Zurück im Zorn. Christoph Heiden

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Название Zurück im Zorn
Автор произведения Christoph Heiden
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839263600



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will denn Plötzen, wenn’s Hechte gibt?«

      »Plötzen?« Sie grinste. »Die sind wohl nicht beliebt?«

      »Zu viele Gräten«, sagte er todernst. »Zu viele Gräten.«

      Unter Dannys Lippe spross ein winziger Bart in Form eines Dreiecks, und sobald er den Kopf abwärts bewegte, sträubten sich die Borsten gegen den Kragen seiner Daunenjacke. Sie fragte ihn, ob er selbst ein Zimmer vermiete oder überhaupt irgendwas in Sachen Tourismus mache.

      »Ich biete Nachtwanderungen an.«

      »Für Sternsucher?«

      »Für jeden, der’s dunkel mag.«

      »Braucht man dafür eine Lizenz oder so?«

      Jetzt grinste Danny. »Eigentlich muss man bloß wissen, dass die Sterne oben sind und im Dunklen leuchten. Ansonsten sollte man sich in der Gegend auskennen.«

      »Hört sich interessant an.«

      »Willste ’ne Tour buchen? Ich mach dir ’n Sonderpreis.«

      »Ich behalt’s aufm Schirm, okay?«

      »Hier, guck mal.« Er hob einen Beutel mit zwei Ferngläsern von seinem Sitz. »Hab ich gebraucht bei Dunkers gekauft.«

      »In Rathenow?«

      »Klaro.«

      In der Schule hatte sie ein Referat über den Aufstieg und Niedergang der Rathenower Optischen Werke halten müssen. Brillen, Ferngläser und Teleskope – dafür war die Stadt zu DDR-Zeiten bekannt gewesen. Von der Vorzeige-Industrie hatten sich lediglich zwei Familienbetriebe über die 90er retten können; zu spät war die Region zu einem der dunkelsten Orte Deutschlands ernannt worden. Auf Anna machte die Gegend allerdings kaum den Eindruck, als wären die Senioren fähig, die Entwicklung umzukehren. Oder die Danny Schmidts dieser Welt. Er rückte seine Basecap ein wenig nach rechts und sagte unüberhörbar:

      »Alle versuchen, mit diesen Nerds Schotter zu machen.« Anna taxierte die Fahrgäste, worauf er hinzufügte: »Keine Sorge, die nehmen nie den Bus. Die kommen lieber mit ihren schicken Karren.«

      »Dann klimpert’s ja ordentlich in der Kasse?«

      »Nicht, wenn’s mehr Zimmer als Besucher gibt. Im Winter kommt keine Sau.«

      »Und was treibst du sonst so? Ich mein, in deiner Freizeit.«

      »Dinge organisieren. Abhängen.«

      Er beugte sich über die Rückenlehne, und seine Pupillen glänzten wie matte Glasmurmeln. »Hat es ’nen Grund, dass du ausgerechnet heute hierher kommst?«

      »Nein«, antwortete sie und krallte ihre Finger in den Rucksack. »Warum fragst du?«

      »Also weißt du nichts davon?«

      »Wovon?«

      »Hat dir dein Onkel nichts erzählt?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Du willst mich testen, nicht wahr?«

      »Warum sollte ich?«

      Er zog die Arme von der Lehne, neigte sich in Fahrtrichtung, ging auf Distanz. »Hat dich etwa dieses Bullenschwein angestachelt?«

      »Was meinst du?«

      »Deswegen bist du doch hier, oder?«

      Sie hatte keine Ahnung, von wem er sprach und was er zu sagen beabsichtigte; immerhin hielt er nun Abstand und kroch ihr nicht auf die Pelle.

      »Was damals passiert ist, ist echt traurig«, sagte er. »Aber wir leben jetzt in ’ner anderen Zeit.«

      Ihre Finger knautschten durch den Rucksack hindurch die Briefe – fünf Gründe, die Weisheiten von Danny Schmidt abzunicken, fünf Gründe für Geduld und Wachsamkeit.

      »Weißt du, in Berlin kann man sich ’ne Menge Blödsinn erlauben. Die Regierung pumpt eh das ganze Geld zu euch, selbst wenn ihr Paläste aus Hühnerkacke bauen wollt. So ’n Firlefanz kann sich hier keiner leisten.«

      Danny verfiel in ein lautstarkes Flüstern, und Anna sah über seine Schulter hinweg zwei Senioren, die ihre Gesichter umwandten und hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln begannen.

      »Robert sagt immer: Die Vergangenheit ist tot.«

      Robert Beck alias Robert Speck, wollte Anna wissen, verkniff sich jedoch die Frage.

      »Was tot ist, buddelt man nicht wieder aus«, fuhr er fort. »Eigentlich kapieren das alle, bloß das Bullenschwein nicht.«

      »Das Bullenschwein, das mich angestachelt haben soll?«

      »Nimm dich vor ihm in Acht«, warnte Danny, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Der Alte ist total crazy.«

      Er beugte sich erneut über die Lehne, worauf Anna zurückwich. Sie dachte an alkoholisierte Väter, die jedes Distanzgefühl vermissen ließen, die meinten, dass ein Klaps auf den Po noch niemandem geschadet habe, und diese Anschauung unterstrichen, indem sie einem ihre Nase buchstäblich ins Gesicht drückten, Männer, die »kapiert« und »basta« und »Ach, hör doch auf« sagten. Zwei Handbreit von ihr entfernt fragte Danny schließlich:

      »Und dein Bruder hat nix von mir erzählt?«

      »Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern.«

      »Komisch, wir waren nämlich best friends.«

      Der Bus rollte über ein Schlagloch, und ihre Köpfe stießen beinahe zusammen. Danny maulte etwas Abfälliges über den Busfahrer, dann umfasste er mit beiden Händen die Lehne und zog sich über den Sitz dicht an sie heran.

      »In der Scheiße zu graben, bringt Lennart nicht zurück.« Mit einer flinken Bewegung drückte er den Knopf für den Haltewunsch. »Koloniestraße«, bemerkte er kühl. »Du musst aussteigen.«

      Anna rang sich ein höfliches Lächeln ab, und während sie zur Tür schritt, fiel ihr ein weiterer Spitzname ein. Ihr Bruder hatte ihn oft und gern benutzt und ihr damit eine Heidenangst eingejagt. Gut 20 Jahre später bekam Psycho-Danny nicht nur ein Gesicht verpasst, sondern auch eine charmante Art. Sie wandte sich ein letztes Mal um und sah ihn telefonieren. Sie fragte sich, ob Psycho-Danny genug psycho war, um psychopathische Briefe zu schreiben. Der Linienbus stoppte, die Tür öffnete sich und die Landschaft empfing Anna in einem so grellen Weiß, dass sie beim Aussteigen die Augen zukneifen musste.

      Dinosaurier

      Willy klopfte mit dem Hacken seiner Schuhsohle so lange auf den Schlagschlüssel, bis das Schloss nachgab und sich öffnen ließ. Er schob das Werkzeug in seine Weste und vergewisserte sich mit einem Schulterblick, dass die Luft rein war, dann streifte er auch den linken Schuh ab und tapste ins Haus.

      Als er in Socken, aber mit Mütze und Handschuhen durch Lisbeths Diele schlich, fand er die Situation reichlich absurd. Im Geiste erschien ihm das Bild eines Demenzkranken, der vergessen hatte, wohin er seine Schuhe gestellt hatte; gleichzeitig war ihm bewusst, dass er gerade einen Einbruch beging. Vorbildfunktion?, dachte er. Damit hatten eher seine braven Kollegen glänzen können.

      Er betrat die Wohnstube und sah sich um. Unzählige Male hatte er das Sofa mit dem Feldstecher anvisiert, Nächte über Nächte, in denen er Lisbeth beim Fernsehen beobachtet hatte. Im Handschuhfach seines Wagens steckte sogar eine TV-Zeitschrift, um ihre Vorlieben zu ermitteln, und als sie sich einmal für eine seiner Lieblingssendungen – »Panda, Gorilla und Co.« – entschieden hatte, hätte Willy ihr am liebsten die Antenne vom Dach gerissen. Heute mahnte er sich zu Distanz und Nüchternheit. Er zog aus der Weste eine Digicam und begann, die Wohnstube abzufilmen.

      Links die Sitzgarnitur mit dem Fernseher und der Stehlampe, deren Fransenschirm über einem Sessel thronte, rechts die Vitrine aus Massivholz. Hinterm Glas allerlei Nippes, der vor Kurzem nicht nur abgestaubt, sondern auch poliert worden war; neben pausbäckigen Engelsfiguren reihten sich mit Blattgold verzierte Eierbecher, und auf dem obersten Regal schmollte ein Wackel-Elvis, der zwischen