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      »He! Mahbub, Du alter Schelm, halt an!« rief eine Stimme und ein Engländer jagte auf einem kleinen Polo-Pony an seine Seite. »Ich habe das halbe Land nach Dir durchjagt. Dein Cabuli versteht zu laufen. Verkäuflich, denk ich?«

      »Ich habe eine Remonte auf Lager, vom Himmel ausersehen für das seine, schwierige Polo-Spiel. Er hat nicht seines Gleichen. Er –«

      »Spielt Polo und wartet bei Tisch auf. Ja. Wir wissen das. Was zum Teufel, hast Du denn da?«

      »Einen Knaben,« antwortete Mahbub ernsthaft. »Ein anderer Knabe prügelte ihn. Sein Vater war einst in dem großen Krieg ein weißer Soldat. Der Junge war von Kindheit an in Lahore. Als Baby spielte er mit meinen Pferden. Jetzt, glaube ich, wollen sie ihn zum Soldaten machen. Er wurde von seines Vaters Regiment aufgegriffen, das in letzter Woche in den Krieg zog. Es scheint mir aber, als hätte er keine Lust Soldat zu werden. Ich nahm ihn auf einen Ritt mit. Sag mir, wo Deine Kaserne liegt, ich will Dich absetzen.«

      »Laß mich los. Ich kann die Baracken allein finden.«

      »Und wenn Du fortläufst, wird man nicht mir die Schuld geben?«

      »Er wird zu seinem Essen zurücklaufen. Wohin sollte er sonst laufen?«

      »Er wurde im Lande geboren. Er hat Freunde. Er geht hin, wo es ihm beliebt. Er ist ein durchtriebener Bengel. Es gilt nur sein Kleid zu wechseln und im Nu wäre er ein Hindu-Knabe niederer Kaste!«

      »Was zum Henker!« Der Engländer sah den Knaben kritisch an, während Mahbub nach der Kaserne umwendete. Kim knirschte mit den Zähnen. Mahbub spottete seiner, wie ungläubige Afghanen tun, denn er fuhr fort:

      »Sie werden ihn in eine Schule schicken, ihm schwere Stiefel anziehen und ihn in dies Zeug einzwängen. Dann wird er alles, was er weiß, vergessen. Nun, wo ist Deine Kaserne?«

      Kim zeigte – sprechen konnte er nicht – auf Vater Victors Abteilung.

      »Vielleicht wird er ein guter Soldat,« sprach Mahbub nachdenklich, »jedenfalls eine gute Ordonnanz. Ich schickte ihn einmal mit einer Botschaft von Lahore ab. Eine Bestellung, den Stammbaum eines weißen Hengstes betreffend.«

      Das war ein tödlicher Insult über den andern und der Sahib, dem er so schlau jenen Krieg weckenden Brief überbrachte, hörte es wohl. Kim sah Mahbub Ali in Flammen braten für seine Verräterei, für sich selbst aber nur Aussicht auf Kasernen, Schulen und wieder Kasernen. Er blickte flehend auf das scharf geschnittene Gesicht, auf dem kein Schimmer von Verständnis sich zeigte: aber selbst in dieser äußersten Not fiel es ihm nicht ein, des weißen Mannes Erbarmen anzusprechen, noch den Afghanen anzuklagen. Und Mahbub starrte bedächtig den Engländer an, und dieser ebenso bedächtig den stummen und zitternden Kim.

      »Mein Pferd ist gut zugeritten,« sagte der Händler. »Andere würden ausgeschlagen haben, Sahib.«

      »Ah,« sagte der Engländer endlich, seines Ponys dampfende Flanken mit dem Peitschenknopf reibend, »wer will einen Soldaten aus dem Jungen machen?«

      »Er sagt, das Regiment, das ihn aufgefunden hat, besonders aber der Pater Sahib des Regiments.«

      »Da ist der Pater!« rief Kim atemlos, als Vater Victor barhäuptig von der Veranda herunter auf sie zusegelte.

      »Mächte der Finsternis, O’Hara! Wie viele verschiedenartige Freunde hältst Du Dir in Indien?« rief er, als Kim herabglitt und hilflos vor ihm stand.

      »Guten Morgen, Padre,« rief der Oberst heiter. » Par renommée kenne ich Sie gut genug. Wollte immer schon herüber kommen Sie zu besuchen. Ich bin Creighton.«

      »Vom Ethnologischen Dienst?« sagte Vater Victor. Der Oberst nickte. »Wahrhaftig, mich freut’s Sie zu sehen; und ich schulde Ihnen Dank, daß Sie den Knaben zurückbrachten.«

      »Verdiene keinen Dank, Padre. Der Junge war nicht fortgelaufen. Sie kennen den alten Mahbub Ali nicht?« Der Roßkamm saß regungslos im Sonnenschein. »Wenn Sie einen Monat in der Station gewesen sind, werden Sie ihn kennen. Er verkauft uns alle seine Schindmähren. Dieser Junge ist aber ein Kuriosum. Können Sie mir Näheres über ihn sagen?«

      »Ich Ihnen etwas sagen?« stöhnte Vater Victor. »Sie wären der Einzige, der mir in meinen Verlegenheiten helfen könnte. Ich Ihnen Näheres sagen! Mächte der Finsternis, ich brenne vor Ungeduld jemand zu fragen, der über die Eingeborenen Bescheid weiß.«

      Ein Groom kam um die Ecke. Oberst Creighton erhob die Stimme und rief in Urdu: »Sehr wohl, Mahbub Ali, aber was soll’s nützen, daß Ihr so viel von dem Pony erzählt! Nicht ein Pie (kleinste Kopfmünze, ca. ein Pfennig) mehr als hundert und fünfzig Rupien gebe ich.«

      »Der Sahib ist etwas erregt und hitzig von dem Ritt,« erwiderte der Pferdehändler mit dem Blinzeln eines privilegierten Spaßmachers.

      »Bald werden die vortrefflichen Eigenschaften meines Pferdes ihm einleuchten. Ich will warten, bis er sein Gespräch mit dem Pater beendet. Unter jenem Baum will ich warten.«

      »Hol Euch der Teufel!« Der Oberst lachte. »Das kommt davon, wenn man eines von Mahbubs Pferden ansieht. Er ist ein richtiger Blutegel, Padre. Warte also, Mahbub, wenn Du so viel überflüssige Zeit hast. Wo ist der Knabe? Oh, er ist hingegangen, um mit Mahbub zu schwatzen. Sonderbarer Junge! Darf ich Sie bitten, mein Pferd unterstellen zu lassen?«

      Er ließ sich in einen Sessel fallen, von dem aus er Kim und Mahbub Ali unter dem Baum beobachten konnte. Der Pater war hineingegangen, um Zigarren zu holen.

      Creighton hörte Kim mit Bitterkeit sprechen: »Trau einem Brahmanen mehr als einer Schlange, einer Schlange mehr als einer Dirne und einer Dirne mehr als einem Afghanen, Mahbub Ali.«

      »Das ist alles gleich«, der große, rote Bart wackelte feierlich. »Kinder sollten keinen Teppich auf dem Webstuhl sehen, ehe das Muster fertig ist. Glaube mir, Freund aller Welt, ich erzeige Dir einen großen Dienst. Sie sollen keinen Soldaten aus Dir machen.«

      »Du pfiffiger, alter Sünder,« dachte Creighton. »Aber Du hast nicht Unrecht. Der Junge darf nicht unnütz verbraucht werden, wenn er so wertvoll ist.«

      »Entschuldigen Sie mich einen Augenblick,« rief der Pater von innen. »Ich will nur die Dokumente dieser Sache holen.«

      »Wenn durch mich Dir die Gunst dieses tapfern und weisen Oberst-Sahib zuteil wird und Du zu Ehren gebracht wirst, wie willst Du dann Mahbub Ali danken, wenn Du ein Mann bist?«

      »Nein, nein; ich bat Dich, mich wieder auf die Landstraße zu bringen, wo ich sicher gewesen wäre, aber Du hast mich wieder an die Engländer verkauft. Wie viel Blutgeld werden sie Dir geben?«

      »Ein kostbarer kleiner Dämon!« Der Oberst biß seine Zigarre ab und wandte sich höflich zu Vater Victor.

      »Was für Briefe sind das, die der fette Priester vor dem Oberst herumschwenkt? Tritt hinter den Hengst, als ob Du nach dem Zügel fühltest!« sprach Mahbub Ali.

      »Ein Brief von meinem Lama, den er von Jagadhir-Road schrieb; er will dreihundert Rupien das Jahr für meinen Unterricht zahlen.«

      »Oho! Ist der alte Rot-Hut von der Sorte? in welcher Schule?«

      »Gott weiß. Ich denke in Nucklao.«

      »Ja. Da ist eine große Schule für die Söhne von Sahibs und Halb-Sahibs. Ich sah sie, als ich dort Pferde verkaufte. So liebte der Lama auch den Freund-aller-Welt?«

      »Und wie? und er erzählte keine Lügen und lieferte mich nicht in die Gefangenschaft.«

      »Kein Wunder, daß der Pater den Knäuel nicht zu entwirren versteht. Wie eifrig er mit dem Oberst-Sahib redet.« Mahbub Ali kicherte. »Bei Allah!« – sein scharfes Auge streifte die Veranda einen Augenblick – »Dein Lama hat, was mir ein Wechsel scheint, geschickt. Ich habe zuweilen mit Wechseln zu tun gehabt. Der Oberst-Sahib sieht ihn sich an.«

      »Was nützt mir das alles?« sagte Kim trübselig, »Du gehst fort und mich stecken sie wieder in die kahlen Räume, wo kein ordentlicher Platz zum Schlafen ist und wo die Jungen mich hauen.«