Mordsklamm. Mia C. Brunner

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Название Mordsklamm
Автор произведения Mia C. Brunner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839265727



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Herrn Guggenmoos im schönen Stadtteil Blankenese am Hamburger Elbstrand.

      »Der Dolchstoß hat dem Mann die Halsschlagader durchtrennt«, berichtete Ewe, legte seine Finger an die linke Halsseite des Opfers und sah sich die Wunde genauer an. »Aber er war schon vorher tot. Ansonsten hätten wir hier an den Wänden meterhohe Blutspritzer. Der Mann ist jedoch sehr langsam verblutet. Vermutlich ist die Wunde am Torso auf Höhe der rechten Niere diejenige, welche …« Der Rechtsmediziner deutete mit seiner Hand auf den dunklen, getrockneten Blutfleck im Laken neben dem Körper. »Allein das hier sind schätzungsweise fast zwei Liter.«

      »Okay, dann schick mir den Bericht, sobald du fertig bist.« Jessica verließ ebenfalls den Raum und zog ihr Smartphone aus der Hosentasche. Wenn sie heute in Hamburg auf den Ämtern noch jemanden erreichen wollte, dann musste sie sich beeilen, denn es war Freitag und kurz vor Mittag. Außerdem wollte sie früh in den Feierabend gehen, um mit Florian etwas zu unternehmen. Ihr Vater verschaffte ihnen einen letzten kinderfreien Abend, bevor er morgen seine Heimreise nach Hamburg antrat.

      *

      »Haben Sie bei uns angerufen?«, rief Hauptkommissar Forster der jungen Krankenpflegerin entgegen, die ihnen auf dem langen Gang entgegeneilte.

      Die Frau mit glänzend schwarzem Haar und dem typisch thailändischen Gesicht mit leicht dunklem Teint und mandelförmigen Augen nickte heftig, kam näher und blieb dann abrupt vor ihm und Kommissar Willig stehen.

      »Sie sind aber leider zu spät«, verkündete sie, aber es klang nicht wie ein Vorwurf. »Die Frau, deretwegen ich Sie angerufen habe, ist verschwunden.«

      »Okay.« Florian Forster schob beide Hände in die Taschen seiner Uniformhose und sah den Gang hinauf. Die Notaufnahme des Kemptener Krankenhauses befand sich im Erdgeschoss eines Nebengebäudes. Der fensterlose Gang mit den vielen Türen links und rechts schien durch die sich ständig wiederholenden Deckenleuchten, deren Licht den glänzenden Boden beschienen und sich dort spiegelten, beinahe unendlich. »Sie sagten, es handle sich um einen Verdacht auf häusliche Gewalt. Wie kommen Sie darauf?«

      »Die Frau wurde vor einer Stunde in die Notaufnahme eingeliefert, mit einer tiefen Platzwunde an der Stirn, und behauptete, sie sei die Treppe runtergefallen.«

      »Mhm«, brummte Forster und sah die Pflegerin durchdringend an. »Aber das wäre doch möglich, oder?«

      »Vielleicht«, gab diese zu. »Zusätzlich zur Platzwunde hatte sie aber auf der gesamten rechten Gesichtshälfte blaue Flecken, außerdem Verletzungen an den Unterarmen und am Rücken. Glauben Sie mir, Herr Hauptkommissar. Ich kann Hämatome durch körperliche Gewalt inzwischen ganz gut von anderen unterscheiden. Die blauen Flecken zeigten unterschiedliche Stadien des Heilungsprozesses. Die Frau war völlig verängstigt und mager und wollte nicht, dass ihr Mann informiert wird. Außerdem gab sie falsche Personalien an. Eine Frau Gisela Mayer – wie sie sich nannte – gibt es nicht.«

      »Das hört sich tatsächlich verdächtig an«, gab Hauptkommissar Forster zu, und sein Kollege Willig nickte heftig und machte dabei ein äußerst bedauerndes Gesicht. »Damit wir der Sache nachgehen können, brauchen wir aber mehr als einen falschen Namen.«

      »Da hätte ich etwas«, sagte die Schwester und lächelte verlegen. »Die Dame hat so schnell die Flucht ergriffen – sie ließ ihre Handtasche im Untersuchungszimmer zurück. Warten Sie kurz, ich hole sie.«

      Sie drehte sich um und lief schnellen Schrittes den Gang hinunter, bog nach links ab und war verschwunden.

      Hauptkommissar Forster indes beobachtete belustigt seinen Kollegen Willig, der keinen Hehl daraus machte, dass er den leichten Hüftschwung der bildhübschen Krankenschwester äußerst sexy fand und ihr mit großen Augen und leicht geöffnetem Mund hinterhergaffte. Als er den Blick seines Kollegen bemerkte, lächelte er etwas dämlich.

      »Was hältst du davon, Berthold«, fragte Florian amüsiert und ging zwei Schritte zurück, »wenn du allein auf die Schwester wartest? Ich gehe schon zum Auto.«

      »Ist gut, Chef, ähm, ähm …«, stotterte Berthold und schaute zu Boden.

      »… Florian«, half der ihm weiter und grinste breit. »Nur tu mir bitte einen Gefallen: Ohne ihre Telefonnummer gehst du hier nicht weg. Und ich meine nicht diejenige der geflüchteten Frau, sondern die der süßen Krankenpflegerin. Haben wir uns da verstanden?«

      Berthold nickte. Seine Wangen färbten sich dunkelrot. »Klar, Chef, ähm, Florian.«

      *

      »Du kommst spät«, begrüßte Jessica ihren Freund, als dieser erst nach 19 Uhr das Haus betrat und die Treppe zum ersten Stock hinauflief. »Den Tisch habe ich auf 19.30 Uhr bestellt. Schaffst du das? Oder soll ich anrufen, dass wir uns verspäten?«

      »Bin in fünf Minuten fertig«, rief Florian im Vorbeilaufen, ohne Jessica anzusehen, und verschwand im Bad. Keine Minute später hörte man bereits das Wasser in der Dusche rauschen.

      Der Besuch bei Ulrike Hildebrandt, der Frau, die aus dem Krankenhaus geflüchtet war, war frustrierend gewesen. Der dicke Verband um ihren Kopf war professionell angelegt, verdeckte jedoch nicht die zahlreichen alten, bereits gelb verfärbten Hämatome an ihrer Schläfe. Auch hatte sie Probleme, ihren linken Arm zu heben, und hielt ihn deshalb leicht gebeugt und dicht an ihrem viel zu dürren Körper. Ihre Stimme war leise und klang gebrochen. Auf ihren Mann, der heute nicht anwesend war, ließ sie aber nichts kommen. Er habe mit ihrem Treppensturz absolut nichts zu tun. Er sei ein guter Ehemann und sie selbst einfach viel zu ungeschickt. Auf Florians Frage, warum sie im Krankenhaus falsche Personalien angegeben hatte, entschuldigte sie sich und versprach, die Angelegenheit Anfang nächster Woche aufzuklären. Sie begründete ihre Vorgehensweise damit, dass ihr Mann sich immer so viele Sorgen um sie mache. Sie wollte deshalb verhindern, dass er von ihrem Unfall erfuhr. Als sie den Hauptkommissar bat, ihrem Mann nichts zu verraten, wurde aus Florians anfänglichem Misstrauen ein solches Unbehagen, dass er Frau Hildebrandt ernst ansah und heftig den Kopf schüttelte.

      So sehr er sich auch anstrengte, er konnte einfach nicht begreifen, warum manche Frauen ihre prügelnden Ehemänner schützten und damit riskierten, immer und immer wieder Opfer von Gewalt zu werden. Also beschloss er in diesem Moment, Frau Hildebrandt in der nächsten Woche erneut zu besuchen und dann hoffentlich auch ihren Mann anzutreffen. Wenn die Frau sich nicht selbst half, würde er es tun, indem er den Ehemann beiseitenahm und ihm verdeutlichte, was ihm drohte, wenn er weiterhin seine Frau halb totschlug. Prügelnde Männer waren meist leicht reizbar. Vielleicht gelang es ihm, Herrn Hildebrandt so zu provozieren, dass der Mann seine Hand gegen ihn erhob. Dann hätte er einen Grund, ihn aufs Revier mitzunehmen. Und wenn er ihn erst einmal im Verhörraum hatte, dann konnte er dem Kerl sagen, was er von Männern hielt, die Frauen verprügelten.

      Florian dachte noch immer an seine Begegnung mit Ulrike Hildebrandt, als er bereits mit Jessica im Restaurant saß. Abwesend schaute er durch die große Panoramascheibe, ohne den atemberaubenden Blick über Kempten wahrzunehmen. Das Restaurant »Skylounge« im 13. Stock eines Geschäftshauses in der Innenstadt lieferte mit zwei komplett verglasten Seitenwänden die beste Aussicht über die Häuser der Alpenmetropole in ganz Kempten. Der wolkenlose Sommerhimmel, die strahlende Abendsonne, die üppig grünen Flächen um die Burgruine »Burghalde« im Stadtzentrum und der reflektierende Wasserspiegel der grünblauen Iller zeigten die Stadt heute von ihrer allerschönsten Seite. Doch die Gedanken ließen Florian nicht los.

      »Erde an Florian«, witzelte Jessica, als er ihren dritten Versuch, ein Gespräch zu beginnen, erneut wortlos ignorierte. »Wo bist du denn? Kommst du heute noch zurück zu mir, oder soll ich mich zu anderen Gästen setzen? Ich würde mich gern unterhalten.«

      »Entschuldige.« Er sah sie an und lächelte mechanisch. »Worüber willst du reden?«

      »Keine Ahnung«, plapperte sie drauflos. »Egal worüber. Vorhin zum Beispiel habe ich dich gefragt, ob du nicht Lust hast, unseren Plan, das Wohnzimmer zu renovieren, endlich in die Tat umzusetzen. Vielleicht könnten wir morgen in den Baumarkt fahren und nach Wandfarbe schauen. Ein neues Sofa wäre auch super.«

      Florian musterte sie durchdringend, doch sein Gesichtsausdruck war völlig unergründlich.