Die Osterglocken. Clara Viebig

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Название Die Osterglocken
Автор произведения Clara Viebig
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783898018982



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Art.

      Wenn der Fluss hoch geht und drunten am Niederrhein auf den flachen Weidestrecken zur Rechten und Linken, auf denen im Sommer das fette braune Rindvieh grast und die selbst im Winter einen grünen Schimmer zeigen, das Wasser fußhoch steht, dann regt sich’s auch in den Straßen der Stadt. Liegt die auch ein Stückchen abseits, die Leute rennen doch ans Ufer und messen mit besorgten Blicken den Wasserstand, rennen dann wieder heim, steigen in ihren Keller und heben in der Ecke die Steinplatte mit dem eisernen Ringe unter »Uf« und »Oha« in die Höhe und leuchten mit dem Lichtstümpfchen am langen Stocke in die Tiefe. Au weh, es geht gar nicht mehr weit hinunter, da blinkt schon unheimlich ein regungsloses schwarzes Wasser und der Lichtschein wirft zitternde Kringel darüber! »Et kömmt«, sagt der biedere Hausvater und kratzt sich hinter den Ohren, »mer müssen uns plagen, dat mer fertig weren!« Und nun geht ein Rumoren los, daß Ratten und Mäusen die Schwänze zu Berge stehen und sie vor Angst die Wände hinanlaufen. Das Sauerkrautfaß wird die Treppe heraufgeschrotet, die Kartoffeln, der Lohkuchen, die Hobelspäne in Körben nach oben geschleppt, und ist einer ein Schlemmer, dann packt er eiligst seinen Johannisberger Kabinett oder sein Moselblümchen unter den Arm und läuft mit jeder bestaubten Flasche extra und birgt sie sicher und birgt sie warm in höheren Regionen. »Oha,« sagt der Hausherr und wischt sich den Schweiß von der Stirne, »dat war en sauer Stücksken!«, setzt sich zu seiner Frau und harrt mit Ruhe der Dinge, die da kommen sollen. Und sie kommen!

      Wenn alles schläft, müde von der Arbeit des Tages, dann fängt unten im Keller ein merkwürdiges Etwas an. Es gluckst und gurgelt unter der Steinplatte, es quillt aus den Ecken, es rinnt feucht über den Boden – erst ein Rinnsälchen, dann ein Rinnsal – erst steht ein Tümpel – dann stehen ihrer zwei, drei – am Morgen ist der ganze Raum ein schwarzer unheimlicher See, am Mittag spült die Flut über die unteren Stufen der Kellertreppe, am Nachmittage steht sie ellenhoch!

      Und draußen in den Straßen? O, da sieht’s hübsch aus! Die harmlosen Rinnsteine, die sich höchstens als einzige Extravaganz zur warmen Jahreszeit ein sanftes Duften erlauben, sind schnell zum Bache geworden. Sie erweitern sich blitzgeschwind in Buchten und Bogen, sie dehnen sich ins Unendliche; aus den Abflussröhren strömt es, von überall kommt’s gelaufen, jedes Loch ein unerschöpflicher Born, es tropft, es sickert, es quillt, es schwillt, es rinnt, es stürzt – die Straßen der unteren Stadt sind Flüsse, der Markt ein Meer, auf schwanken Brettern balanciert man über die Gasse, von einer Haustür zur anderen; wo’s hoch kommt, weiter zum Rhein hinunter, steigt man gar in einen Nachen und stößt sich mit langen Stangen vorwärts. Wer da Parterre wohnt, zieht in die Beletage zu Gast, die Väter der Stadt gondeln zur Sitzung, die gestrenge Justiz, die hohe Verwaltung dito, in manchen Straßen brennen am hellen Tage noch die Laternen, man hat sie in der Eile nicht löschen können; wer Lust hat, kann jetzt das Lied von der großen Seestadt und der Wassernot anstimmen – es paßt. Aus den Fenstern gucken die Leute und lächeln bittersüß – »Ä, Grundwasser!« – Nur die Kinder haben ihre Freude; sie sind eben wie die Bienen, die auch aus giftigen Blüten Honig saugen.

      In dem freundlichen Hause, an dem hübschen Platze, unter dessen hohen Bäumen noch kein Wasser steht, nur die Rinnsteine unnatürlich geschwollen sind, blinkt auch im Keller der bewußte See. Durch die Luke fällt ein ganz schwacher Tagesschein herein auf die Mitte der stillen Flut, die Ecken bleiben dunkel; aber nun huschen zwei glitzernde Pünktchen über die schwarze Oberfläche, Kinderlachen ertönt, so fröhlich wie die Morgensonne, so traulich wie Taubengurren. Aus dem Winkel kommt langsam eine große Waschbütte geschwommen, ein Knabe steht darin und rudert mit einem Holzscheite, und neben ihm hockt ein kleines Mädchen. In jeder Hand hält sie einen Bindfaden, daran zieht sie zwei ausgehöhlte Nußschalen hinter der Bütte her; in jeder Nußschale klebt ein brennendes Wachslichtlein, das leuchtet hell und lustig wie ein Stern. Mit aufmerksamen Augen folgt das Mädchen dem Gleiten der kleinen Boote, der Knabe aber streckt das Bein über den Büttenrand, taucht ein bis weit über den Stiefelschaft und schlenkert kräftig nach rechts und nach links: »Kuckst de, das gibt Wellen!« Die Bütte schwankt, das Wasser spritzt, die Kinder jubeln laut. Weiter geht die Fahrt. »Wendekreis des Krebses!«, ruft der kühne Schiffer, daß die Wölbung wiederhallt – und nun »Wendekreis des Steinbockes!« mit majestätischer Schwenkung wird ein Lattenverschlag umfahren – »Kap der guten Hoffnung, aussteigen!« Man landet an der Kellertreppe, mit keckem Satze schwingt sich der Bube heraus, zieht mit der Linken die stolze Fregatte näher heran und hilft mit der Rechten der Gefährtin.

      Wie zierlich die kleine Mamsell sich bewegt, wie sie halb ängstlich, halb selig aufkreischt, als jetzt der Schiffsrand sich neigt und das Wasser über ihre Füßchen platscht. Nun stehen sie beide auf den schlüpfrigen Stufen, mit nassen Füßen, mit nassen Kleidern, aber seelenvergnügt. Die Wangen glühen ihnen wie rote Rosen, man glaubt selbst durch das Kellerdunkel ihre Augen glänzen zu sehen und mitten in der Moderluft den süßen Hauch der Kindlichkeit atmen. »Du, Mariechen«, sagt der größere Junge und tippt der Kleinen mit dem nassen Finger auf den blonden Krauskopf, »das war fein! Wann ich groß bin, fahr’ ich aufs Weltmeer, das is noch viel feiner.«

      »Nimmst Du mich dann mit, Karlchen?«

      »Ne,« antwortete er geringschätzig, »Mädchens fahren nich auf dem Weltmeere!«

      »O ja,« sie verzieht das Mäulchen, »die fahren doch – ich will aber mit Dir fahren.«

      »Ne, Du kannst nich!«

      »O ja,« sie verzieht das Mäulchen noch mehr und nun tropft ein Tränchen aus den großen Augen. »Du ek – li – er Jung« – sie schluchzt laut, »ich – will – mit – fahren – Du – ek – li – er« – »Sei still, Mariechen,« schon umschlingt der Knabe die Gespielin und gibt ihr dann, sie loslassend, einen freundlichen Schubs, daß sie beinahe das Gleichgewicht verliert, »sei nich so dumm, Du fährst ja mit, ich heirat Dich doch – wein nich!«

      Sie läßt das Weinen und blinzelt ihn unter ihrem Lockengeringel hervor fragend an; dann hebt sie das Fingerchen und sagt so ernsthaft wie eine Alte: »Wahrhaftig ins Gott, Karlchen?« »Wahrhaftig ins Gott,« bekräftigt er, »und nu –«

      Da wird die Kellertür aufgerissen, »Karl, Mariechen, wo seid Ihr? – Jeses, Maria, da stehn die Kinder! So ’ne Blagen, so ’ne Puten!« Atemlos stürzt das Grittchen, die alte Magd, die Treppe herunter und zieht die Kinder unsanft mit sich die Stufen hinauf – »Marie, Karlchen, komm Du nach oben, Du kriegst Haues, un Mariechen – ne, dat Kind! Dem sein Röcksken is ja quatschennaß – mach, du Krott, daß du nach Haus kommst, Dein Mamma war als zweimal hier, die sucht dich überall!«

      Die Kellertür wird zugeschlagen, die blinkenden Lichtchen drunten flackern noch einmal auf, dann verlöschen sie; es wird ganz still und dunkel.

      * * *

      In dem freundlichen Hause an dem hübschen Platze mit den hohen Bäumen hatte der Herr Rechnungsrat Zehrenpfennig mit Frau und Sohn viele Jahre gewohnt. Nun war er tot; am Gallenfieber gestorben, aus Ärger über seinen nichtsnutzigen Lümmel meinten die Leute, und da hatten sie so unrecht nicht.

      Aus dem Karlchen, das heimlich in der Bütte fuhr und auf die nassen Hosen vom gestrengen Herrn Papa eins aufgezählt bekam, war ein großer Karl geworden. Ein hübscher, frischer Bengel, gar nicht böse, gar nicht dumm, und doch zu nichts zu gebrauchen. In der Schule saß er zu unterst und kaute gelangweilt an der Feder, jede Freistunde lag er unten am Rhein bei den Schiffern, hantierte mit denen auf ihren Kähnen herum, rauchte aus der kurzen holländischen Tonpfeife und ließ sich Wunderdinge erzählen. Die halben Nächte saß er wach im Bette und las mit pochendem Herzen und brennenden Augen die Abenteuer und Gefahren kühner Seefahrer und Entdecker.

      Die Lehrer klagten, die Eltern klagten, der Junge wurde nicht anders, im Gegenteile! Eines Tages kommt er nicht zu Tische, man wartete auf ihn, die Mutter wurde schon ängstlich, der Vater machte sich selbst auf, um nach dem Karl zu sehen. Recht ärgerlich wandelte der Herr Rechnungsrat die Straße hinunter – da, ist’s möglich?! In dem Winkel, den zwei vorspringende Häuser bilden, steht das verlorene Söhnchen, den Rücken der Straße zugekehrt, ein Buch gegen die Mauer gestemmt und liest und liest unbekümmert um Lärm und Wagengerassel. Ein heftiger Schlag auf die Schulter schreckt den Versunkenen auf, im Bogen fliegt der edle Cooper in den Schmutz,