Schöne Gedichte. Joachim Ringelnatz

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Название Schöne Gedichte
Автор произведения Joachim Ringelnatz
Жанр Языкознание
Серия Literatur (Leinen)
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783843804028



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Leser ist ein Gänserich.

      Ein kühnes Roßhaar

      Ein kühnes Roßhaar erklärte den andern:

      Es müsse aus der Matratze wandern.

      Es poche auf seine Großjährigkeit,

      Und es liege in seiner Roßhärigkeit

      Der Trieb zum Wandern. Da rief es: »Adieu!«

      Und damit schnellte es sich in die Höh’.

      Ein Mensch saß auf besagter Matratze.

      Das Roßhaar hüpfte auf seine Glatze,

      Und weil es sehr gut gedieh an dem Orte,

      So wuchsen dort bald noch mehr von der Sorte.

      Miliz

      »Sie haben sich gestern schrecklich betragen!«

      Wollte das Putzleder zur Trommel sagen.

      Aber die Trommel spannte schnell

      Ihr dickes Fell

      Und begann einen donnernden Wirbel zu schlagen,

      Na – und da blieb dem Putzleder vor Schrecken

      Das Wort im Munde stecken.

      Es war ein Stahlknopf irgendwo

      Es war ein Stahlknopf irgendwo,

      Der ohne Grund sein Knopfloch floh.

      (Vulgär gesprochen: Es stand offen.)

      Ihm saß ein Fräulein vis-à-vis.

      Das lachte plötzlich: Hi hi hi.

      Da fühlte sich der Knopf getroffen

      Und drehte stumm

      Sich um.

      Solch’ Peinlichkeiten sind halt nur

      Die schlimmen Folgen der Kultur.

      An der Zehe

      An der Zehe gleich vorn

      Saß ein Leichdorn.

      Der Bader, den man befragte,

      Der sagte:

      Der Leichdorn sei eine Sommersprosse.

      – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

      Verzeihe mir, Leser, diese Posse!

      Als ich noch ein

      Seepferdchen war

      Seepferdchen

      Als ich noch ein Seepferdchen war,

      Im vorigen Leben,

      Wie war das wonnig, wunderbar,

      Unter Wasser zu schweben.

      In den träumenden Fluten

      Wogte, wie Güte, das Haar

      Der zierlichsten aller Seestuten,

      Die meine Geliebte war.

      Wir senkten uns still oder stiegen,

      Tanzten harmonisch umeinand,

      Ohne Arm, ohne Bein, ohne Hand,

      Wie Wolken sich in Wolken wiegen.

      Sie spielte manchmal graziöses Entfliehn,

      Auf daß ich ihr folge, sie hasche,

      Und legte mir einmal im Ansichziehn

      Eierchen in die Tasche.

      Sie blickte traurig und stellte sich froh,

      Schnappte nach einem Wasserfloh

      Und ringelte sich

      An einem Stengelchen fest und sprach so:

      Ich liebe dich!

      Du wieherst nicht, du äpfelst nicht,

      Du trägst ein farbloses Panzerkleid

      Und hast ein bekümmertes altes Gesicht,

      Als wüßtest du um kommendes Leid.

      Seestütchen! Schnörkelchen! Ringelnaß!

      Wann war wohl das?

      Und wer bedauert wohl später meine restlichen Knochen?

      Es ist beinahe so, daß ich weine –

      Lollo hat das vertrocknete, kleine

      Schmerzverkrümmte Seepferd zerbrochen.

      Seehund zum Robbenjäger

      »Ich bin ein armer Hund.

      Ich habe keine Brieftasche. Im Gegenteil:

      Man macht aus mir welche; sehr wohlfeil.

      Und Wohlfeil ist Schund.

      Taten wir jemals Menschen beißen?!

      Im Gegenteil: Jedes menschliche Kind

      Wird uns, wenn wir auf dem Lande sind,

      Mit Steinen totschmeißen.

      Wie ihr Indianer und Neger

      Nicht glücklich für sich leben ließt,

      Stellt ihr uns nach und schießt

      Uns nieder. Für Bettvorleger!

      Wo ihr Menschen Freischönes erschaut,

      Öffnet ihr, staunend, euren Rachen.

      Warum erstrebt ihr es nicht, euch vertraut

      Mit den Tieren zu machen?

      Wilde Tiere sahen allem, was neu

      Und friedlich war, anfangs unsicher zu.

      Wer nahm den wilden Tieren die Ruh?

      Wer gab ihnen zur Angst die Wut?

      Der Mensch verkaufte Instinkt und Scheu.

      Das Tier ist ehrlich und deshalb gut.«

      Übergewicht

      Es stand nach einem Schiffsuntergange

      Eine Briefwaage auf dem Meeresgrund.

      Ein Walfisch betrachtete sie bange,

      Beroch sie dann lange,

      Hielt sie für ungesund,

      Ließ alle Achtung und Luft aus dem Leibe,

      Senkte sich auf die Wiegescheibe

      Und sah – nach unten schielend – verwundert:

      Die Waage zeigte