Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Читать онлайн.
Название Gesammelte Werke
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962812515



Скачать книгу

die Mut­ter, wäh­rend Ade­le sich am Kop­fen­de des Bet­tes nie­der­ließ. Sie spra­chen ge­dämpft, ei­ni­ge Mi­nu­ten ver­gin­gen, dann hör­te man den Stuhl rücken.

      Bleich und schön wie ein En­gel des To­des glitt sie hin­aus. Die Mut­ter trat wie­der zu Olaf.

      Sie liebt mich, sie hat mich ge­küsst, flüs­ter­te er mit se­li­gem Lä­cheln, wand­te sich zur Sei­te und ver­schied.

      Das Lä­cheln aber blieb auf sei­nem An­ge­sicht ste­hen und wur­de in den nächs­ten Stun­den noch im­mer strah­len­der, als ob ein über­mensch­li­ches Glück ihn mehr und mehr durch­drin­ge. Wir hat­ten sein Ende be­schleu­nigt, aber den letz­ten Au­gen­blick zum schöns­ten sei­nes Le­bens ge­macht, und die Mut­ter sel­ber wünsch­te es nicht un­ge­sche­hen.

      Es war ein rau­er Herbst­tag, ver­früh­te Flo­cken wir­bel­ten durch die Luft, als wir un­sern Olaf be­gru­ben. Der Zug, an dem sich die hal­be Stu­den­ten­schaft be­tei­lig­te, ging beim Läu­ten der Glo­cken die stei­le Neckar­hal­de her­auf und ge­ra­de an dem Haus vor­über, wo sei­ne Lie­be wohn­te. Ade­le stand im schwar­zen Kleid un­ter der Tür und wein­te hef­tig. Jun­ge Mäd­chen sa­hen aus dem Fens­ter und war­fen Blu­men auf den Sarg.

      In dem schö­nen stil­len To­ten­gar­ten, nicht weit vom Gra­be Höl­der­lins, den er vor al­len ge­liebt hat­te, war sein Bett be­rei­tet. Als der Geist­li­che ge­en­det hat­te, trat Gu­stav Borck, der den Arm noch in der Sch­lin­ge trug, ans of­fe­ne Grab.

      Olaf Han­sen! be­gann er, –und dann noch ein­mal: Olaf Han­sen! dass es uns durch­lief. – Wir ha­ben dich in un­se­rer Mit­te ge­habt und kön­nen es nicht fas­sen, dass du von uns ge­gan­gen bist, denn es müss­te im­mer einen Olaf Han­sen ge­ben, da­mit die Men­schen an die Son­ne und den Früh­ling glau­ben. Al­les Schö­ne scheint wert­los ge­wor­den, seit wir es nicht mehr mit dir tei­len, denn du sel­ber warst das Schöns­te der Erde. In dei­ner Un­schuld kann­test du dich sel­ber nicht und wuss­test nicht, wel­ches Licht von dir aus­strahl­te. Wir aber kann­ten dich, wenn wir auch nicht sein konn­ten wie du. Und ein Prüf­stein warst du, denn nichts Unech­tes, Ge­mei­nes konn­te in dei­ner stil­len Ge­gen­wart be­ste­hen. Dein rei­nes Licht ver­zehr­te al­les Trü­be. Ein nied­ri­ger Ge­dan­ke konn­te nicht ein­mal zu­fäl­lig durch dei­nen Geist hu­schen: er fand kei­ne Tür, die ihn ein­ließ. Aber du warst noch mehr als das, denn du hat­test das Ohr des Dich­ters: wie den Wan­de­rer um Mitt­som­mer durch die Fel­der ein lei­ses Sum­men von un­zäh­li­gen un­sicht­ba­ren We­sen be­glei­tet, so ging mit dir auf Schritt und Tritt ein lei­ser Ge­sang, in dem alle Stim­men der Na­tur zu­sam­men­flos­sen. –

      Olaf Han­sen, weißt du, wel­ches Wort Odin dem to­ten Bal­der ins Ohr raun­te, als sie ihn aufs Schei­ter­ge­rüst ho­ben? Wie­der­keh­ren! Olaf Han­sen, der Schnee fällt auf dein Grab. Wenn der Früh­ling kommt, wer­den wir dich in je­der Blü­te grü­ßen. To­ter Olaf, keh­re wie­der!

      Am Abend sa­ßen wir wie sonst im Stüb­chen bei­sam­men, wo Ade­le mit ver­wein­ten Au­gen in tie­fem Schwarz ih­ren Dienst ver­sah. Nie­mand sprach ein Wort, bis Gu­stav ein­trat. Da hob Kuno Schüt­te sein blas­ses Ge­sicht aus den Hän­den, sei­ne Au­gen wa­ren wie rot­glü­hen­de Koh­len.

      Wie mein­test du das mit dem Wie­der­keh­ren, Borck?

      Fra­ge nicht, war die un­wir­sche Ant­wort. Es sprach aus mir her­aus.

      Mir schi­en es, als spre­che Borck so, weil er nicht dar­an er­in­nert sein woll­te, dass er von der Rüh­rung über­mannt wor­den war. Aber der an­de­re fass­te es au­gen­schein­lich im mys­ti­schen Sin­ne.

      Es sprach aus dir her­aus! sag­te er mit Ehr­furcht.

      Es war eine schö­ne stil­le To­ten­fei­er, die wir an je­nem Abend be­gin­gen. Olafs Geist war un­ter uns, alle sa­hen wir ihn jetzt so, wie Gu­stav Borck ihn mit we­ni­gen Stri­chen ge­zeich­net hat­te, ein Je­der wuss­te ir­gend­ei­nen be­deut­sa­men Zug von ihm zu er­zäh­len. Sein We­sen, nicht mehr von der Be­leuch­tung des Au­gen­blicks ab­hän­gig, war auf ein­mal in die fes­te Form ge­ron­nen, in der es uns alle durchs Le­ben be­glei­ten soll­te. Gu­stav fand aber auch das ab­schlie­ßen­de Wort.

      Wir ha­ben die le­ben­di­ge Poe­sie, die un­ter uns wan­del­te, ver­lo­ren, sag­te er auf­bre­chend, wir müs­sen ei­len, die Welt mit neu­en Wunsch­bil­dern zu be­völ­kern.

      *

      Die ju­ris­ti­sche Prü­fung war mit Glanz be­stan­den, aber von der Tri­lo­gie war auf ein­mal nicht mehr die Rede. Da­ge­gen wur­de ihm von an­de­rer Sei­te eine an­ge­neh­me Über­ra­schung zu­teil: sein Lust­spiel war von der Stutt­gar­ter Hof­büh­ne zur Auf­füh­rung an­ge­nom­men und soll­te gleich zu An­fang des Win­ters die Lam­pen se­hen. Die Pro­ben wa­ren schon im Gang und er fuhr jetzt des öf­te­ren nach der Haupt­stadt hin­über. Doch nahm er die­ses Glück ziem­lich ge­las­sen auf und zeig­te kei­ne Spur von Un­ru­he über den Aus­gang.

      Es kann nicht schlecht ge­hen, äu­ßer­te er, da Sel­ma Ha­nusch die Haup­trol­le spielt; das Stück ist ei­gens für sie ge­schrie­ben in mei­nem ers­ten hie­si­gen Se­mes­ter, als ich an­fing um die Büh­ne zu wer­ben, und sie hat sich auch per­sön­lich da­für ein­ge­setzt.

      Sel­ma Ha­nusch war die ge­fei­er­te ju­gend­li­che Lieb­ha­be­rin, der Ab­gott der da­ma­li­gen Thea­ter­gäs­te, ein bild­schö­nes Wie­ner Kind. Wenn sie in ei­ner ih­rer Glanz­rol­len auf­trat, so gab es einen Ein­bruch der stu­die­ren­den Ju­gend in der Haupt­stadt, wo­bei man dann meis­tens, um Geld zu spa­ren, durch den Schön­buch zu Fuß nach Stutt­gart wan­der­te. Eine rei­zen­de­re Min­na von Barn­helm habe ich nie ge­se­hen. Nur das He­ro­i­sche lag ihr nicht, selbst die The­kla gab sie als Nai­ve, ne­ben­bei ge­sagt, die ein­zi­ge wirk­lich le­bens­wah­re The­kla, die ich je ge­se­hen habe, wenn auch ge­wiss nicht die The­kla, wie Schil­ler sie ge­dacht hat.

      Kuno Schüt­te und ich durf­ten ihn mehr­mals auf die Pro­ben be­glei­ten, was eine ganz neue Strö­mung in un­ser Le­ben brach­te.

      Dem Lust­spiel sel­ber konn­te ich nicht viel Ge­schmack ab­ge­win­nen; wenn auch die Hand­lung gut er­fun­den war, so schi­en mir doch der Ton mehr ge­schraubt als wit­zig; die hei­te­re Muse war un­se­rem Dich­ter über­haupt nicht hold. Aber Sel­ma Ha­nusch ent­fal­te­te in der Haup­trol­le eine so ent­zücken­de Mun­ter­keit, dass man die Män­gel des Stücks ver­gaß, und dass auch die an­dern Ge­stal­ten durch sie ver­le­ben­digt wur­den. Die ers­te Auf­füh­rung, zu der die Freun­de voll­zäh­lig er­schie­nen, war denn auch ein Sieg, in den sich eine heim­li­che Nie­der­la­ge ver­klei­de­te, denn nur Sel­ma hat­te das Stück durch­ge­ris­sen, das über die üb­li­chen drei Vor­stel­lun­gen nicht hin­aus­kam.

      Der Ver­fas­ser nahm sich die Schlap­pe nicht zu Her­zen.

      Ich sag­te dir ja gleich, äu­ßer­te er ge­gen mich, dass das Stück nichts taugt, weil mein bes­tes Herz­blut der Che­rus­ker trank.

      Schon wäh­rend der Pro­ben wa­ren mir be­son­de­re Bli­cke auf­ge­fal­len, die zwi­schen der jun­gen Künst­le­rin und dem Dich­ter hin und her gin­gen. Als die bei­den schö­nen Ge­stal­ten nach dem letz­ten Akt auf die Büh­ne tra­ten, um für den Bei­fall zu dan­ken, wur­de mir’s zur in­ne­ren Ge­wiss­heit, dass ich ein ver­bun­de­nes Paar vor mir sah. Die Na­tur hat­te ge­siegt, der Frau­en­ver­äch­ter war ein Mensch ge­wor­den wie an­de­re.

      Am spä­ten Abend hiel­ten wir zu Drei­en noch eine