Gesammelte Werke von Johanna Spyri. Johanna Spyri

Читать онлайн.
Название Gesammelte Werke von Johanna Spyri
Автор произведения Johanna Spyri
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788027209026



Скачать книгу

der Öhi ihn erblickte. Er wollte aber doch gern sehen, was der Stuhl mache, und der Strauch auf dem Bergvorsprunge war gut gelegen. Der Peter konnte halb verborgen die Alm hinabschauen und, kam der Öhi zum Vorschein, hurtig sich ganz verstecken. So tat er, und was erschauten seine Blicke! Weit unten schon stürzte sein Feind dahin, von immer größerer Gewalt getrieben. Jetzt überschlug er sich, wieder und wieder, dann machte er einen hohen Satz, dann schlug es ihn wieder auf die Erde nieder, und überschlagend rollte er seinem Verderben entgegen.

      Schon flogen da und dort die Stücke von ihm weg, Füße, Lehnen, Polsterfetzen, alles hoch in die Luft geworfen. Der Peter empfand eine so unbändige Freude an dem Anblick, daß er mit beiden Füßen zugleich in die Luft springen mußte. Er lachte laut auf, er stampfte vor Wonne, er sprang in Sätzen im Kreise herum, er kam wieder an denselben Platz und guckte den Berg hinab. Ein neues Gelächter erscholl, neue Luftsprünge; der Peter war völlig außer sich vor Vergnügen über diesen Untergang seines Feindes, denn er sah lauter gute Dinge vor sich, die nun kommen würden. Jetzt mußte die Fremde abreisen, denn sie hatte kein Mittel mehr, sich zu bewegen. Das Heidi war wieder allein und kam mit ihm auf die Weide, und am Abend und Morgen war es für ihn da, wenn er kam, und alles war wieder in der alten Ordnung. Aber der Peter bedachte nicht, wie es geht, wenn man eine böse Tat begangen hat, und was dann nachher kommt.

      Jetzt kam das Heidi aus der Hütte gesprungen und rannte dem Schopf zu. Hinter ihm her kam der Großvater mit Klara auf dem Arm. Die Schopftür stand weit offen, die beiden Bretter daneben waren weggestellt, bis in den hintersten Winkel war es taghell. Das Heidi guckte hin und her, lief um die Ecke, kam wieder zurück, die ungeheuerste Verwunderung lag auf seinem Gesichte. Nun trat der Großvater heran.

      »Was ist das? Hast du den Stuhl weggerollt, Heidi?« fragte er.

      »Ich suche ihn ja allenthalben, Großvater, und du hast gesagt, er stehe neben der Schopftür«, sagte das Kind, immer noch nach allen Seiten mit den Augen herumsuchend.

      Der Wind war unterdessen stärker geworden; eben klapperte er an der Schopftür herum und warf sie auf einmal krachend gegen die Wand zurück.

      »Großvater, der Wind hat's gemacht«, rief das Heidi, und seine Augen blitzten auf bei der Entdeckung. »Oh, wenn er den Stuhl bis ins Dörfli hinabgejagt hätte, dann bekäme man ihn erst viel zu spät wieder, und wir könnten gar nicht gehen.«

      »Wenn er dort hinuntergerollt ist, so kommt er gar nicht mehr zurück, dann ist er in hundert Stücken«, sagte der Großvater, um die Ecke tretend und den Berg hinabschauend. »Aber kurios ist's doch zugegangen«, setzte er hinzu, indem er auf das Stück zurücksah, das der Stuhl erst um die Ecke der Hütte herum zu machen hatte.

      »Oh, wie schade, jetzt können wir gar nicht gehen und vielleicht gar nie«, jammerte Klara. »Nun muß ich gewiß heimgehen, wenn ich keinen Stuhl mehr habe. Oh, wie schade! Wie schade!«

      Aber das Heidi schaute ganz vertrauensvoll zu seinem Großvater auf und sagte:

      »Gelt, Großvater, du kannst schon etwas erfinden, daß es nicht so geht, wie die Klara meint, und daß sie nicht auf einmal heim muß?«

      »Jetzt gehen wir für diesmal auf die Weide, wie wir uns vorgenommen haben; dann wollen wir sehen, was weiter kommt«, sagte der Großvater. Die Kinder jubelten.

      Er trat nun wieder in die Hütte zurück, holte einen guten Teil der Tücher heraus, legte sie auf den sonnigsten Platz an die Hütte hin und setzte Klara darauf. Dann holte er den Kindern ihre Morgenmilch und führte Schwänli und Bärli vor den Stall hinaus.

      »Warum der nur so lange nicht von da unten heraufkommt«, sagte der Öhi vor sich hin, denn Peters Morgenpfiff war ja noch gar nicht ertönt.

      Jetzt nahm der Großvater Klara wieder auf den einen Arm, die Tücher auf den andern.

      »So, nun vorwärts!« sagte er vorangehend; »die Geißen kommen mit uns.«

      Das war dem Heidi eben recht. Einen Arm um Schwänlis und einen um Bärlis Hals gelegt, wanderte das Heidi hinter dem Großvater her, und die Geißen hatten solche Freude, einmal wieder mit dem Heidi auszuziehen, daß sie es fast zusammendrückten zwischen sich vor lauter Zärtlichkeit.

      Oben auf dem Weideplatze angelangt, sahen die Kommenden mit einemmal da und dort an den Abhängen die friedlich grasenden Geißen in Gruppen stehen und mittendrin den Peter, der Länge nach auf dem Boden liegend.

      »Ein andermal will ich dir das Vorbeigehen vertreiben, Schlafpelz, was heißt das?« rief ihm der Öhi zu.

      Der Peter war bei dem Ton der bekannten Stimme aufgeschossen.

      »War noch niemand auf«, gab er zurück.

      »Hast du etwas von dem Stuhl gesehen?« frug der Öhi wieder.

      »Von welchem?« rief der Peter störrisch zurück.

      Der Öhi sagte nichts mehr. Er breitete seine Tücher an den sonnigen Abhang hin, setzte Klara darauf und wollte wissen, ob's ihr so bequem sei.

      »So bequem wie im Stuhl«, sagte sie dankend, »und am schönsten Platz bin ich da. Da ist's so schön, Heidi, so schön!« rief sie, rings um sich blickend, aus.

      Der Großvater schickte sich zur Rückkehr an. Er sagte, sie sollten sich's nun wohl sein lassen miteinander, und wenn die Zeit da sei, sollte Heidi das Mittagsmahl herbeiholen, das er, in den Sack verpackt, drüben in den Schatten gelegt hatte. Dann sollte der Peter ihnen Milch dazu geben, soviel sie trinken wollten, aber das Heidi sollte gut aufpassen, daß er sie vom Schwänli nehme. Gegen Abend wollte der Großvater wiederkommen; jetzt wollte er vor allem dem Stuhle nachgehen und sehen, was aus ihm geworden sei.

      Der Himmel war dunkelblau, und um und um war nicht ein einziges Wölkchen zu sehen. Auf dem großen Schneefelde drüben blitzte es wie von tausend und tausend Gold- und Silbersternen. Die grauen Felsenhörner standen hoch und fest an ihrem Platze, wie vor alter Zeit, und schauten ernsthaft ins Tal hinab. Der große Vogel wiegte sich oben im Blau, und über die Höhen strich der Bergwind hin und wehte kühl rings um die sonnige Alp. Den Kindern war es unbeschreiblich wohl. Von Zeit zu Zeit kam ein Geißlein heran und ließ sich ein wenig nieder bei ihnen; am häufigsten kam das zärtliche Schneehöppli und legte sein Köpfchen an das Heidi heran und wäre da wohl gar nicht mehr weggegangen, hätte es nicht ein anderes von der Herde wieder vertrieben. So lernte Klara jetzt eine um die andere von den Geißen so nahe kennen, daß sie niemals mehr eine mit der andern verwechselte, denn jede hatte ja auch ein ganz besonderes Gesicht und ihre eigene Art.

      Sie wurden jetzt auch so zutraulich zu Klara, daß sie ihr ganz nahe kamen und ihre Köpfe an ihren Schultern rieben; das war immer das Zeichen ihrer nahen Bekanntschaft und Zuneigung.

      So waren schon einige Stunden vergangen; da kam es dem Heidi in den Sinn, wenn es doch einmal hinübergehen könnte an den Platz, wo die vielen Blumen waren, und sehen, ob sie auch alle offenstehen und so schön seien wie vor dem Jahr. Erst am Abend, wenn der Großvater wiederkam, konnte man auch mit Klara hinübergehen, und dann machten die Blumen vielleicht schon wieder die Augen zu. Das Verlangen stieg immer höher im Heidi, es konnte nicht mehr widerstehen.

      Ein wenig zaghaft fragte es: »Wirst du nicht böse, Klara, wenn ich geschwind von dir fortlaufe und du allein sein mußt? Ich möchte so gern sehen, wie die Blumen sind. Aber warte…« Dem Heidi war ein Gedanke gekommen. Es sprang auf die Seite und riß ein paar schöne Büschel von den grünen Kräutern aus. Dann nahm es das Schneehöppli um den Hals, das ihm gleich zugelaufen war, und führte es der Klara zu.

      »So, jetzt mußt du doch nicht allein sein«, sagte das Heidi, indem es auf seinen Platz neben Klara das Schneehöppli ein wenig hindrückte, was das Geißlein gleich gut verstand und sich niederlegte. Dann warf Heidi seine Blätter der Klara in den Schoß, und diese sagte erfreut, das Heidi solle jetzt nur gehen und die Blumen recht ansehen, sie wolle gern allein mit dem Geißlein bleiben; das hatte sie ja noch gar nie erlebt. Das Heidi rannte fort, und Klara fing nun an, Blättchen für Blättchen dem Schneehöppli hinzuhalten, und dieses wurde so zutraulich, daß es sich ganz an seine neue Freundin anschmiegte und die Blättchen ihr langsam aus den Fingern fraß. Man konnte auch gut sehen, wie