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müh­sam zu fra­gen, wie es ihm jetzt gehe. Er sah mich nach­sich­tig lä­chelnd mit sei­nen durch­drin­gen­den dun­kelblau­en Au­gen an, als ob ich et­was ganz Ver­kehr­tes ge­fragt hät­te, nahm, ohne zu ant­wor­ten, mit den lan­gen spit­zi­gen Fin­gern, die den mei­ni­gen ähn­lich wa­ren, ein Blätt­chen Sei­den­pa­pier vom Tisch, tupf­te mir da­mit vor­sich­tig wie ein Au­gen­arzt die vor­drin­gen­den Trä­nen weg und wand­te sich wie­der – er selbst in je­der Be­we­gung – an Al­fred, der dem Zwang der Über­re­dung nicht län­ger wi­der­ste­hen konn­te und sich noch zö­gernd er­hob, um ihm aus der Tür zu fol­gen.

      Auch dies­mal griff ich zu dem schon be­währ­ten Mit­tel, den ers­ten Mut­ter­schmerz zu lin­dern, in­dem ich das Le­bens­bild auch die­ses Ge­schie­de­nen schrieb und es zu­erst in der »All­ge­mei­nen Zei­tung«, dann in mei­nen »Flo­ren­ti­ni­schen Erin­ne­run­gen« ne­ben dem sei­nes Bru­ders ver­öf­fent­lich­te. Dies­mal hat­te ich nicht einen Kämp­fer und Hel­den, nicht einen For­scher und Dich­ter zu schil­dern, nur ein gol­de­nes, an Lie­be und Güte un­er­schöpf­li­ches Herz, einen auf­op­fe­rungs­vol­len Arzt, einen Freund und Schüt­zer al­ler Krea­tur und ein freu­di­ges, sin­nen­fro­hes, aber doch im­mer im Geis­ti­gen ver­wur­zel­tes Tem­pe­ra­ment voll strah­len­der Lau­ne. Die­ses gol­de­ne Herz be­saß rings­um in der Welt Freun­de, de­nen er in sei­nem Ve­ne­dig Gu­tes ge­tan, – bei sei­ner großen Zu­gäng­lich­keit be­saß er de­ren so­gar mehr als sein weit be­deu­ten­de­rer äl­te­rer Bru­der. Sie alle er­reich­te der Nach­ruf in der »All­ge­mei­nen Zei­tung« und er­weck­te die dank­ba­re Erin­ne­rung, dass sie sich mit teil­neh­men­den Brie­fen an die Mut­ter wand­ten und da­mit die ers­te durch den Aus­fall der Soh­nes­brie­fe ent­stan­de­ne Lee­re deck­ten. Aber der Riss ins Le­ben war zu groß ge­wor­den, als dass eine Fort­set­zung des bis­he­ri­gen Zu­stands mög­lich ge­we­sen wäre. Schon der ver­gan­ge­ne Win­ter hat­te ge­zeigt, dass ein trau­li­ches Ei­gen­heim als Nest der Ge­bor­gen­heit und Ar­beits­s­til­le mit dem Müt­ter­lein zu­sam­men sich auch jetzt nicht durch­füh­ren ließ. Ihr be­gin­nen­des Siech­tum, das doch das star­ke Tem­pe­ra­ment nicht dämp­fen konn­te, hin­der­te den Gleich­lauf der Tage. Und nun fehl­te nicht nur Ed­gar, es war auch kein Al­fred mehr da, sie we­nigs­tens aus der Fer­ne zu um­sor­gen. Zwar die strah­len­den Som­mer in For­te konn­te ich ihr und mir noch er­hal­ten. Aber die schö­ne Woh­nung in der Via de’ Bar­di muss­te schließ­lich auf­ge­ge­ben wer­den, nach­dem sie zwei Jah­re lang so gut wie leer ge­stan­den hat­te. Nur der Ein­tritt in eine fest­ge­füg­te, von an­de­rer Hand ge­lei­te­te Haus­ord­nung konn­te die Not wen­den und mir die Kraft zur Pfle­ge und, wenn mög­lich, auch noch ein End­chen Zeit für die Ar­beit am Schreib­tisch wah­ren. Denn die Le­bens­be­schrei­bung mei­nes Va­ters, für die ich noch im letz­ten Som­mer in der Via de’ Bar­di die schrift­li­chen Zeug­nis­se ge­sam­melt und ge­sich­tet hat­te, war ja im ers­ten Sta­di­um des Wer­dens, und die bei­den äl­te­ren Brü­der, auf de­ren Mit­hil­fe ich, wenn auch bloß durch be­le­ben­de per­sön­li­che Erin­ne­run­gen, ge­zählt hat­te, wa­ren da­hin­ge­gan­gen, be­vor ich auch nur in der Lage war, die Ab­sicht mit ih­nen durch­zu­spre­chen. Es gibt ein ita­lie­ni­sches Sprich­wort: Chi ha tem­po non as­pet­ti tem­po, eine Um­for­mung des al­ten Car­pe diem: So gern lässt man ja den nächs­ten Au­gen­blick aus der Hand, auf einen bes­se­ren war­tend, der nicht mehr kommt. Mei­ne Mut­ter war zu fan­ta­sie­voll und zu per­sön­lich be­fan­gen, um als si­che­re his­to­ri­sche Stüt­ze die­nen zu kön­nen. Au­ßer­dem fehl­te es stark an ein­schlä­gi­ger Li­te­ra­tur, die sich in Flo­renz nicht auf­trei­ben ließ. Also war ich wie­der ein­mal fast ganz auf mich sel­ber an­ge­wie­sen, und wenn es mir schieß­lich doch ge­lang, die schwer­wie­gen­de Auf­ga­be zu lö­sen, so habe ich wahr­haf­tig kei­ner Gunst der Um­stän­de zu dan­ken, son­dern ein­zig der Grö­ße und Be­deu­tung des Ge­gen­stands. Da­bei wi­der­fuhr mir der selt­sa­me Irr­tum, dass ich mich in der Vor­re­de zu ei­nem Bruch be­kann­te, der – ver­meint­li­cher­wei­se – durch die jä­hen Schick­sals­stö­ße wäh­rend der Ar­beit in die Dar­stel­lung ge­kom­men wäre. Es soll nur nie­mand glau­ben, ein Un­recht, das er sich sel­ber ge­tan, wer­de je von frem­der Sei­te be­rich­tigt wer­den; ist eine For­mel ge­prägt, so bleibt sie ste­hen. Die Kri­tik, die im üb­ri­gen das Buch sehr warm auf­nahm, be­mäch­tig­te sich mei­nes falschen Ge­ständ­nis­ses, und ich be­kam wie­der und wie­der zu hö­ren, dass ein Bruch durch das Buch gehe. Als ich aber nach Jahr und Tag ein­mal sel­ber das Buch mit un­be­fan­ge­nen Au­gen mus­ter­te, ent­deck­te ich, dass da von ei­nem Bruch kei­ne Spur war: die­ser war nur durch mei­ne ei­ge­ne See­le ge­gan­gen! Bei der jüngs­ten Neu­auf­la­ge nun, aus der be­sag­tes Vor­wort weg­b­lieb, ge­sch­ah das Son­der­ba­re, dass die Kri­tik mich we­gen der end­li­chen Ent­fer­nung des stö­ren­den »Bru­ches« be­lob­te, in Wahr­heit war je­doch der Text – fo­to­gra­fiert!

      Die sie­ben Jah­re zwi­schen dem Tode Ed­gars und dem letz­ten Zu­cken des Lämp­chens sind die dun­kels­ten mei­nes Le­bens ge­we­sen. Ein ste­tes Um­her­zie­hen von Pen­si­on zu Pen­si­on, von mö­blier­ter Woh­nung zu mö­blier­ter Woh­nung, von Ita­li­en nach Deutsch­land und um­ge­kehrt. Das war noch ganz an­ders als zur Zeit, wo ich al­lein den Fluch des Un­be­haust­seins kos­te­te, aber doch das liebs­te Haupt ge­bor­gen wuss­te. Jetzt konn­te jede Schäd­lich­keit zum Ver­häng­nis wer­den, jede schlecht ge­koch­te Spei­se oder ein zu kal­tes Zim­mer. Es gab auch Häu­ser, wo man ein so ge­brech­li­ches Al­ter über­haupt nicht mehr auf­neh­men woll­te. Dann ka­men die Kri­sen, wo­bei es je­des Mal die Fra­ge war, ob das Herz die Stö­ße noch ein­mal über­ste­hen wür­de. Es ka­men die lan­gen Näch­te, wo ich ne­ben ih­rem Bet­te kni­end in den ver­krampf­tes­ten Stel­lun­gen ih­ren Puls hielt und ihre Atem­zü­ge über­wach­te. Glück­lich, wer das wach­sen­de Le­ben be­treut, sei es auch in To­des­ge­fahr, aber wis­sen, dass es un­ab­wend­bar ab­wärts geht, dass jede Bes­se­rung nur ein kur­z­er Auf­schub des Letz­ten sein kann, das ist auf die Län­ge schlim­mer als das Letz­te selbst. Mei­ne See­le fror im Ge­dan­ken an den kal­ten Ab­grund jen­seits der Lie­be, der mich er­war­te­te. Ich war ja so ein­sam ge­wor­den, weil ich schon längst gar kei­ne Zeit mehr hat­te für an­de­re Mit­le­ben­de. Ein­mal in For­te hat­te ich einen Traum. Die Erde war aus­ge­stor­ben, stumm, ohne Wär­me, ohne Licht, ohne ein ein­zi­ges grü­nes Hälm­chen, ohne einen Vo­gel­laut. Ich war der letz­te Mensch auf dem ver­eis­ten Pla­ne­ten; auf ge­neig­ter Flä­che glitt ich über den ewi­gen Schnee hin­ab zwi­schen wei­ßen Schnee­wän­den, ein­sam wie es nie­mand je zu­vor ge­we­sen. Auch als sich noch ein an­de­res mensch­li­ches We­sen her­zu­fand, des­sen Ge­sicht mir nicht er­kenn­bar war, än­der­te das nichts an mei­ner Ein­sam­keit. An dem völ­lig wei­ßen Schnee­him­mel sah ich eine blas­se, run­de Schei­be, den Mond. Ich woll­te mich freu­en, dass er noch da sei, da roll­te er sich wie ein Fla­den zu­sam­men und fiel in wei­ßen Schnee­fet­zen her­un­ter. Jetzt ist auch der Mond ge­stor­ben, sag­te ich hoff­nungs­los. Da öff­ne­te sich in der Schnee­wand zu mei­ner Lin­ken eine Ni­sche wie ein Ta­ber­na­kel, ein weib­li­ches Bild­nis bog sich bis zu hal­b­em Lei­be her­aus – mei­ne Mut­ter! Vom Über­maß der Er­schüt­te­rung er­wach­te ich. Sie leb­te da­mals noch und schlief im Ne­ben­zim­mer; ich konn­te mir sa­gen, dass die Ve­rei­sung des Pla­ne­ten noch ei­ni­ge Zeit für mich hin­aus­ge­scho­ben war. Aber fes­ten Fuß fass­te ich nicht mehr auf der Erde.

      Und die Welt wur­de leer und lee­rer. Wenn ein ers­ter Ver­lust das Le­ben ei­nes Men­schen er­schüt­tert, so scha­ren