Sophienlust 312 – Familienroman. Bettina Clausen

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Название Sophienlust 312 – Familienroman
Автор произведения Bettina Clausen
Жанр Языкознание
Серия Sophienlust
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740965044



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in den Speisesaal setzen. Wenn du dann wirklich nichts isst, ist es halb so schlimm.«

      »Nein.«

      »Nun komm schon«, drängte Fabian. »Ich will dir doch bloß helfen.«

      »Ich will nicht, dass mir jemand hilft.«

      »Du bist wirklich komisch.« Fabian war ratlos. Einen Moment blieb er noch neben Chris stehen, dann zuckte er mit den Schultern und ging ins Haus.

      Beim Austeilen des Essens durfte jeden Tag ein anderes Kind helfen. An diesem Sonntag war Irmela, das älteste Mädchen unter den Kindern, an der Reihe.

      »Der Neue fehlt«, sagte sie zu Schwester Regine. »Soll ich ihn suchen?«

      »Ich mache das selbst.« Schwester Regine gab Irmela die Suppenschüssel und verließ den Speisesaal.

      Sie fand Chris vor dem Haus. »Hast du keinen Hunger?«

      Der Junge schüttelte den Kopf.

      »Ins Haus kommen musst du trotzdem.« Schwester Regine nahm Chris einfach bei der Hand.

      »Ich will aber nichts essen.«

      »Du brauchst nichts zu essen, wenn du keinen Hunger hast. Niemand zwingt dich dazu.« Die Kinderschwester brachte Chris in den Speisesaal. Dann beachtete sie ihn nicht weiter. Sie wusste, jeder Zwang war hier fehl am Platze, würde den Jungen nur noch störrischer machen. Wenn er Hunger hat, dann isst er auch, dachte Schwester Regine, und sie behielt recht.

      Chris sah die anderen Kinder essen. Noch dazu Sachen, die so gut aussahen. Er schluckte, überlegte: Wem hatte er gesagt, dass er nichts essen wolle? Eigentlich doch nur Fabian und der Kinderschwester. Er schielte zu Fabian hinüber. Der sah ihn nicht. Und die Kinderschwester war jetzt gar nicht da. So griff er nach seinem Löffel. Mit gesenktem Blick begann er zu essen. Hastig und hungrig.

      *

      »Noch einen Kaffee?«, fragte Robert Schubert.

      »Nein, danke, Robert.« Sandra Kranz schaute auf die große Uhr an der Wand des Steakhauses. »Ich muss zurück ins Büro. Meine Mittagszeit habe ich ohnehin schon überzogen. Aber es war schön, dich zu sehen, Robert.« Sie berührte seine Hand, die auf dem Tisch lag.

      Robert hielt ihre Finger fest. »Wann sehen wir uns wieder?«

      Sandra überlegte. Dabei schaute sie zum Fenster hinaus, ohne zu sehen, was dort geschah.

      Ihre kurze Bubikopffrisur ließ sie jünger als fünfunddreißig erscheinen. »Wie sehen deine Pläne fürs Wochenende aus?«

      Robert lachte kurz. »Ich habe keine. Meine amerikanischen Kollegen hören freitags am frühen Nachmittag auf zu arbeiten. Ab drei Uhr sind sämtliche Büros verwaist, die Computer stehen still.«

      Robert Schubert war Maschinenbau-Ingenieur und von seinem deutschen Arbeitgeber für vier Monate zu einer amerikanischen Schwesterfirma versetzt worden. Genauer gesagt, er hatte um die Versetzung gebeten, um Sandra Kranz wiedersehen zu können. Vor einem Jahr hatte er sie in Deutschland kennen gelernt. Zufällig.

      Sandra sagte: »Dann schlage ich vor, wir treffen uns am Freitagabend. Ich höre um vier auf zu arbeiten.« Sie sprach Deutsch mit einem leichten amerikanischen Akzent. Das war kein Wunder nach einem Aufenthalt von fast zwanzig Jahren in Amerika. Sie hatte vor fünfzehn Jahren in Deutschland geheiratet und war ein Jahr später mit ihrem Mann in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes hatte sie zum ersten Mal wieder Deutschland besucht und dabei Robert Schubert kennen gelernt. Jetzt war Robert in Kalifornien, und sie sprachen über eine gemeinsame Zukunft. Sandra konnte das noch immer nicht ganz glauben.

      Robert nahm die Rechnung. Sandra und er standen auf. Die Kasse war neben dem Ausgang. Dort bezahlte er.

      Sonnenschein empfing die beiden, als sie aus dem luftgekühlten Lokal traten. Sandras Büro war ganz in der Nähe.

      »Ich gehe zu Fuß«, sagte sie und reichte Robert die Hand. »Bis morgen Abend, Robert.«

      »Bis morgen! Ich freue mich schon.« Er küsste sie auf die Wange. Dann ging er zu dem Parkhaus, in dem sein Wagen stand. Der Wagen, den die amerikanische Firma ihm zur Verfügung gestellt hatte.

      Robert fuhr zurück zum Bürohaus der Company. Eigentlich hatte er um den Aufenthalt in Kalifornien gebeten, um Sandra wiedersehen zu können. Doch jetzt machte ihm die Arbeit selbst Spaß. Er frischte sein Englisch auf und lernte in seinem Fach eine Menge dazu. Außerdem verfolgte er seinen Plan. Er wollte Sandra bitten, ihn zu heiraten und mit ihm nach Deutschland zurückzukehren. Darüber gesprochen hatten sie schon. Sandra war auch nicht abgeneigt, aber sie war der Meinung, sie würden einander noch zu wenig kennen. Also lernten sie sich jetzt besser kennen.

      Als Robert am Freitagabend zu Sandra kam, um sie zum Essen abzuholen, hatte sie selbst gekocht.

      »Du musst doch endlich einmal erfahren, dass ich auch kochen kann«, empfing sie ihn lächelnd.

      Der Esstisch in ihrer Wohnung war festlich gedeckt, sogar frische Blumen standen darauf. »Das ist eine Überraschung.«

      Sandra lächelte. »Ich wollte dich überraschen.« Sie ging zurück in die Küche, ließ aber die Tür offen. »Es dauert höchstens noch zehn Minuten«, rief sie. »Nimm dir inzwischen einen Aperitif.«

      »Möchtest du auch einen?«, fragte Robert.

      »Ja, einen trockenen Sherry, bitte.«

      Robert überflog die wenigen Flaschen in ihrem Barschrank. »Tio Pepe« war ein trockener Sherry. Er goss zwei Gläser voll und ging damit in die Küche. »Kann ich dir helfen?«

      »Danke! Es ist lieb von dir, aber ich bin schon fertig. Es gibt Sirloin-Steak mit Salat. Danach frische Erdbeeren mit Sahne. Ist das in Ordnung?«

      »Das ist wunderbar.« Das war keine Höflichkeitsfloskel. Ihre Idee, selbst zu kochen, begeisterte ihn wirklich. Auch dass es ein typisch amerikanisches Essen war, fand er gut. Deutsche Gerichte konnte er schließlich in Deutschland essen.

      Das Steak war gerade richtig. So, wie es sein sollte, halb durch. Es schmeckte großartig, genauso der Salat. Dazu tranken sie kaltes Bier.

      Nach dem Essen fragte Sandra nach Chris. Sie wusste, dass der Junge in einem Heim war. »Wird er dort nicht unglücklich sein? Ich meine, er ist doch an dich gewöhnt.«

      »Sophienlust ist kein Heim im üblichen Sinne.« Robert begann von dem alten Herrensitz zu erzählen. Er schilderte den Park, die Gebäude und die dort lebenden Tiere ausführlich.

      »Das klingt hübsch«, meinte Sandra. »Hoffentlich empfindet Chris es auch so.«

      »Du machst dir Sorgen um ihn?«

      Sie nickte. »Natürlich. Schließlich gehört er zu dir. Und außerdem mag ich Kinder wahnsinnig gern.«

      »Warum hast du dann keine?«

      Er hatte die Frage gestellt, ohne zu überlegen. Als er ihr Gesicht sah, bedauerte er es. »Entschuldige, Sandra. Eigentlich geht mich das gar nichts an.«

      Sie widersprach ihm. »Natürlich geht es dich etwas an. Ich wollte immer Kinder haben. Hans – mein Mann – genauso. Als wir keine bekamen, ließen wir uns untersuchen. Es lag an mir.« Sie schluckte und schwieg.

      Robert griff über den Tisch nach ihrer Hand.

      »Deshalb habe ich dich nach Chris gefragt.« Sie versuchte zu lächeln. Es gelang ihr sogar.

      »Dieses Kinderheim, in das ich Chris gebracht habe, ist sehr schön, aber er wollte nicht hin. Todunglücklich war er, als ich ihn dort ablieferte.«

      Sandra sah betroffen aus. »Sicher gibt er mir die Schuld daran, dass er dich so lange entbehren muss.«

      »Unsinn«, widersprach Robert ihr.

      »Doch, Robert. So denken Kinder.«

      »Vielleicht hast du sogar recht.« Robert dachte an sein letztes Gespräch mit Chris. Einen Moment lang war er versucht,