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      Korbinian, der jetzt weniger Arbeit auf den Feldern hatte, kam immer wieder zu Besuch auf den kleinen Bergbauernhof. Es zog ihn zu dem Jungen und auch zu Franzi. Manchmal wurde er seiner Gefühle für sie kaum noch Herr. Und Franzi? Sie freute sich über jeden Besuch von Korbinian. Immer deutlicher spürte sie, dass ihre Liebe zu ihm nicht gestorben war. Jetzt verstand sie nicht mehr, dass sie auf Ulis schöne Worte, auf all sein verliebtes Getue hereingefallen war. Die kurze Zeit mit ihm geriet immer mehr in Vergessenheit. Manchmal, wenn sie Korbinian gegenübersaß, stieg ein Schamgefühl in ihr auf. Hatte sie ihm wirklich so wehtun müssen, sie, die sonst gar nicht so wankelmütig war? Solche Gedanken belasteten sie. Manchmal meinte sie, Korbinian für das um Verzeihung bitten zu müssen, was sie ihm angetan hatte, aber dann fehlte ihr doch der Mut dazu.

      Stepherls Papiere, die seine Mutter sofort geschickt hatte, lagen längst mit Franzis Antrag auf die Pflegschaft beim Jugendamt. An eine Adoption, die ihr lieber gewesen wäre, konnte sie nicht denken. Dafür erfüllte sie als alleinstehende Person nicht die Bestimmungen. Inzwischen war auch eine Sozialarbeiterin oben gewesen, um sich davon zu überzeugen, wie Stepherl untergebracht war. Sie war zufrieden gegangen. Auch die Zusage der Mutter lag schon vor, dass ihr Junge bei Franzi bleiben konnte. Alles schien also geregelt zu sein, sodass Franzi täglich darauf wartete, eine Bestätigung vom Jugendamt zu bekommen, dass man ihr die Pflegschaft übertrug.

      *

      An einem besonders stürmischen Herbsttag verließ Josef Feistauer noch einmal das Haus, um auf dem Hof Ordnung zu machen. Der Sturm drohte alles, was nicht niet- und nagelfest war, davonzuwehen.

      Als er in die Stube zurückkam, sagte er: »Ich versteh’ Korbinian nicht. Bei diesem Sauwetter schleppt er mit seinen Pferden die gefällten Baumstämme ins Tal. Das ist doch viel zu gefährlich. Sie sind jetzt genau an unserer Grenze, man hört sie rufen, und die Pferde wiehern.«

      »Da wird der alte Stettner den Korbinian wieder angetrieben haben«, meinte Franzi. »Je schlechter es um seine Gesundheit bestellt ist, desto bissiger wird er. Ich hab’ neulich die alte Barbara getroffen, sie hatte nur über den Alten zu klagen. Er muss unausstehlich geworden sein und möchte noch immer das Sagen haben. Korbinian ist viel zu gutmütig, dass er sich so herumkommandieren lässt. Ob ich mal hinaufgeh’ und den Männern eine kräftige Brotzeit bring’? Wer weiß, ob ihnen Barbara etwas mitgegeben hat.«

      »Lass das, Dirndl«, riet der alte Feistauer. »Bei dem Wetter jagt man ja keinen Hund vor die Tür. Vielleicht hören die da droben bald auf. So vernünftig wird doch Korbinian sein. Da! Ich glaub’, jetzt kommen sie herunter. Die Stimmen hören sich so nah an.« Er trat ans Fenster und sah den Hang hinauf.

      »Um Himmels willen!«, stieß er hervor. »Sie bringen einen auf der Trage. Da muss ich doch gleich sehen, was passiert ist.« Er lief hinaus.

      Franzi warf nur einen Blick durch das Fenster, dann rief sie: »Stepherl, du bleibst hier und wartest, bis ich zurückkomm’.« Schon folgte sie dem Vater.

      Sie kam gerade dazu, als zwei Männer eine aus Reisegästen improvisierte Trage absetzten. Der Mann darauf hob den Kopf.

      »Korbinian!«, schrie Franzi auf. »Um Gottes willen, was ist dir passiert?«

      »Es wird nicht so schlimm sein.« Korbinian ließ den Kopf wieder sinken. »Kann ich zu euch ins Haus?« Er blickte Franzi und ihren Vater an.

      »Aber ja, selbstverständlich.« Franzi öffnete schon die Haustür ganz weit. Die Männer hoben Korbinian von der Trage, schleppten ihn in die Stube und legten ihn auf das Sofa. Einer ging schon zur Tür zurück. »Ich lauf’ zum nächsten Telefon und ruf’ den Doktor.«

      Stepherl stand mitten in der Stube, die Augen weit aufgerissen und immer wieder stammelnd: »Onkel Korbi!« So nannte er Korbinian, weil es ihm zu schwerfiel, den ganzen langen Namen auszusprechen.

      Franzi lief nach einer Decke und breitete sie über dem Verletzten aus. Sie hatte gesehen, dass seine Zähne vor Kälte aufeinanderschlugen. »Wo hast du Schmerzen?«, fragte sie.

      »In der Brust, und meine Beine müssen doch etwas abgekriegt haben. Das Pferd, das einen Stamm schleppen sollte, ist scheu geworden. Ich konnt’ nicht mehr rechtzeitig ausweichen und bin unter den Stamm gekommen.«

      »In der Brust«, stöhnte Franzi. Plötzlich beugte sie sich ganz tief über den Verletzten, bis sie ihre Wange an seine legen konnte. »Korbinian, dir darf nichts Schlimmes passiert sein.« Sie zögerte kurz. »Ich hab’ dich doch lieb, wir alle brauchen dich.«

      »Du hast mich noch lieb?« Korbinians Stimme war kaum zu verstehen. »So wie früher?«

      Über Franzis Gesicht liefen Tränen. »Ja, genauso wie früher. Sei mir nicht mehr bös’, ich bitt’ dich. Ich bin einen Irrweg gegangen.«

      Da suchte Korbinian ihre Hand. »Red nicht mehr davon, es ist vergessen. Ich hab’ nie aufgehört, dich zu lieben, Dirndl, jetzt hör doch auf zu weinen. Das kann ich nicht sehen.«

      »Wenn ich aber so große Angst um dich hab’. Ich kann ja gar nichts für dich tun, bevor nicht der Doktor da war.«

      Josef Feistauer, der das alles erschüttert mit angehört hatte, sagte: »Doch, etwas kannst du für ihn tun. Bring ihm heißen Tee, damit er sich aufwärmt. Das schadet nie.«

      Franzi lief schon in die Küche. In dieser Zeit ging Stepherl ganz nahe zu Korbinian. Mit ungeschickten Händchen patschte er ihm ins Gesicht. »Onkel Korbi, Mama wird dich gesund machen«, flüsterte er, der wohl begriffen hatte, dass es Korbinian nicht gut ging.

      »Ja, ja, es ist schon gut, Stepherl.« Korbinian strich ihm über den Kopf. »Deine Mama …, ja, sie hat mich schon ein Stück gesund gemacht.« Er schloss die Augen. Sein Gesicht war vom Schmerz gezeichnet, und er atmete schwer, aber er flüsterte: »Sie liebt mich noch.«

      Franzi brachte den Tee und blieb danach bei Korbinian sitzen. Sie sprachen nicht mehr, aber Franzi hielt Korbinians Hand, als hoffe sie, dass von ihr Kraft zu ihm gehen könnte.

      Es wurde ein banges Warten, bis der Arzt kam. Der untersuchte Korbinian lange und sehr genau, bis er sagte: »Die Beine haben Quetschungen davongetragen, die leichter Natur, aber natürlich sehr schmerzhaft sind. Für den Brustinnenraum ist nichts zu befürchten, aber drei Rippen sind ebenfalls gequetscht. Also keine Brüche, dass er ins Krankenhaus müsste. Nur eine Woche unbedingter Ruhe ist nötig. Ich bin auch dagegen, dass Korbinian auf den Stettner-Hof gebracht wird. Der Transport wäre sehr schmerzhaft. Wie ist es, Feistauer, kann er bei Ihnen bleiben?«

      Noch bevor Josef Feistauer antworten konnte, hatte Franzi schon entschieden. »Natürlich könnte Korbinian bei uns bleiben. Ich werde ihn pflegen und genau darauf achten, dass er sich die Ruhe gönnt, die Sie verordnet haben, Doktor.«

      »Dann ist ja alles in Ordnung.« Der Arzt zog eine Spritze auf. »Die ist erst einmal gegen die Schmerzen, dann lasse ich noch eine Salbe da, mit der die Quetschungen eingerieben werden müssen. Am besten mehrmals täglich. Für alle Fälle komme ich morgen noch einmal herauf.«

      Als der Arzt gegangen war, machte Korbinian ein sehr bedrücktes Gesicht. »Aber das geht doch nicht, Franzi, dass du mich pflegst. Du hast genug andere Arbeit. Und dann, ich müsste auf unseren Hof zurück. Meinem Vater geht es sehr schlecht und …«

      Franzi legte ihm die Hand auf den Mund. »Keine weitere Widerrede. Es ist beschlossen, dass du hierbleibst, und Barbara kümmert sich schon um deinen Vater. Du kannst jetzt ja sowieso nichts für ihn tun, weil du selbst Ruhe und Pflege brauchst. Tu mir den Gefallen, und denk nicht schon wieder an den Hof und vielleicht an die Arbeit, die dort anfällt. Das Wichtigste ist, dass es dir bald besser geht. Wir müssen heilfroh sein, dass es dich nicht schlimmer erwischt hat. Schmerzen wirst du noch genug haben. Also, jetzt hörst du auf mich und bleibst hier ganz ruhig liegen, während ich das Sofa für dich herrichte.«

      Josef Feistauer stimmte seiner Tochter zu, sodass Korbinian nicht mehr widersprach. Er nahm sein Lager in der Wohnstube ein, und Franzi begann gleich mit seiner Behandlung. Sie rieb ihn vorsichtig mit der Salbe ein.

      Am Abend blieb sie bei ihm