Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert. Georg Brandes

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Название Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert
Автор произведения Georg Brandes
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 4064066113728



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Insect beflügelt und ideal wird. Das Leben des Falters ist während einiger Stunden das Höchste: blühen, lieben, sterben.

      Imperia kommt aufs neue als Brunissende, die Liebhaberin des Papstes, im Schauspiele „Der Jungbrunnen“ vor, hier leichtfertiger, doch in den Augen Renan's deshalb nicht minder sympathisch. Sie ist hier tiefer weiblich, ist eitel Stärke und Schmachten. Sie hat jede Schwäche und nimmt dennoch die Welt in Besitz. Sie vertheilt alle Einnahmen des päpstlichen Stuhles nach Lust und Laune. Um so besser! heisst es. Des Weibes Schönheit ist ein Gut von höchstem Range, von gleich hohem Range wie Vernunft und edle Gesinnung: „Alle geistlichen Einnahmen sollten zu Toiletten-Ausgaben für schöne Frauen und zu Jahrgeldern für geistvolle Männer verwendet werden“.

      „Der Born der Jugend“ ist trotz seiner Mängel ein von Geist sprudelndes Stück. Es spielt am päpstlichen Hofe in Avignon und hat eine ganz schwache Localfärbung, auch keine stark historische, die sie sogar ausdrücklich vermeiden will.

      Renan hat hier seinen Prospero wieder aufgenommen und ihn als die überlegene Intelligenz erscheinen lassen, die zur Zeit ihrer Autorität über die Menschheit verlustig geworden ist. Seine magischen Mittel haben ihre Kraft verloren. Doch ob schwach und entwaffnet, er verfolgt gleichwohl sein Problem: die Erlangung der Macht mittelst der Wissenschaft. Er hat verschiedene wunderbare Essenzen erfunden, darunter ein Lebenselixir, das verjüngende Kraft besitzt. Der Papst, der nach einer etwas übermässig angestrengten Jugend sehr mitgenommen ist, behält ihn in seiner Nähe, um von den Resultaten seiner wissenschaftlichen Versuche Nutzen zu ziehen. Doch hat er grosse Mühe, ihn vor den Nachstellungen der Inquisition zu schützen.

      Man glaubt, dass Prospero Gold machen könne. Er hegt gar nicht diesen Wunsch. Wozu auch? Könnte man doch, wenn es möglich wäre, ebensogut Blei machen wollen. Er zieht es vor, Licht aus Koth, Geist aus Stoff zu erschaffen. Und er zweifelt nicht, dass es einst gelingen werde, denn langsam sickert Vernunft in die Welt; vielleicht, dass zuletzt sogar ein wenig Gerechtigkeit in sie dringt. (Renan's ganze Skepsis äussert sich in diesem Satze.)

      Prospero ist der Ueberzeugung, dass die Welt beinahe gänzlich von Brutalität regiert werde. Die unabhängigen Bauern der Schweiz, sagt er mit feiner Ironie, sind nicht viel aufgeklärter als die Herren. (Man erwartete die umgekehrte Wendung.) Ungerechtigkeit ist demzufolge das eigentliche Princip im Laufe der Welt. Allen Wohlthätern der Menschheit ergeht es übel. Man verbrennt sie auf dem Scheiterhaufen ihrer Entdeckung, und Andere nützen aus, was sie gefunden haben.

      Ein Grundgedanke wird im Zusammenhange damit ausgesprochen, der sicherlich schon Manchem gekommen ist, ehe er ihn bei Renan fand. Prospero, der sich collegial mit Papst Clemens unterredet, sagt diesem offen, dass ihn der Papst enttäuscht habe. Er spricht (schon um das Jahr 1310) das gewichtige Wort: „Ich hatte von einer Papstmacht geträumt, die an der Spitze der Renaissance schritt“. — Der Papst: „Also das Christenthum durch das Papstthum zerstört?“ — Prospero: „Ja!“.

      Renan berührt hier eine für den denkenden Betrachter der Geschichte fesselnde Frage, die Nietzsche so stark beschäftigende, ob die lutherische Reformation die Renaissance nicht abgebrochen und vereitelt habe, ob nicht die Deutschen aus Mangel an Verständniss für das, was damals in Europa vorging, sie vergeudet.

      Was sah Luther in Rom? Sehr wenig. Nicht einmal Michelangelo. Er beobachtete mit Entsetzen die schlechten Sitten der Geistlichen, sah, dass ihnen weder Dogmen noch evangelische Vorschriften am Herzen lagen. Das war so ungefähr Alles. Die Renaissance hatte alle Bedingungen wie auch den Willen, von oben her, mittelst der päpstlichen Macht die Menschheit zu befreien. Einzelne Päpste hatten — gleichwie die grössten Kaiser des frühen Mittelalters (Friedrich II., der Hohenstaufe zum Beispiel) — sich an die Spitze einer Bewegung für Wiedereinführung der tausend Jahre brach gelegenen Cultur gestellt. Da kam Luther, zwang den Katholicismus in die Gegen-Reformation hinein und machte das Papstthum reactionär.

      Prospero hat das richtige Gefühl, dass das allmächtige Papstthum, geschirmt von der Ehrfurcht, die es einflösste, fast all den Aberglauben und die Irrthümer, deren Haupt es war, zu unterdrücken vermöchte. Doch stattet Renan seinen Helden mit der prophetischen Furcht aus, das Papstthum werde, erschreckt von seiner eigenen Kühnheit, die Segel reffen und die Bewegung, die es selbst begünstigt habe, ins Stocken zu bringen suchen. Mit anderen Worten, er lässt Prospero vorhersagen, was wirklich eintraf. Er lässt auch Brunissende mit Prospero sympathisiren: „Wir Frauen sind von den gleichen Gedanken erfüllt wie du. Der Aberglaube hat das Leben verringert. Wir wollen es aus dem Vollen leben“. Und sie fragt Prospero: „Willst du nicht uns Frauen ein Buch schreiben?“ Renan erwidert durch seinen Wortführer: „Andere werden dies thun, schöne Brunissende. Ich bin zu alt, mein Ende ist nahe“. Wohl nie zuvor hat Renan sich auf so directe Selbstschilderung eingelassen.

      Der Papst fragt ihn: „Wie kommt es, dass die anderen Doctoren mir alle mit einander nicht so viel zu schaffen machen, wie du allein?“ — „Weil sie mit Abstractionen arbeiten, während ich mit Wirklichkeiten hantiere“. — „Doch nicht einmal die Doctoren mögen deine Ideen theilen, und der Haufe wird sie nicht verstehen. Du erlangst weder über die Kirche noch über die Schule Macht“. Man hört Renan's eigenen Schmerz aus dieser Aeusserung heraus.

      Persönlich ist auch die folgende Wendung, gelegentlich einer von der Inquisition vorgenommenen Durchsuchung seiner Schriften, bei der man ihm räth, dies und das zu widerrufen. — „Es nützt nichts. Alles an mir ist dennoch Ketzerei“. — „Eben, das schadet weit weniger“. — Mit anderen Worten, es ist allein die geistlos isolirte Einzelheit, welche die Ketzerverfolger verstehen.

      Ungeachtet aller Widerwärtigkeiten, Verfolgungen, Enttäuschungen verliert Prospero seine Zukunftshoffnung nicht. Dies sein Gedanke: Der Fall des Würfels, der tief unten an den Lebensquellen geworfen wird und entscheidet, ob ein Hirn begabt oder unbegabt, ein Weib schön oder unschön sei, findet so häufig statt, dass die Zukunft des Wahren, des Guten, des Schönen gesichert ist. Die Natur hat unendliche Zeit vor sich. Was liegt daran, ob hunderttausendmal der Schuss fehlgehe, wenn unzählige Male geschossen wird und nur Eine Kugel ins Centrum trifft. — Prospero selbst ist mit seinem Lose zufrieden: „Ich war eine seltene Quarterne in der grossen Lotterie. Der Kelch des Lebens ist herrlich. Es ist thöricht, zu klagen, weil man ihm auf den Grund schaut“. — Er hat nur einen Wunsch: „Lasst mich kein betrübtes Antlitz sehen, keinen Seufzer hören, wenn ich nun sterbe!“ Und er verscheidet, von Brunissende zum Abschiede geküsst.

      Die Cardinäle bemächtigen sich seines Leichnams, lassen ihn in ein Boot legen, auf die Rhône hinausrudern und ins Wasser werfen. „Findet man seine Leiche auf, so sagen wir der Bevölkerung, er hätte sich ertränkt; findet sie sich nicht, so sagen wir, der Teufel habe ihn geholt“.

      Es liegt echt Renan'sche Ironie in der Perspective, die sich hiemit für Prospero's Andenken eröffnet. Im selben Geiste bespricht er in der Vorrede zu seinem letzten Buche die gegen ihn gerichtete Beschuldigung, er hätte von Rothschild eine Million dafür bekommen, „Die Geschichte Israel's“ zu schreiben. Seine Feinde behaupten, seine Freunde bestreiten es. Die unparteiische Geschichtsschreibung der Zukunft wird, meint er, einen Mittelweg einschlagen und feststellen, dass er 500,000 Francs empfangen habe.

       Inhaltsverzeichnis

      Von Renan's drei ersten Dramen dürfte das gedankenreichste und tiefsinnigste denn doch „Der Priester in Nemi“ sein.

      Die Fabel knüpft an eine Erzählung vom Tempel der Diana am Ufer des Nemi-Sees an, dessen Priester, um gesetzlich angestellt zu werden, (nach Strabo) seinen Vorgänger erschlagen haben soll. Renan denkt sich einen Priester im grauen Alterthum in Nemi, einen aufgeklärten Mann, der seinen Vorgänger nicht hat tödten wollen, sondern eine veraltete, vernunftwidrige Religion zu reformiren gedenkt, und zeigt nun, was die Folgen davon seien, ein Fünkchen Vernunft ins Menschenleben einführen zu wollen.

      Es hat das eine doppelte Folge. Erstens fordert der Haufe, der sich nie eher zufrieden gibt, als bis glücklich eine Unthat verübt worden, einen regelrechten Verbrecher und Mörder zum