Rhöner Nebel. Friederike Schmöe

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Название Rhöner Nebel
Автор произведения Friederike Schmöe
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839263006



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Grüppchen. »Da drüben steht Gitta Krone. Ganz die alte, was?«

      Neugierig beäugte Katinka eine dünne Frau in Jeans und einem Herrenhemd, die gerade ihr Saftglas abstellte und ein etwa vierjähriges Mädchen zurechtwies, das unter dem Tisch mit den Getränken ein charmantes Versteck zum Spielen gefunden hatte.

      »Humorvoll war sie nie«, sinnierte Anja.

      »Wenn ihr eure Zimmer in Augenschein nehmen wollt: Im Treppenhaus hängt ein Zettel mit euren Namen und der Zimmernummer. Zweiter oder dritter Stock. Kein Lift, leider. Wir alten Nonnen müssen wenigstens bloß in die erste Etage raufklettern. Selbst das schafft die arme Richhilde kaum. Sie ist diejenige von uns, die am längsten hier lebt. Mit Übernahme des Internats durch den Orden kam sie in die Rhön.«

      Anja nickte abgelenkt. Eine andere Nonne löste sich aus der Menge.

      »Romana?«, rief sie. Ihre Stimme klang heiser. Sie war klein, sehr mager, knochig beinahe. Ihre Füße steckten in Schnürstiefeln, die ihr eindeutig zu groß waren.

      »Meine Güte, sie hat wieder die dicken Winterschuhe angezogen«, wisperte Romana. »Das ist es, was das Alter aus den Menschen macht. Früher war sie so eine fähige Chefin. Sie ist 91, wusstest du das, Anja?« Laut rief sie: »Gertrudis, kannst du dich an unsere Anja erinnern?«

      Die dünne Nonne blinzelte kurzsichtig. »Anja Mähling.« Sie lächelte breit. »Das freut mich ganz besonders.«

      »Mich ebenfalls, Schwester Gertrudis. Schön, Sie wiederzusehen.«

      Gertrudis streckte die Hand aus. »Du warst ja eine von denen, die uns besonders ans Herz gewachsen sind!«

      Schwester Romana verdrehte die Augen.

      »Und Sie? Kenne ich Sie auch?«, wandte Gertrudis sich an Katinka.

      Helle blaue Augen strahlten sie an.

      »Nein, wir sind uns noch nicht begegnet. Ich bin eine Freundin von Anja.«

      »Sie heißt Karina«, sagte Schwester Romana.

      »Katinka.«

      Romana nahm die andere Nonne bei der Hand. »Ist denn unser Tobias schon hier? Ihn kennt Anja doch noch.«

      Katinka musterte Schwester Romana neugierig. Sie wirkte, als habe sie sich seit Wochen auf diesen Tag gefreut und wäre nun bereit, ihn in vollen Zügen auszukosten.

      »Tobias Gebsen?«, hörte sie Anja aufgeregt fragen. Von Nervosität war nichts mehr zu spüren.

      »Genau der. Ihr entschuldigt uns?«, bat Romana. »Gerade kommt ein Schwung Gäste.«

      »Natürlich, kein Thema!« Anja nickte den Nonnen lächelnd zu.

      Beide gingen davon, die magere Gertrudis steif wie ein Stock, Romana eilfertig.

      Katinka stellte ihr Glas ab.

      »Was dagegen, wenn ich mich ein bisschen umsehe?«, flüsterte sie Anja zu.

      Ein Schatten glitt über Anjas Gesicht.

      »Ich bin in einer Viertelstunde zurück. Möchte einfach die Anlage kennenlernen.«

      »Klar. Natürlich«, nickte Anja.

      *

      4.

      Katinka schlenderte über das Gelände. Der Wind ließ die Tischdecken flattern. Jemand brachte ein paar Feldsteine, um sie zu beschweren. Gelächter. Ein Sektglas fiel um. Leute wuselten umher. Mehr Gäste kamen vom Parkplatz herüber.

      Eine runde Frau um die 50 mit kurz geschnittenem grauen Haar und einem Korb am Arm trat Katinka in den Weg.

      »Grüß Gott!« Ein Namensschildchen an ihrem Pullover wies sie als Schwester Irmtraud aus. »Wir haben Badges für unsere Gäste vorbereitet, damit wir wenigstens voneinander wissen, wie wir heißen.«

      »Katinka Palfy.«

      Die Schwester wühlte im Korb. »Bitte, für Sie! Ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise?«

      »Hatten wir. Ich bin eine Freundin von Anja Riedeisen. Sie hat als Freiwillige hier ein soziales Jahr absolviert. Vor 30 Jahren.«

      »Ich bin erst seit drei Jahren hier. Die Namen von früher sagen mir leider nicht viel.«

      »Darf ich neugierig sein?«, bat Katinka. »Warum tragen Sie keine Ordenstracht?«

      »Meine Generation tut das nur noch bei Bedarf.« Sie lächelte. »Ihnen wird dies vielleicht eigenartig vorkommen. Dennoch: Ich bin die jüngste Schwester in diesem Altenheim. Mit 55!«

      »Ich habe gehört, es gibt bloß noch vier Schwestern.«

      »Stimmt. Wir halten die Fahne hoch!« Sie nickte Katinka zu und ging weiter zu den nächsten Gästen, die gerade vom Parkplatz herüberkamen, ein Paar mit zwei Kindern.

      »Herzlich willkommen«, rief Schwester Irmtraud. »Verraten Sie mir Ihre Namen? Wir haben Badges vorbereitet.«

      »Martin Süderbeck«, sagte der Mann. »Und Carola. Meine Frau.«

      Sieh an, das ist er also, dachte Katinka. Anja Riedeisens erste Liebe.

      Martin Süderbeck war groß, schlaksig, sein lockiges braunes Haar lichtete sich bereits, aber der grau melierte Dreitagebart gab ihm ein charmantes Aussehen. Er lächelte Schwester Irmtraud an, als er sein Namensschild in Empfang nahm. Grübchen in den Wangen. Ein jung gebliebenes Gesicht.

      »Bitte sehr«, freute sich Schwester Irmtraud. »Und für die Kinder?«

      »Linda und Delia. Eigentlich wollten sie gar nicht mit, lieber bei der Oma bleiben, nicht wahr?«, wandte er sich an zwei Mädchen von etwa zehn Jahren, die einander glichen wie das berühmte Ei dem anderen.

      »Seid ihr Zwillinge?«, wollte Schwester Irmtraud wissen.

      »Klar, sieht man doch«, antwortete die eine cool.

      Katinka musste grinsen. Durchsetzungsvermögen und Wurstigkeit gegenüber Autoritäten konnte ein Mädchen nicht früh genug lernen.

      Unauffällig behielt sie die Süderbecks im Blick, während sie weiterging. Das Gebäude auf der rechten Hofseite wirkte verlassen. Am Eingang prangte ein Schild: Fremdsprachenkorrespondentenschule. In einem Plastikkasten daneben warteten Flyer auf Interessenten. Katinka drückte die schwere Türklinke. Verschlossen.

      »Das Internatsgebäude ist das andere«, erklärte jemand.

      Katinka drehte sich um. »Gut, dass Sie es sagen. Ich war noch nie hier.«

      Der Mann warf sich in die Brust. »Nein?«

      Sie lugte auf sein Namensschild. Manfred Krone. »Und Sie?«

      »Ich habe mein halbes Leben in diesem Haus als Pädagoge Dienst getan.«

      »Zusammen mit Ihrer Frau, habe ich recht?«

      Er starrte Katinka missmutig an. Es war offensichtlich, dass er dieses Detail gerne bühnenreif ausgestaltet hätte.

      »Und nun gehen Sie in Frührente. Sehen Sie, so schnell sprechen sich Dinge herum.«

      Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das kenne ich wirklich zur Genüge. Wir haben es im Albertus-Magnus-Zentrum mit einer Börse zu tun, nichts bleibt unbekannt.«

      »Schwester Romana hat es mir erzählt.«

      »Romana! Der Name ist Programm. Die Ähnlichkeit mit dem Wort ›Roman‹ fällt ja wohl gleich auf. Also mit einem dicken Schmöker.« Krone hoffte auf eine Reaktion, die ihm belegte, dass sein Witz gut war.

      Katinka ging nicht auf ihn ein. »Sie sieht jung aus. Nicht wie 80.«

      »Nein, sie hat sich gut gehalten, hat ununterbrochen überall mitgemischt. Wer mit jungen Leuten arbeitet, bleibt im Herzen frisch.«

      Du aber nicht, dachte Katinka, während sie den Lodenjanker und den Bauchansatz über der Cordhose