. Hätte ich damals nicht gleich sterben können, fragte sie sich. Denn was war aus ihrem Leben anderes geworden als ein einziges Warten auf den Tod? Sie saß in ihrer Wohnung, lebte in der Vergangenheit und schaute sich ihren Schmuck an. Manchmal ging sie ins Schopenhauer, damit sie unter Leute kam. Dort gafften sie dann ein paar ältere Männer an, wenn sie sich allein an einen Tisch setzte. Die Auswahl war nicht gerade berauschend. Katja Winkler war immer noch attraktiv, sie pflegte sich, und der Alkohol hatte kaum sichtbare Spuren hinterlassen. Aber Männer von Qualität bekam sie keine mehr. Sie hatte es zuletzt deutlich bei diesem netten Oberkellner gemerkt.

      Freunde oder Bekannte gab es praktisch keine, das Verhältnis zu ihrer Tochter war schlecht, genauso wie das zu ihrem Ex-Mann. Katja meinte deshalb, allen Grund zu haben, auf die Welt böse zu sein und anderen Menschen Böses anzutun. Bei ihren Reisen in die Vergangenheit erinnerte sie sich in erster Linie an Zwistigkeiten, Eifersüchteleien und Zerwürfnisse. Darauf gründete sie ihre Aktivitäten. Hier hatte sie etwas, wo sie anderen Menschen das Leben schwer machen konnte.

      Gerechtigkeit durfte man nicht verlangen, niemand hatte Anspruch darauf. Aber jeder Mensch hatte die Möglichkeit, böse Dinge, die ihm widerfahren waren, durch ähnliche Gemeinheiten auszugleichen. Diese Dinge beschäftigten Katja, wenn sie abends zu Hause bei einer Flasche Rotwein saß. Im Kopf war sie noch sehr aktiv, und sie hatte in genug Dramen mitgewirkt, um sich ihre eigenen auszudenken.

      Den Betroffenen gefiel das ganz und gar nicht. Aber darauf konnte Katja Winkler keine Rücksicht nehmen. Strafe musste eben sein.

      *

      Der Wind wurde in diesen Tagen heftig und kühl. Es war der erste Temperatursturz Anfang Oktober, der das Ende des Sommers einläutete und den Herbst ankündigte. Urteilte man nach den Gesichtern der Menschen an diesem Vormittag im Café Schopenhauer, so stand bereits der Winter vor der Tür. Grimmig sahen sie drein, als würden sie gegen eine unmittelbar bevorstehende Erkältung ankämpfen. Mancher trug bereits einen Schal um den Hals. »Ist denn gar nicht eingeheizt?«, fragte ein Glatzkopf mit Drahtbrille und weißem Vollbart vorwurfsvoll.

      »Gleich drehen wir die Heizung auf«, beruhigte ihn Herbert Bäcker, wobei er mit ›gleich‹ bewusst ein Adverb mit höchst nebuloser Bedeutung verwendete. Er hatte nicht vor, sich wegen eines griesgrämigen Gastes in Unkosten zu stürzen. Auch ein heißer Tee wärmte.

      David Panozzo schaute nicht gern in die Gesichter dieser mieselsüchtigen Gäste. Wo er konnte, wich er ihnen aus. Am liebsten stand er an so einem Tag hinter der Theke und blickte melancholisch zum Fenster hinaus, bis wieder etwas zu tun war.

      Dabei schnappte er die Fetzen eines Telefongespräches auf, die ihn die Ohren spitzen ließen: »Sie wärmt schon wieder die alten Sachen auf. … Ja, die ›Grillparzer-Geschichte‹ … Unangenehm. … Katja kann einen bis aufs Blut ärgern. … Aber bei mir kommt sie damit nicht durch.«

      War damit etwa Katja Winkler gemeint? Unwillkürlich war es Davids erster Gedanke, dass es um sie ging. Der Mann, der telefonierte, saß weiter vorn mit dem Rücken zu ihm.

      »Nein, sie ist nicht gekommen … Gehört wohl zu ihrer Taktik … Ich hätte es mir gleich denken können.« Der Mann redete leise, aber David verstand trotzdem erstaunlich viel. Deshalb, weil ihn die Sache interessierte? Er beugte sich ein wenig nach vorn.

      »Du brauchst keine Angst zu haben. … Ich lasse mir das nicht gefallen. … Dieses Mal nicht. … Ich werde ihr das Maul stopfen, ein für alle Mal. …« Der Mann wurde eine Spur heftiger, nahm sich dann jedoch wieder zurück. Für einen Augenblick schien es David, er wolle sich umschauen, ob ihm jemand zuhörte. Schließlich tat er es doch nicht.

      Was er sagte, klang für David ziemlich bedrohlich. Ich muss wissen, wer das ist, ging es ihm durch den Kopf. Da stand der Mann auch schon auf und wandte sich zum Gehen. Richtig, er hatte ein paar Minuten vorher bezahlt. Aber wie hatte er ausgesehen? Jetzt rächte sich Davids Gleichgültigkeit den griesgrämigen Gesichtern der Kaffeehausgäste gegenüber. Er konnte sich nur mehr flüchtig an das äußere Erscheinungsbild des Mannes erinnern. Längeres schwarzes Haar, das über den Kragen hing, aber nicht bis zu den Schultern ging, das sah man jetzt noch. Und sonst? Eine dicke Sonnenbrille hatte er auf. Die trugen ja alle Menschen, die etwas zu verbergen hatten. Ein dünner Schnurrbart, die Lippen ebenfalls eher dünn. Das war’s dann auch schon. Alter? Keine 40 mehr, aber sicher noch keine 60. Kleidung? Jetzt dunkelblauer Mantel, vorher vermutlich graues Sakko. Ergab insgesamt keine zufriedenstellende Personenbeschreibung. David hätte sich ohrfeigen können.

      Als er nach vor stürmte, um sich den Mann noch einmal genauer anzusehen, war dieser bereits durch die Tür hinaus verschwunden. Leopold hätte sich in einem solchen Fall wahrscheinlich an die Verfolgung gemacht, aber David, der erst seit Kurzem im Schopenhauer arbeitete, konnte sich so etwas nicht leisten. Er musste den Unbekannten wohl oder übel ziehen lassen.

      Was blieb, waren Vermutungen über das rätselhafte Gespräch, das er aufgeschnappt hatte. Hatten sie tatsächlich jener älteren Dame gegolten, der David gelegentlich die Einkäufe hinauftrug? Wer wollte ihr Böses und warum? Sollte David ihr etwas darüber mitteilen, wenn er sie das nächste Mal sah? Oder schickte sich das denn doch nicht?

      Er beschloss, es auf die Situation ankommen zu lassen. Aber zunächst ergab sich keine Gelegenheit dazu, da sich Katja Winkler während der nächsten Tage nicht im Schopenhauer blicken ließ.

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