Rechts und links. Roth Józef

Читать онлайн.
Название Rechts und links
Автор произведения Roth Józef
Жанр Повести
Серия
Издательство Повести
Год выпуска 0
isbn



Скачать книгу

Ledergehänge, weiche, gelbe Stiefel und Reithosen von einer ungewöhnlichen Breite: so ging er dahin, ein Gott der Verpflegungsbranche. Sein Dienst bestand im Einkauf und in der Requisition von Vieh und Getreide und vollzog sich im Hinterland, in der Etappe und in besetzten Gebieten. Er fuhr durch Städte und Länder, aß und schlief bei Gutsbesitzern, die sich von ihrer Vaterlandsliebe nicht abhalten ließen, um eine Zubilligung übertriebener Preise bei Paul zu werben und um die Milderung der Requisitionen. Auf ihn übten die Freundlichkeiten seiner Opfer keine Wirkung. Der Staat hatte einen Helden verloren und einen unbestechlichen Verpflegungsoffizier gewonnen. Denn Paul requirierte und drückte die Preise mit dem Ressentiment eines Revolutionärs, seine Gesinnung unterstützte seine dienstliche Aufgabe, und die Furcht, mit der ihm seine Opfer begegneten, schmeichelte ihm ebensosehr wie die Schätzung, deren er sich bei den Kriegsgegnern erfreute. Im übrigen schätzte man auch seine dienstliche Gewissenhaftigkeit. Sie behütete ihn vor jedem Verdacht. Und also gelang ihm wie wenigen die Vereinigung militärischer Tugenden mit einer antimilitaristischen Gesinnung. Ebenso wie er einmal imstande gewesen war, vernünftige Bücher zu lesen, kluge Gespräche zu führen und dann in der Gesellschaft der Mädchen billige Torheiten zu sagen, so konnte er jetzt in Offizierskasinos und auf „Landsitzen” plaudern, Operettenschlager auf dem Klavier spielen und sich dem Tanz hingeben und gleichzeitig seinen nächsten Artikel zurechtlegen, über die Möglichkeiten einer Demonstration nachdenken, seine Rede vorbereiten. Verworren sind in den Herzen und Hirnen der Menschen Überzeugung und Leidenschaften, und es gibt keine psychologische Konsequenz.

      Eines Tages lernte Paul den Gutsverwalter Nikita Bezborodko kennen, ein paar Meilen südlich von Kiew. Bezborodko rühmte sich, einer alten Kosakenfamilie zu entstammen. Stark, unerschrocken, schlau und verwegen, hatte Nikita schon mehrere Requisitionen abgewehrt, Einkäufer der Armee um ansehnliche Summen betrogen, Befehle sabotiert, Lieferungen falsch ausgeführt, statt der assentierten gesunden Pferde kranke und erblindete der Armee zugeführt.

      Zum erstenmal stieß er bei Paul Bernheim auf einen Widerstand. Paul erstattete gegen den Kosaken die Anzeige. Aber es kam zu keiner Verhandlung. Einmal begegneten Paul und der Ukrainer einander auf dem Bahnhof in Shmerinka.

      „Guten Tag, Herr Leutnant!” sagte der Kosak.

      „Sie sind nicht eingesperrt?”

      „Wie Sie sehen, Herr Leutnant! Ich habe meine Beziehungen.”

      Sie tranken ein paar Gläschen. Sie saßen in einer improvisierten Schenke, einer dunklen und kahlen Holzbaracke, durch deren winzige, offene Fensterluken der Wind strich und die Vögel flogen. Auf einmal sagte der Kosak:

      „Ich habe hier ein paar Flugzettel für Sie, Herr Leutnant!” „Ich lasse Sie verhaften”, erwiderte Bernheim und erhob sich. Der Kosak stand an der Tür, die er überwachte, ein breites Lächeln im Angesicht, in der Rechten ein Messer. „Hände hoch!” rief er, das Lachen in der Stimme. Bernheim wußte nicht, ob der Ukrainer ein Spitzel war und im Dienst der militärischen Geheimpolizei stand, ob er ein Revolutionär war, ob er die Flugzettel nur durch einen Zufall bekommen hatte, ob er in der Besoffenheit sprach. Es wurde Abend, der Wind heulte, Paul Bernheim beschloß auf jeden Fall, die Flugzettel zu verlangen. Er konnte später immerhin sagen, daß er eine List angewandt hatte.

      Der Kosak warf ihm mit der linken Hand ein Bündel zu, immer noch an der Tür, das Messer gezückt in der Rechten. In der Dämmerung schien er größer zu werden. Ein silbriger Glanz ging von seinem sandgelben Mantel aus, seiner hellgrauen Pelzmütze, seinen gelben Stiefeln aus rohem Leder, seinen grauen Augen. Er erreichte die Decke der Baracke. Bernheim fühlte sich in dem Maß kleiner werden, in dem er sich einbildete, den anderen wachsen zu sehn. Eine Furcht, aufgestiegen aus längst vergessenen Kinderjahren, Erinnerung an Gespensterträume, an schaurige Phantasien in dunklen Zimmern, griff mit hunderttausend Armen nach dem erwachsenen Mann. Der Schnaps, den er sonst ohne Schaden zu trinken verstand, verwirrte ihn heute, weil er einen halben Tag nichts gegessen hatte. Weshalb bin ich nur mit dem Kerl hierhergegangen. Es war der einzige klare und ganze Satz, den er denken konnte. Sonst huschten nur halbe Sätze durch sein Hirn, und der Ausdruck „letzte Stunde” kehrte immer wieder, wie ein Schmerz, der für Augenblicke verschwindet, den man aber erwartet und den man begrüßt, weil die Qual des Wartens stärker ist als er.

      Plötzlich fiel Bernheim noch ein Wort ein. Ein Wort, dessen Torheit Pauls Entschluß in einer anderen Stunde nicht hätte bestimmen können. Eines jener leeren Worte, die als Bruchstücke traditioneller Leitsätze, pädagogischer Formeln, vorgeschriebener Lesebücher, für Kinder bearbeiteter Heldensagen sich für ein ganzes Leben in unseren Gehirnen einnisten, wie Fledermäuse reglos bleiben, solange wir wach sind, und nur die erste Dämmernis unseres Bewußtseins abwarten, um wieder in uns herumkreisen zu dürfen. Ein solches Wort fiel Bernheim ein, es hieß: schmähliches Ende. Eine Vorstellung, die, so kindisch sie sein mag, auch einen klügeren Mann veranlassen kann, das, was man Männlichkeit nennt, zu mobilisieren. In Paul Bernheim lebten noch Vorstellungen, die er sich als Kriegsgegner und Rebell nicht eingestehen wollte – Vorstellungen von einem „würdigen Tod” zum Beispiel – , denn auch ein kurzer Dienst bei den Dragonern bleibt nie ohne jede Wirkung. Kaum hatte sein getrübtes Hirn jenes Wort geboren, als er das Dümmste tat, was er in seiner Lage hätte tun können: Er griff nach seinem Revolver wie ein Held. Im Nu steckte das Messer Bezborodkos in seinem rechten Arm. Paul konnte noch sehen, wie sich die Tür der Baracke sehr schnell Öffnete und wie das letzte, grünliche Licht des dämmernden Himmels in den nun völlig finsteren Raum einbrach. Dann fiel die hölzerne Tür wieder zu – Paul Bernheim hörte das Geräusch und wieder war es finster. Bezborodko war fort.

      Paul versuchte nicht mehr, das Messer aus seinem Arm zu ziehen. Die Dunkelheit des Raumes, die ihn umhüllte, schien in seinem Innern eine andere, noch dichtere Dunkelheit zu erzeugen, die gleichsam aus dem Sehnerv ins Auge drang, ebenso wie die äußere Finsternis durch die Netzhaut. Finsternis innen und außen. Er wußte nicht, ob er die Augen noch offenhielt oder schon geschlossen hatte. In seinem Arm schien der Schmerz zu klingen, als gäbe das Blut, das an den Stahl schlug, einen metallenen Laut.

      Er erwachte ein paar Stunden später, mit verbundenem Arm, auf einem Sofa, im Zimmer des jüdischen Schankwirts, um sofort wieder einzuschlafen.

      Ein paar Tage später verließ er Shmerinka. Die Flugzettel waren verschwunden. Das Ganze erschien ihm jetzt unwirklich, ein Traum, und er begann, fast zu zweifeln, ob er die Wunde wirklich von Bezborodko empfangen hatte. Auch dieser blieb verschwunden.

      Immerhin hatte dieses Ereignis ihn aus der Sicherheit gebracht, in der er gelebt hatte. Der Krieg dauerte nun schon das dritte Jahr. Wer kann sagen, ob es Furcht war oder Gewissen, was Paul Bernheim jetzt veranlaßte, seinen angenehmen Dienst aufzugeben und sich freiwillig an die Front zu melden? Es war, als hätte ihm der Tod, wie er so am Abend in der Baracke an ihm vorbeigegangen war, eine Ahnung von seiner roten und schwarzen und schrecklichen Süßigkeit geschenkt und in Paul die Sehnsucht nach ihr geweckt. Er kümmerte sich nicht mehr um seine Freunde, ihre Zeitungen, ihre Reden. Er desertierte aus ihrem Lager, wie er einst zu ihnen desertiert war.

      So vielfältig und unbegreiflich ist der Mensch.

      IV

      Also ging Paul Bernheim an die Front.

      An einem trüben und kühlen Novembertag – der Regen, der vom Himmel kam, vermischte sich mit dem Nebel, der von der Erde emporstieg – fuhr Bernheim als Einzelreisender ins Feld.

      Er war nunmehr Leutnant im x-ten Infanterieregiment, das seit einigen Wochen seine Stellungen am südlichen Teil der Ostfront bezogen hatte. „Hast du Glück”, hatten ihm die Kameraden im Kader gesagt, „gerade jetzt gehen wir an die ruhigste aller Fronten. Vor einigen Tagen hättest du uns noch in den Alpen suchen müssen, in der Hölle!” Paul hätte es vorgezogen, sein Regiment in den Alpen aufzusuchen, wo der Tod heimischer war als im Osten. Es störte seine Entschiedenheit, mit der er sich zur Infanterie gemeldet hatte und mit der er sein bisheriges Leben endgültig von dem kommenden abzugrenzen entschlossen war, daß die Ostfront eine „idyllische” genannt wurde. In dem Stadium, in dem er sich jetzt befand, wünschte er sich die stärksten Erlebnisse, die größten Gefahren, die härteste Unbill. Es galt, wie er sich sagte, den glücklichen und seltenen Zustand seiner Entschlossenheit so gründlich auszunützen, daß er schließlich ein dauernder werde. Er fürchtete,