Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert). Walter Benjamin

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Название Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert)
Автор произведения Walter Benjamin
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788075834935



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sehr erstaunt, überhaupt welche zu bekommen, und wieder andere waren unerschöpflich, Anweisungen für die ihrigen zu geben, und John nahm ein so lebhaftes Interesse an den Paketen, daß es fast wie in der Komödie war. Und dann waren da Gegenstände, die John nicht mit gutem Gewissen annehmen konnte, ohne vorher alles genau zu überlegen und mit den Absendern alles zu besprechen, und da fanden denn zwischen diesen und dem Fuhrmann lange Beratungen statt. – Beratungen, denen Boxer in der Regel beiwohnte, und zwar durch kurze Anfälle sehr ernster Aufmerksamkeit und besonders durch lange Anfälle von Narrheit, während denen er wie toll um die versammelten Weisen herumsprang und bis zum Heiserwerden bellte. Dot, die unbeweglich auf ihrem Platz im Wagen saß, amüsierte sich über all diese kleinen Zwischenfälle, deren aufmerksame Zuschauerin sie war; und wie sie so dasaß und um sich schaute – ein reizendes kleines Bild, wundervoll eingerahmt von den Rahmen der Wagendecke –, da fehlte es nicht an Rippenstößen und Blicken und neidischem Flüstern unter dem jüngeren Volk, das versichere ich euch. Und den glücklichen Fuhrmann John entzückte das alles außerordentlich; denn er war stolz darauf, sein kleines Weibchen bewundert zu sehen, da er ja wußte, daß sie sich nichts daraus machte – wenn sie auch vielleicht gerade keinen Widerwillen davor hatte.

      Die kleine Reise ging in dem Januarwetter allerdings nicht ohne ein wenig Nebel vonstatten; denn es war rauh und kalt. Aber wer kehrte sich an solche Kleinigkeiten? Dot sicherlich nicht. Auch Tilly nicht; denn für sie war das Fahren, gleichviel unter welchen Umständen, der Gipfel menschlichen Glücks, die Krone irdischer Hoffnungen. Auch das Wickelkind nicht, auf mein Wort, denn es liegt nicht in der Natur eines Wickelkindes, wärmer und fester zu schlafen, obgleich seine Befähigung in beiden Beziehungen sehr groß ist, als es bei diesem glücklichen jungen Peerybingle während des ganzen Weges der Fall war.

      Man konnte freilich in dem Nebel nicht weit vor sich sehen, aber doch immerhin viel, sehr viel! Es ist erstaunlich, wieviel man selbst in einem dickeren Nebel als diesem sehen kann, wenn man sich nur die Mühe nehmen will, um sich zu blicken. Ja, selbst wenn man von seinem Platze aus nur die Elfenringe auf den Feldern und die bereiften Stellen, die noch im Schatten neben Hecken und Bäumen geblieben sind, beobachtete, so war das schon eine angenehme Beschäftigung – nicht zu reden von den überraschenden Gestalten, als welche die Bäume sich plötzlich darstellten, indem sie sich aus dem Nebel loslösten und bevor sie wieder in denselben hineinglitten. Die Hecken waren kahl und nackt und ließen viele verwelkte Kränze im Winde flattern; aber es lag nichts Trübseliges in diesem Anblick. Es war im Gegenteil ein angenehmes Schauspiel; denn es machte den Herd, den man daheim hatte, wärmer und den Sommer, den man erwartete, grüner. Der Fluß sah eisig aus, aber er war in Bewegung, und zwar in kräftiger Bewegung – und das will schon etwas heißen. Der Kanal war ein wenig langsam und müde, das läßt sich nicht leugnen. Aber was tut’s, er mußte um so rascher zufrieren, wenn ordentliche Kälte eintrat, und dann konnte man Schlitten fahren und Schlittschuh laufen, und die schwerfälligen, alten Kähne, die irgendwo in der Nähe der Werft eingefroren waren, rauchten dann den ganzen Tag ihre verrosteten, eisernen Schornsteinpfeifen und machten sich einen guten Tag.

      An einer Stelle da drüben brannte ein großer Haufen Unkraut oder Stoppeln. Und sie sahen dem Feuer zu, wie es am Tage so weiß durch den Nebel schimmerte und nur hin und wieder einen roten Strahl aufzucken ließ, bis Tilly Tolpatsch infolge der Wahrnehmung, daß der Rauch ihr in die Nase steige, zu ersticken anfing – was sie freilich bei der geringsten Veranlassung konnte – und das Kind weckte, das nun nicht wieder einschlafen wollte. Aber Boxer, der wohl fünf Minuten voraus war, hatte schon die ersten Häuser der Stadt hinter sich und die Ecke der Straße erreicht, wo Kaleb mit seiner Tochter wohnte; und lange bevor sie das Haus erreichten, standen er und das blinde Mädchen auf dem Trottoir, um sie zu empfangen.

      Boxer machte, nebenbei gesagt, gewisse zarte Unterscheidungen in seinem Verkehr mit Bertha, und ich bin daher vollständig überzeugt, daß er wußte, daß sie blind war. Er suchte nie ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, indem er sie anblickte, wie er es oft andern Leuten gegenüber tat, sondern stieß sie dann jedesmal leise an. Welche Erfahrungen er bei blinden Menschen oder blinden Hunden gesammelt haben konnte, weiß ich nicht. Er hatte nie einen blinden Herrn gehabt, auch waren, soviel mir bekannt geworden, weder Herr Boxer Vater noch Frau Boxer noch irgendein anderes Mitglied seiner ehrenwerten Familie, sei es von väterlicher, sei es von mütterlicher Seite, jemals von Blindheit heimgesucht worden. Vielleicht hatte er’s selbst herausgefunden; jedenfalls verstand er sich auf den Verkehr mit Blinden, und darum hielt er auch Bertha am Rock fest, und zwar so lange, bis Mrs. Peerybingle und das Wickelkind und Tilly und der Korb samt und sonders im Hause in Sicherheit waren.

      May Fielding war bereits da; ebenso ihre Mutter – eine kleine, zänkische Person, eine alte Dame mit mürrischem Gesicht – die, weil sie sich eine Taille wie ein Bettpfosten bewahrt hatte, für eine Frau von höchst vornehmen Manieren galt, und die, weil sie früher in besseren Verhältnissen gewesen oder doch an der Vorstellung litt, sie hätte in besseren Verhältnissen gewesen sein können, wenn ein gewisses Etwas sich ereignet hätte, das sich aber nie ereignete und niemals besondere Aussicht gehabt zu haben schien, sich jemals zu ereignen – was übrigens ganz dasselbe ist –, sehr vornehm und herablassend tat. Gruff und Tackleton waren ebenfalls da und spielten den Schwerenöter mit der Miene eines Menschen, der sich so vollständig zu Hause und so unbestreitbar in seinem Element fühlt, wie ein frischer, junger Lachs oben auf der großen Pyramide.

      »May! Meine liebe, teure Freundin!« rief Dot, ihr entgegeneilend. »Welch ein Glück, dich wiederzusehen!«

      Ihre liebe, teure Freundin war ganz ebenso entzückt und erfreut wie sie, und es war, ihr könnt mir’s glauben, ein ganz reizender Anblick, wie sie sich umarmten.

      Tackleton war ein Mann von Geschmack, daran ist gar nicht zu zweifeln: May war sehr schön.

      Ihr wißt, wenn ihr an ein schönes Gesicht gewöhnt seid und es sich zufällig neben einem andern schönen Gesicht befindet, so scheint es bisweilen bei dem ersten Vergleich gewöhnlich und alltäglich und die hohe Meinung kaum zu verdienen, die ihr von ihm gehabt habt. Nun, das war hier gar nicht der Fall, weder bei Dot noch May; denn Mays Gesicht ließ dasjenige Dots schöner erscheinen und Dots Gesicht hob dasjenige Mays hervor, und zwar in so natürlicher und angenehmer Weise, daß, wie John Peerybingle sehr nahe daran war zu sagen, als er ins Zimmer trat, sie geborene Schwestern hätten sein können. – Und das wäre die einzige Verbesserung gewesen, die hätte ersonnen werden können.

      Tackleton hatte seine Hammelkeule gebracht und außerdem noch, fast unglaublich zu sagen, eine Torte – aber wir gestatten uns schon eine kleine Verschwendung, wenn unsere Bräute mit dabei im Spiel sind: wir heiraten ja nicht alle Tage! –, und zu diesen Leckerbissen kamen die Kalbs-und Schinkenpasteten und die andern »Dingerchen«, wie Mrs. Peerybingle sie nannte, das heißt Nüsse, Orangen und Kuchen und derlei Kleinigkeiten. Als das Mahl aufgetragen war, gemeinsam mit Kalebs Beiträgen, die in einer großen Holzschüssel voll dampfender Kartoffeln bestanden – es war ihm kraft eines feierlichen Vertrags verboten, andere Lebensmittel zu liefern –, führte Tackleton seine zukünftige Schwiegermutter auf den Ehrenplatz. Um sich bei dem hohen Feste dieses Platzes würdiger zu zeigen, hatte sich die majestätische alte Seele mit einer Haube geschmückt, die darauf berechnet war, selbst die Gleichgültigsten mit Gefühlen der Ehrfurcht zu erfüllen. Auch hatte sie Handschuhe an. Sie muß vornehm sein – sonst lieber sterben!

      Kaleb saß neben seiner Tochter, Dot neben ihrer alten Schulgenossin, der gute Fuhrmann nahm von dem untern Ende des Tisches Besitz. Fräulein Tolpatsch wurde zunächst von jedem Stück Möbel entfernt, ausgenommen der Stuhl, auf dem sie saß, damit sie keinen andern Gegenstand in der Nähe hätte, an den sie den Kopf des Kindes stoßen könnte.

      Wie Tilly die Puppen und Spielsachen um sich her anstarrte, so starrten diese ihrerseits sie und die Gesellschaft wieder an. Die ehrwürdigen alten Herren vor den Haustüren – alle in voller Tätigkeit – zeigten ein ganz besonderes Interesse an diesem kleinen Fest; bisweilen warteten sie ein wenig, bevor sie sprangen, als wenn sie der Unterhaltung lauschten, und sprangen dann wieder, ich weiß nicht wie oft, wild darauf los, ohne sich nur Zeit zum Atemholen zu lassen – als wenn diese unaufhörlichen Bocksprünge ihnen ein unendliches Vergnügen machten.

      Wirklich, wenn diese alten Herren es darauf abgesehen hatten, bei der