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erwartest du denn, wenn du nachts bei meiner Freundin auftauchst?«

      »Richtig. Deine Freundin.« Marlon verzog kaum merklich das Gesicht. Dennoch war es mir nicht entgangen.

      »Na komm, wir bringen dich mal nach Hause.« Hendrik griff Marlon unter die Arme und bugsierte ihn zur Tür. Mir war die ganze Situation sehr unangenehm. Innerlich war ich bereits darauf gefasst gewesen, einen wunden Nerv getroffen zu haben. Ich versuchte, Hendrik so diplomatisch wie möglich den Wind aus den Segeln zu nehmen und einem eventuellen Streit vorzubeugen. Ich hatte keine Ahnung, wie die zwei auseinandergegangen waren, nachdem ich mich für Hendrik entschieden hatte. Ob sie überhaupt noch miteinander sprachen.

      »Ich weiß nicht genau, wie ihr momentan zueinandersteht, aber ich wusste wirklich nicht, wen ich sonst hätte anrufen können.«

      »Alex, ganz ruhig. Es ist okay, dass du angerufen hast. Auch wenn ich verdammt angefressen bin, dass er so bei dir aufgetaucht ist. Aber da kannst du ja nichts für.« Wow, konnte der Mann erwachsen sein, wenn er es wollte.

      »Ich wusste es doch, du bist einer von den Guten«, sagte ich gerührt und küsste ihn, bevor Marlon wieder bedrohlich ins Schwanken geriet.

      »Schick mir eine Nachricht, wenn du ihn heil abgesetzt hast.«

      »Alex macht sich Sorgen. Gott, kannst du süß sein.« Ich ließ den Kommentar ohne Erwiderung in der Luft schweben, schloss die Tür hinter den beiden und ging nach oben.

      ***

      Am nächsten Morgen rief mich Hendrik an.

      »Hey. Wie geht’s ihm?«

      »Verkatert, peinlich berührt, aber den Umständen entsprechend gut.«

      »Hat er gesagt, was los war?« Ich hatte die halbe Nacht darüber nachgedacht. Mich unruhig hin und her gewälzt, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können. Marlon beschäftigte mich deutlich mehr, als mir lieb war. Ich wollte mir keine Sorgen machen. Doch das tat ich. Und das nicht gerade wenig.

      »Sein Paps ist im Krankenhaus.« Scheiße, ich wusste es. Ich wurde ganz still. »Er wurde gestern operiert und ist jetzt wohl über den Berg. Was genau war, weiß ich nicht. Marlon war ziemlich kurz angebunden.«

      »Kennst du seinen Vater?«

      »Ziemlich gut sogar. Hat mich auch etwas geschockt. Wir fahren heute zusammen hin und ich hab ihm geraten, erst mal zu Hause zu bleiben.« Ich nickte. »Bist du noch dran?«

      »Ich habe genickt«, sagte ich lediglich.

      »Wird schon wieder. Ich glaube, die Schmach, dass er so sturzbetrunken bei dir aufgetaucht ist, sitzt deutlich tiefer als die Sorge um seinen Paps.«

      »Okay. Kümmere dich um deinen Freund. Ich kläre das im Restaurant.« Mehr konnte ich ohnehin nicht machen. Wir legten auf und ich trat unter die heiße Dusche. Diese Nachricht musste ich erst mal verdauen.

       4

      Marlon hatte sich wie geraten einige Tage freigenommen und Hendrik mich auf dem Laufenden gehalten. So wie es aussah, war das Gröbste wohl überstanden. Der Rest von uns hatte die Stellung gehalten. Aber ich war heilfroh, als Marlon Dienstagfrüh wieder da war. Er grüßte höflich, blieb aber ansonsten auf Abstand, was ich ihm nicht verübeln konnte. Dennoch wollte ich mich erkundigen, wie es ihm ging.

      Während meiner Mittagspause stattete ich ihm einen Besuch in seinem Büro ab. Als ich die Tür öffnete, saß er gestresst wirkend an seinem Schreibtisch.

      »Viel zu tun, wie ich sehe.« Durch seine Abwesenheit war der Papierstapel nicht weniger geworden. Die Briefablage quoll wie immer über. Das dunkle Grün der Tischplatte war unter den unzähligen Haftnotizen und aufgeklappten Aktenordnern kaum noch zu sehen. Mein Blick fiel auf das Telefon neben dem Stifteköcher. Ein Riss im Plastikgehäuse war notdürftig mit Klebeband abgedeckt worden. Ich schmunzelte innerlich. Ja, dieser Riss geht auf unser Konto. In Gedanken sah ich das Telefon scheppernd zu Boden fallen. Papiere flogen durch die Luft, verteilten sich großflächig auf dem Fußboden des kleinen Raums, während unsere halb nackten Körper wild nacheinander greifend auf dem Schreibtisch Unzucht trieben.

      Ein zartes Vibrieren schlich sich mir unter die Fingerkuppen, erinnerte mich an Marlons kräftige Brust, an die Wärme, die ich bei jeder Berührung seiner samtweichen Haut gespürt hatte. Automatisch strich ich mit meinem Daumen über meine Fingerspitzen, spürte fast seinen pochenden Puls daran. Das leise Prickeln auf jedem Zentimeter seines Körpers, den ich mit zittrigen Fingern erkundet hatte.

      »Das passiert nun mal, wenn man nicht da ist.« Marlon riss mich aus meinen Gedanken. Fiebrig schüttelte ich den Schauer der Erregung ab, kniff kurz die Augen fest zusammen und sah beim Öffnen den Schreibtisch wieder zugemüllt und vollgestellt vor mir. Ich atmete tief durch und konzentrierte mich auf den Moment. Marlon sah deutlich entspannter aus als noch vor einigen Tagen. Der normale Stresspegel der Arbeit spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Aber der bedrückte, gequälte Ausdruck in seinen Augen war verschwunden.

      »Wie geht’s dir?«

      »Alles gut.«

      »Und dein Vater? Hendrik hat mich ins Bild gesetzt. Ich hoffe, das ist okay.«

      »Der baggert schon wieder die Krankenschwestern an. Dem geht’s gut.« Ein zartes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Diese wunderbar vollen Lippen, die beinah jeden Teil meines Körpers mit Küssen benetzt hatten. Seine Küsse, so eindringlich und intensiv, dass ich sie noch immer auf mir zu spüren glaubte. Die Erinnerung kroch mir förmlich unter die Bluse, krabbelte meine Brust hinauf, über mein Schlüsselbein und verweilte an meiner Halsschlagader, die stark pulsierte.

      »Freut mich, dass alles wieder im grünen Bereich ist«, sagte ich so locker, wie ich nur konnte, um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich meinen grünen Bereich längst verlassen hatte. Obwohl wir über zwei Meter auseinanderstanden, der Schreibtisch uns abschirmte, spürte ich seine Nähe so intensiv, als würden unsere Körper augenblicklich miteinander verschmelzen. Ein Zustand, den ich nur allzu gern beenden wollte. Es ärgerte mich, dass sich meine Libido so einfach reizen und mich zu Tagträumen verleiten ließ. Ich überlegte kurz, ob ich nicht besser gehen und meinen Fantasien gedanklich einen Arschtritt verpassen sollte, aber die Frage, warum er ausgerechnet bei mir aufgetaucht war, schwappte unaufhörlich in meinem Hirn hin und her. Also holte ich tief Luft und schüttelte mein Kopfkino ab. Wie Sandkörnchen nach einem Tag am Strand streifte ich mir innerlich seine Berührungen von der Haut und setzte mich ihm gegenüber.

      »Na, was willst du noch loswerden? Ich kann es in deinem Gehirn rattern hören.« Ist das so offensichtlich?

      »Wieso bist du zu mir gekommen?«, begann ich zögerlich. »Ich meine, gut, du warst ziemlich betrunken und das sicher nicht grundlos. Aber du hättest doch überall hingehen können. Wieso gerade zu mir?« Marlon schwieg. Auch er schien gedanklich ganz woanders zu sein. Ich bezweifelte jedoch, dass er wie ich in Erinnerungen an unsere heiße Nummer auf dem Schreibtisch schwelgte.

      »Belassen wir es dabei, dass ich zu betrunken war, um klar denken zu können«, sagte er und wandte seinen Blick wieder schwer beschäftigt von mir ab. Ich hatte mit einer klaren Antwort gerechnet, besser gesagt, darauf gehofft. Marlon hatte nie zum Ausdruck gebracht, welchen Stellenwert ich in seinem Leben einnahm. Ob es doch mehr war als Sex und Freundschaft? Allerdings hatte ich auch nie danach gefragt. Jedenfalls nicht direkt. Vermutlich war es auch besser, dass ich es nicht wusste. Schließlich hatte ich ihn ja darum gebeten, sich zurückzuziehen. Mir potentielle Gefühle zu offenbaren, wäre ja das komplette Gegenteil davon.

      »In Ordnung. Belassen wir es bei einem alkoholbedingten Totalausfall.«

      »Ein Totalausfall? War es wirklich so schlimm?« Er hob den Kopf und schaute mich skeptisch an. Jetzt war er doch etwas verunsichert. Mir schien, dass er nicht mehr wirklich viel von dem wusste, was passiert war.

      »Nun ja, an was kannst du dich denn erinnern?«, fragte ich schmunzelnd.

      »Ehrlich gesagt, an nicht viel. Das meiste hat mir Hendrik am nächsten Morgen berichtet. An dieser Stelle noch mal Entschuldigung