Tödliche K. I.. Markus Warken

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Название Tödliche K. I.
Автор произведения Markus Warken
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839263563



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lautete 0171 123456789. Mit Sicherheit war das keine echte Nummer. Achatz hatte sich irgendwie in Whatsapp gehackt. Sie rannte ins Wohnzimmer zu ihrem Laptop und drückte den Anschalter. Wie in Trance trug sie alle Absender der Belästigungs-E-Mails im Spam-Filter ihres normalen Postfachs ein, bevor sie die Nachrichten in den Papierkorb verschob. Anschließend löschte sie das Postfach zu »[email protected]« und sperrte Achatz auf Whatsapp. Minutenlang saß sie einfach nur da und starrte die Wand an. Sie wusste, dass es sinnlos war, was sie gerade versucht hatte. Die hatten ihre E-Mail-Adresse, ihre Telefonnummer. Die wussten, wer sie war. Eine Frage der Zeit, bis die vor ihrer Tür standen!

      Schließlich erhob sie sich von ihrem Schreibtisch, putzte die Zähne, zog ihren Schlafanzug an und legte sich ins Bett. Ein weiterer hilfloser Versuch, durch Routine ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Er misslang. An Schlaf war nicht zu denken. Sie wälzte sich hin und her, bis sie den Versuch einzuschlafen aufgab und mit hinter dem Kopf verschränkten Händen dalag, die Decke von sich gestrampelt. Sie fühlte sich erbärmlich. Das spärliche Licht, das von draußen hereinfiel, ließ kaum Konturen erkennen. Das Zimmer wirkte wie ein schwarzes Loch und das Bett in der Mitte wie ein Schlund, der sie verschlingen wollte.

      Was soll das Ganze?, fragte sie sich niedergeschlagen. Warum tue ich mir das alles an? Kaum komme ich ein bisschen aus dem Dreck heraus, schon habe ich Typen am Hals, die sonst was von mir wollen.

      Sie drehte sich auf die Seite.

      Vor ein paar Tagen im Hoppegarten stand mir alles offen. Und jetzt? Wer meinte, das Leben sei ein mieser Verräter, hatte recht.

      Jana rollte sich zurück auf den Rücken. In einer Geste der Unterwerfung schloss sie die Augen, eine Besiegte, die den vernichtenden Schlag erwartete und gleichzeitig hoffte, das Schlimmste zu vermeiden. Das Gefühl der Ohnmacht angesichts der Bedrohung lähmte sie für einige Atemzüge – dann fachte es ihren Widerstand an, denn nichts hasste sie mehr als Bevormundung. Sie kniff die Lippen zusammen. Schon wieder andere, die über sie bestimmen wollten! Ihr Nacken versteifte sich, und sie ballte die Fäuste. »Das kann nicht alles umsonst gewesen sein«, fauchte sie und wischte sich über die Augen. »Das darf nicht alles umsonst gewesen sein! Und fang’ bloß nicht an zu heulen. Du hast ganz andere Sachen durchgestanden!«

      Sie setzte sich auf und schaltete das Licht an. Ihr Herzschlag beruhigte sich und ihre Gedanken klarten auf.

      Sie zwang sich zur Vernunft. Was würde ich einer Freundin empfehlen, die mich in so einer Lage um Rat fragt?

      Jana lachte auf, schlug mit der flachen Hand auf die Stirn. Plötzlich schien alles ganz einfach. »Wir leben in Deutschland, im 21. Jahrhundert, einem Rechtsstaat, wie es wenige andere gibt«, erklärte sie der fiktiven Freundin, als stünde sie ihr gegenüber in der Schlafzimmertür. »Du kannst die Belästigungen einfach missachten, bis sie von alleine aufhören. Was wollen die schrägen Typen denn machen? Wenn tatsächlich ein Abu Mujahed oder ein Achatz oder sonst ein Schuft bei dir auftaucht, gehst du zur Polizei! Haaallooo!«

      Entspannt sank sie zurück, löschte das Licht und schlief ein.

      »Nein!«, schrie Jana und schlug die Hand zurück, die nach ihr griff. Statt gepflegter Nägel ragten spitze Dolchklingen aus ihren Fingern. Etwas bewegte sich rechts von ihr, ein Flackern, das sie durch die geschlossenen Lider wahrnahm. Sie schreckte hoch, riss die Augen auf und suchte die Umgebung nach dem Angreifer ab. Außer ihr war niemand im Zimmer. Eine Taube saß auf ihrer Fensterbank und putzte ihr Gefieder.

      »Ein Albtraum«, hauchte sie erleichtert, wischte sich den Schweiß von der Stirn.

      Sie erinnerte sich an ihren Entschluss aus der letzten Nacht, die Belästigungen zu ignorieren und notfalls zur Polizei zu gehen. Sofort fühlte sie sich besser. Der Wecker zeigte kurz vor acht. Draußen war es bereits hell. Sie stand auf, ging in die Küche, schaltete die Kaffeemaschine an und mahlte schwarz geröstete Bohnen für Espresso sizilianischer Art – der ultimative Kick am Morgen. Sie duschte und zog sich an, bevor sie drei Tässchen im Stehen trank. Weil sie keinen Appetit auf Frühstück hatte, steckte sie einen Apfel ein und brach gegen halb neun zur Uni auf. Ganz bewusst nahm sie ihren Laptop zum ersten Mal diese Woche mit. Sollte sie auf ihr wichtigstes Arbeitsmittel verzichten, weil der Rechner unerklärlicherweise heiß gelaufen und die einzige Verbindung zwischen »wbi8888« und ihrer richtigen E-Mail-Adresse war? Schließlich hatten die ja auch Whatsapp gehackt – und die konnten sie mal.

      Die kämpferische Stimmung trug sie bis zum Ausgang, wo sie mit dem Griff an die Klinke ihrer Wohnungstür ein mulmiges Gefühl beschlich. Sie hielt inne, ließ den Türgriff los. Greifbare Gefahren außer Acht zu lassen ist mindestens fahrlässig, überlegte sie. Es hilft nicht, den Kopf in den Sand zu stecken, widersprach ihr im Geist Tante Greta. Genauso wenig war es eine Lösung, sich in der Wohnung zu verschanzen. Jana atmete tief durch und drückte die Klinke nach unten. Vorsichtig spähte sie aus der Wohnungstür und kurz darauf aus der Haustür, um sicherzustellen, dass ihr niemand auflauerte. Die Straße war menschenleer.

      Stell dich nicht so an, schalt sie sich in Gedanken und stapfte los zur S-Bahn. In der Uni war sie so früh dran, dass sie sich in der Nähe des Hörsaals in eine Sitzecke setzte, um mit der Übung für »Zeitlichkeit technischer Medien« für den kommenden Montag anzufangen. Sie doppelklickte das Symbol für die Datei, die die Übung enthielt, doch es zeigte sich nur das Logo des Textverarbeitungsprogramms und eine kleine Sanduhr. Irgendetwas dauerte unerklärlich lang. Mit den Fingern trommelte sie auf der Tischplatte und sah sich um. Vereinzelt kamen Studenten vorbei. Niemand beachtete sie. Endlich erschien die Datei auf dem Bildschirm; die erste Seite zeigte das Deckblatt. Jana blätterte um, und das Programm stürzte ab.

      »Mist«, knurrte sie und rief die Datei erneut auf. Auch diesmal dauerte das Öffnen schier endlos. Sie ertappte sich dabei, dass sie in den Korridor spähte, nach einem ein fremden Mann Ausschau hielt, der sich als Abu Mujahed oder Achatz entpuppen würde. Sie zwang ihre Augen zurück auf den Bildschirm, blätterte um und las den ersten Satz, ohne den Sinn zu erfassen. Sie las den Satz ein zweites und ein drittes Mal, doch in ihrem Kopf hallte nur eine Frage wider: Wer ist Achatz?

      Jana fuhr auf, weil sie Schritte auf sich zu schlurfen hörte. Es war nicht Achatz, es war Nils. Sie blähte die Backen, atmete aus und spürte, wie sich ihr Puls normalisierte.

      »Hallo, Nils. Ist heute wieder Ludification?«

      »Morgen, Jana.« Nils lächelte. »Schön, dich zu sehen. Nein, ich muss etwas abholen.«

      »Sag mal, wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?«

      »Moment, lass mich kurz nachdenken. Zwei Jahre, sieben Monate und vierzehn Tage – wenn wir letzten Montag nicht zählen.«

      »Du zählst die Tage, seit wir uns zuletzt gesehen haben?«

      Nils’ Augenlider flatterten einen Moment. »Die Abi-Feier. Ich habe ein gutes Zahlengedächtnis.«

      »Wegen neulich muss ich mich bei dir entschuldigen. Ich war einfach perplex, jemanden aus Kölnberg an der HU zu treffen. Du bist mir hoffentlich nicht böse?«

      »Nicht der Rede wert.« Nils machte eine wegwerfende Handbewegung. »Was studierst du eigentlich genau?«

      »Medienwissenschaft auf Master. Ist prima angelaufen, und ich habe eine Seminararbeit, die ich, wenn ich mich nicht dumm anstelle, zur Masterarbeit ausbauen kann.«

      »Das hört sich doch klasse an. Warum schaust du dann deinen Rechner an wie ein Boxer seinen Gegner beim Gong zur nächsten Runde?«

      »Ach, das blöde Teil zickt rum, kommt ewig nicht in die Pötte, und dann stürzt mir die Datei mit meiner nächsten Übung ab.«

      »Darf ich?« Nils nahm sich den Stuhl neben Jana, griff wie selbstverständlich nach ihrem Rechner und drehte ihn zu sich, so dass er die Tastatur vor sich hatte und sie dennoch auf den Bildschirm sah.

      Jana verspürte keine Lust, Nils ihre Probleme zu schildern. Aber wen konnte sie um Hilfe bitten, wenn nicht ihn? Sie gab sich einen Ruck. »Weißt du, ich bekomme auf einmal so komische Spam. Und der Rechner rödelt manchmal wie wild, obwohl er eigentlich im Bereitschaftsmodus sein sollte.«

      Nils