Название | Gesammelte Werke von Johanna Spyri |
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Автор произведения | Johanna Spyri |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027209026 |
»Desto besser!« rief Kurt aus, »nun brauchst du aber nicht wieder demütig der Elvira entgegenzugehen, als wärst du die Schuldige, wie du sonst tust, nur damit sie wieder gut ist.«
»Wenn Mea ihrer Freundin wieder freundlich entgegengehen will, Kurt, so hat sie recht«, sagte die Mutter. »Elvira weiss recht gut, wer die andere beleidigt und ihr die Freundschaft gekündigt hat, sie wird Meas Entgegenkommen um so freundlicher aufnehmen.«
Kurt wollte noch eine Einwendung vorbringen; aber sie wurde nicht mehr gehört; Lippo und Mäzli kamen hereingerannt und verkündeten mit lauter Stimme die wichtige Nachricht, Käthi werde gleich die Suppe auf den Tisch bringen, und nun sei dieser noch gar nicht gedeckt.
Die Mutter hatte heute mit den Vorbereitungen zum Mittagessen absichtlich ein wenig gezögert. Immer wieder hatte sie ihre Blicke während des Gesprächs mit Kurt und Mea auf das Pförtchen am Garten gerichtet, ob Bruno nicht endlich dort eintreten würde. Noch war er nirgends zu sehen. Nun ging sie schnell daran, mit Mea den Tisch zu ordnen; noch hilfreichere Hand leistete ihr Lippo dabei. Er wusste genau, wo jedes Ding im Schrank zu finden war und wo es auf dem Tisch seinen Platz hatte. Dahin trug er es und legte es in schönster Ordnung hin, wie es sein musste, und wenn Mea nach ihrer Weise schnell einen Löffel dahin und die Gabel dorthin warf, wohin sie ungefähr gehörten, und diese durch die schnelle Beförderung etwas schief auf die Stelle gelangten, ging er sorglich hin und brachte Löffel und Gabel in ganz gerade Stellung und legte sie genau dahin, wo sie liegen mussten.
Kurt lachte auf: »Lippo muss ein Gastwirt werden, seine gedeckten Tische werden alle aussehen, als seien sie mit dem Zirkel hergestellt.«
»Lasst mir Lippo in Ruh«, sagte die Mutter, »mir wäre sehr lieb, wenn jedes von euch seine kleinen Arbeiten so pünktlich ausführen würde, wie er es tut.«
Schon war das Mittagessen zu Ende gekommen. Die Mutter schaute immer ängstlicher auf den Weg hinaus. Bruno hatte sich noch nicht eingestellt.
»Jetzt kommt er«, rief Kurt plötzlich, »er hat seine grosse Peitsche mit; die braucht man sonst nicht in den Unterrichtsstunden, da hat’s was abgesetzt.« Voller Erwartung öffnete er dem Herankommenden die Tür. Die Mutter sah so erschrocken aus, dass auch Bruno es bemerken musste, trotz der Aufregung, die in ihm kochte und deutlich auf seinem Gesicht zu sehen war.
Gleich bei seinem Eintritt rief er: »Ich will dir nun gleich sagen, Mutter, was vorgegangen ist, damit du dir nicht etwas viel Ärgeres vorstellst: Ich habe sie nur durchgepeitscht, alle beide, wie sie es verdient haben.«
»Das ist doch wohl arg genug, Bruno. Wie schrecklich! Du verrohst mir ja ganz!« jammerte die Mutter. »Wie konntest du nur so etwas tun?«
»Das will ich dir nun gleich erklären, und dann sage du selbst, Mutter, ob ich anders hätte handeln können; es musste so sein«, versicherte Bruno. »Am Sonnabend haben mir die zweie angezeigt, heute müsste eine Tat ausgeführt werden, an der ich auch teilnehmen sollte. Sie hatten entdeckt, dass an dem schönen Pflaumenbaum hinten im Pfarrgarten die prächtigsten grünen Zuckerpflaumen eben reif geworden seien, die sollten geholt werden. Um zwölf Uhr, nachdem unsere Unterrichtsstunden zu Ende sind, geht der Herr Pfarrer nach der vorderen Stube zu Tisch, da sieht kein Mensch, was dann hinten im Garten vorgeht. Gleich heute sollte diese Zeit benutzt werden, den Baum zu schütteln und alle Taschen mit den Pflaumen zu füllen, ich müsse mitmachen. Da habe ich ihnen gesagt, es sei eine Schande für sie, mich dazu aufzufordern; ich würde auch Mittel finden, sie selbst an ihrer Schandtat zu verhindern. Dann haben sie sehr gelärmt: ich sei ein Verräter, wenn ich sie angäbe. Sie selbst hätten mir ihren Plan mitgeteilt, und Verraten sei eine ganz andere Schandtat als Pflaumenschütteln. Ich sagte ihnen, ich hätte nicht im Sinne, sie anzugeben; aber ich würde mit der Peitsche kommen, und sobald sie den Pflaumenbaum berührten, würde ich sie auch berühren und so, dass sie daran denken würden. Sie haben dann nur gelacht und gehöhnt; vor meiner Peitsche zu Hause fürchteten sie sich nicht. Und wie nun heut um zwölf Uhr der Unterricht zu Ende war und die beiden gleich nach dem Garten hinten ums Haus herum liefen, holte ich meine Peitsche hervor, die ich im Hausgang versteckt hatte, und lief ihnen nach. Da war Edwin schon halb oben, und Eugen fing eben zu klettern an. Erst drohte ich nur und wollte dadurch den einen zwingen, herunterzukommen, und den andern, nicht weiter zu steigen. Aber sie höhnten nur fort, bis Edwin den ersten Zweig erreicht hatte und ihn nun mit solcher Gewalt schüttelte, dass die schönsten Pflaumen klatschend auf den Boden schlugen. Da wurde ich so ergrimmt, dass ich drauflos hieb, einmal auf den oberen und einmal auf den unteren, immerzu. Da kugelte der obere auf den unteren herab, und dann liefen beide stöhnend davon; denn ich hieb immer noch auf sei ein. Die Pflaumen liessen sie schön liegen, und nun lief ich auch.«
»Es ist schrecklich, Bruno, immer und immer wieder kommen solche Auftritte zwischen dir und den zweien vor«, jammerte die Mutter, »und du bist immer der Wilde, der tobt und im Zorn so dreinfährt, dass man dich nicht entschuldigen kann, wenn auch deine Absicht gut war. Wenn ich doch einen Weg wüsste, dass du gar nicht mehr mit den beiden zusammenkämst!«
»Heut war’s aber gut, dass er recht zornig wurde, Mutter«, bemerkte Kurt, »siehst du, dann bringt ihn keiner unter, nicht einmal zwei. Wäre er aber ohne Zorn gewesen, so hätten ihn die beiden überwältigt, und der Herr Pfarrer wäre um seine Pflaumen gekommen.«
Ob diese Erklärung ein Trost für die Mutter war, konnte man nicht wissen. Sie war mit einem Seufzer hinausgegangen, um für Brunos verspätetes Mittagessen zu sorgen. Gleich war ja auch die Zeit da, dass alle miteinander sich wieder auf ihre verschiedenen Arbeitsplätze zu begeben hatten.
Als am Abend die Kinder alle zusammen vergnüglich um den Tisch sassen, die Grossen an ihren Schularbeiten, die Kleinen bei ihrem Spiel, kam Kurt hinter den Stuhl der Mutter geschlichen und fragte leise: »Kommt heute die Geschichte?«
Die Mutter nickte bejahend: »Wenn die Kleinen zu Bett gebracht sind.« Mäzli spitzte die Ohren.
Wenn alle Arbeiten abgetan waren, folgte am Abend gewöhnlich noch ein gemeinsames Spiel. Kurt, der sonst immer der erste war, der seine Hefte zusammenpackte, kritzelte immer noch auf seinem Papier fort, als Mea ihre Bücher in den Schrank brachte. Sie schaute ihm über die Schulter auf sein Heft: »Nun schreibt er wieder Verse«, rief sie aus, »wen hast du wieder angesungen, Kurt?«
»Ich will dir’s gleich vorlesen, dann kannst du raten«, sagte der Bruder, »der erste Vers steht anderswo, also zweite Strophe, pass auf, Mea:
‘Sie wirft die Blicke her und hin,
Die alle sagen wollen:
Bin ich allhier nicht Königin,
So hätt ich’s werden sollen.
Die Freundin glaubt es demutsvoll
Und bindet ihr die Schuhe.
Das Fräulein denkt: ‘s ist wie es soll,
Es schickt sich, dass sie’s tue!
Doch zeigt die Freundin noch so sacht
Dem Fräulein seine Tücken,
Gleich ist die Freundschaft ganz verkracht,
Das Fräulein kehrt den Rücken.’«
Erst hatte Mea ein wenig über die Beschreibung des demutsvollen Wesens lachen müssen, in dem sie doch nicht so ganz das ihrige erkannte; aber nun beim Schluss stieg ihr die betrübende Erinnerung wieder auf. »Weisst du, Mutter«, brach sie erregt los, »das ist nicht das Ärgste, dass sie mir den Rücken gekehrt hat; aber dass man gar nie mit ihr einer Meinung sein kann, und dass jedesmal,