Название | Philosophische und theologische Schriften |
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Автор произведения | Nicolaus Cusanus |
Жанр | Философия |
Серия | Kleine philosophische Reihe |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783843800983 |
ZEHNTES KAPITEL
Vom Ausspruche des Richters
Es ist klar, daß kein Sterblicher jenes Gericht und den Ausspruch des Richters zu begreifen imstande ist. Da es über aller Zeit und Bewegung ist, so vollzieht sich jenes Gericht nicht in einer vorausgehenden Erörterung, nicht im Aussprechen von Worten und ähnlichen Äußerlichkeiten, welche eine Zeitdauer in sich schließen, sondern wie in dem Worte (er sprach und es ward) alles erschaffen ist, so wird in demselben Worte alles gerichtet. Auch fällt zwischen den Ausspruch und dessen Vollzug keine Zeitdauer, sondern es ist ein Moment: Auferstehen und Gelangen zum letzten Ziele. Letzteres nach zwei Richtungen: Verklärung durch Aufnahme unter die Kinder Gottes und Verdammung durch Ausschließen der von Gott Abgekehrten sind durch kein Zeitmoment voneinander getrennt.
Die vernünftige Natur, die über die Zeit erhaben und der zeitlichen Zerstörung nicht unterworfen ist, die in ihrer Natur die unzerstörlichen Formen der Mathematik und der Naturwesen begreift und daher der selbst unzerstörbare Ort dieser unzerstörbaren Formen ist, wird durch eine natürliche Bewegung zur reinen, von aller konkreten Beimischung freien Wahrheit (ad veritatem movetur abstractissimam), als zum Ziele ihres Sehens und zu ihrem höchsten, genußreichsten Objekte hingetrieben. Und da dieses Objekt Gott ist, so ist die unsterbliche und unzerstörbare Vernunft nicht befriedigt, bis sie ihn erreicht, da sie nur in dem ewigen Objekte Befriedigung findet. Wenn nun die Vernunft, frei vom Körper, in dem sie den Meinungen der Zeit unterworfen ist (in quo opinionibus ex tempore subiicitur), nicht zum erwünschten Ziele gelangt, sondern vielmehr, während sie doch nach der Wahrheit ein Verlangen hat, in Unwissenheit versinkt, und während ihr höchstes Sehnen kein anderes ist als die Wahrheit selbst, nicht wie in Rätseln und Symbolen, sondern mit höchster Gewißheit von Angesicht zu erfassen, in der Stunde des Scheidens von dieser Welt wegen ihrer Abkehr von der Wahrheit und Hinkehr zu dem Vergänglichen in dieses von ihr erstrebte Vergängliche hinabsinkt, in die Ungewißheit und Verworrenheit, in das finstere Chaos der bloßen Möglichkeit, in der keine wirkliche Gewißheit ist (cum cadat ad incertitudinem et confusionem, in ipsum tenebrosum chaos merae possibilitatis, ubi nihil certi actu), so sagt man mit Recht, sie sei dem geistigen Tode verfallen (recte ad intellectualem mortem descendisse dicitur). Denn für die Seele ist das vernünftige Erkennen ihr Sein, das Ersehnte erkennen ihr Leben. Wie es daher ihr ewiges Leben ist, zuletzt das Ersehnte, Beharrliche, Ewige zu erfassen, so ist es ihr ewiger Tod, von diesem ersehnten festen Ziele getrennt und in das Chaos der Verwirrung hinabgestürzt zu werden, wo sie nach ihrer Weise von dem ewigen Feuer gequält wird, das wir uns nicht anders denken können als die Qual dessen, der der Leben gebenden Nahrung und der Gesundheit, ja, was noch mehr ist, auch der Hoffnung, je diese Güter zu erlangen, beraubt ist, und daher, ohne je zu erlöschen, ohne Ende beständig stirbt in ewigem Todeskampfe (ut sine extinctione et fine semper moriatur agonizando). Das ist ein über allen Begriff qualvolles Leben, denn es ist ein solches Leben, das zugleich Tod ist, ein Sein, das ein Nichtsein, ein Erkennen, das ein Nichtwissen ist. In dem Früheren ist gezeigt, daß die Auferstehung der Menschen erhaben über alle Bewegungen, Zeit, Quantität und über anderes, was zur Zeit gehört, erfolgt, so daß das Zerstörbare ins Unzerstörbare, das Tierische ins Geistige verwandelt wird und der ganze Mensch voller Persönlichkeit und diese ganze geistige Natur, und somit auch der wahre Leib vom Geistigen verschlungen ist (ut totus homo sit suus intellectus, qui est spiritus, et corpus verum sit in spiritu absorptum). Der Leib besteht nicht mehr in sich (in se) nach seinem körperlichen quantitativen und zeitlichen Verhältnisse, sondern ist in das Geistige aufgenommen (translatum in spiritum), das Gegenstück zu dem jetzigen Leibe, wo man nicht die Vernunft, sondern nur den Körper wahrnimmt, in dem die Vernunft selbst wie eingekerkert ist, während dort der Körper ebenso im Geiste ist wie hienieden der Geist im Körper und mithin, während hier die Seele durch den Körper belastet, dort der Körper durch den Geist schwunghaft wird (alleviatur). Wie daher die geistigen Freuden des vernünftigen Lebens die größten sind, an denen auch der verklärte Leib im Geiste partizipiert, so ist auch die höllische Traurigkeit des geistigen Todes die größte, und auch der Leib empfindet sie im Geiste. Und da unser Gott, der, lebendig erfaßt, das ewige Leben ist, über allen unsern Verstand erkennbar ist, so sind auch jene ewigen Freuden, die alle unsere Begriffe übersteigen, viel zu groß, als daß sie sich irgendwie schildern ließen. In gleicher Weise gehen auch die Strafen der Verdammten über alle denkbaren oder der Darstellung fähigen Strafen hinaus. Daher