aber nie den Fuß auf die Baustätte setzte, und klagte ihm, ich hätte mitten unter der Arbeit Veränderungen angeordnet, die dem Vertrag widersprächen. Meine Erklärung, dass der Hildebrandsche Entwurf nichts enthalte, was gegen den Vertrag verstoße, konnte ich aber nicht beweisen, weil der Werkführer plötzlich versicherte, die Zeichnung verloren zu haben; ich konnte nur darauf bestehen, dass nicht weitergebaut würde, bis das Blatt wieder zur Stelle sei. Der Ingenieur schrieb nun an Edgar, dass ich vertragbrüchig geworden sei und dass die Preisvereinbarungen hinfällig würden, wenn ich nicht von meinen unberechtigten Änderungen abstünde. Da mein rascher Bruder der falschen Darstellung glaubte und unbedingt verlangte, ich müsse mich fügen, drohte der Streitfall sich in die Familie hinein zu erweitern. Aber der Allvermittler Vanzetti übernahm es mit seiner großen Macht über die Gemüter der einfachen Leute, den Maurermeister zur Einsicht zu bringen: die verlorene Zeichnung war plötzlich wieder da und wurde haargenau ausgeführt, der Ingenieur kehrte in seinen olympischen Gleichmut zurück, und der Schuldige übernahm den durch seinen Eigensinn verursachten Mehraufwand. Nur das erregbare Bruderherz grollte mir noch eine Weile weiter, wie er in unseren Kindertagen getan hatte, wenn ich einmal anders wollte als er oder auf irgendeinem Punkt seinen Geschmack nicht teilte. Er hatte sich mein Häuschen als ein verkleinertes Abbild des seinigen gedacht: dass ich im Stil gänzlich von ihm abwich, schnitt ihm in die Seele und ließ ihn das Ungewohnte von vornherein als Überspanntheit verurteilen. Als aber der Bau in seiner Eigenart dastand und die Hildebrandsche Absicht verwirklichte, auf kleinstem Raum den Eindruck des Mächtigen zu geben, da bekehrte er sich nur zu sehr; das große Tor mit den vier Flügeln, das, wenn die unteren geschlossen und die oberen offen waren, den davorliegenden Meereshorizont mit den ziehenden Segeln wie in einem schön geschwungenen Rahmen einschloss, und das ausdrucksvolle, von einem roten Ziegeldächlein wie von einer Braue überwölbte breite Fenster taten es ihm dermaßen an, dass er am liebsten sein eigenes Haus im gleichen Stil umgebaut hätte. Er ruhte auch nicht, bis er in dem wiedererwachten Wetteifer unserer Frühzeit bei einem Anbau, den er vornahm, noch Gelegenheit fand, die empfangenen Anregungen zu verwerten. Eine Kindlichkeit dieser großen Natur, die für mich etwas Rührendes hatte. – Das gäbe einen hübschen Novellenstoff, meinte wieder einmal Freund Hildebrand mit Lächeln, als ich ihm erzählte, welche Nöte es mich gekostet hatte, seinen Entwurf durchzusetzen. Heute, wo das Häuschen in einer dichten Villenreihe wie ein winziger Zwerg zwischen übermächtigen Nachbarn eingekeilt steht und nur noch durch eine außergewöhnliche gärtnerische Umrahmung den Charakter seiner Einmaligkeit bewahrt, kann man sich nicht mehr vorstellen, wie zwingend einmal das kleine Ding, noch frei in seinen eigenen Maßen stehend, mit keinem anderen Hintergrund als der vielgipfeligen Pineta und der edelgeformtesten aller Alpenketten sich dem Stilgefühl auferlegte. – Diese Alpen mit ihren aufgerissenen weißen Flanken, vielgestaltig wie die Dolomiten, aber noch nicht totes Gestein wie diese, gewaltig ohne erdrückend groß zu sein, weil sie fast übergangslos aus Meereshöhe aufsteigen, und mitten inne als Herzfleck der rote Erdbruch der Ceragiola, der damals noch nicht erschöpft und in Grau verblasst war wie heute, sondern tiefrot aus dem Grün der Vorberge flammte, gibt es irgendwo schönere? Aber dass sie in den glücklichen Zeiten, von denen ich erzähle, auch ein Bollwerk gegen die Tramontana bildeten und damit dem Strand ein paradiesisches Winterklima schenkten, davon weiß nur der kleine Rest der Ureinwohner noch, die wir bei unserer Siedlung vorfanden. Heute möchte ich niemand raten, den Winter, wie ich es des öfteren tat, im ungeheizten Haus zu verleben, den ganzen Dezember hindurch und noch im Januar zu baden und im Sommerkleid am Strande zu gehen. Was auch die klimatischen Vorgänge verändert haben mag, die Tatsache wiederholt sich neuerdings jeden Winter, dass die Apuanischen Alpen sich bis herab zu ihrem Fuß mit Schnee bedecken, der seine Kälte auf den einst so milden Strand herunterstrahlt.
Mit der Beilegung des Maureraufstands gab sich der kleine Kobold, der mir bei dem Hausbau ein Bein ums andere stellte, noch nicht zufrieden; er hatte sich unterdessen schon einen neuen Schabernack ausgedacht. Ich hatte mir ungeschickterweise einfallen lassen, bei meinem guten Mütterlein anzuklopfen, ob sie einverstanden wäre, dass ich sie einmal zu einem günstigen Zeitpunkt vorübergehend in dem Häuschen allein ließe, um ein paar Wochen deutsche Luft zu atmen und ihr dadurch Gelegenheit gäbe, sich in mein freiwerdendes Zimmer einen Gast nach ihrem Herzen einzuladen. Einen Gast! Das Wort elektrisierte sie und setzte sich auch gleich in die Mehrzahl »Gäste« um. Und ohne sich darum zu sorgen, dass wir ja überhaupt nach Edgars Willen nur zwei Zimmer hatten, das ihrige und das meinige, dass also von einem Gast nur dann die Rede sein konnte, wenn ich selber auszog – Raum und Zeit waren ihr nebensächliche Begriffe –, setzte sie sich flugs und schrieb freudeglühend ohne mein Wissen gleich drei Einladungen schon für den kommenden Sommer. Ich fiel aus den Wolken, als ich von allen drei Seiten fast gleichzeitig die jubelnde Zusage erhielt, die Ferien mit uns auf unserer »Meervilla« zu verbringen. Eine gute Seele hatte sogar schon den Koffer gepackt, um auf den ersten Wink reisen zu können. Um die Drastik der Lage noch zu erhöhen, kam um die gleiche Zeit aus Forte eine Beschwerde des obbelobten Maurers, die von meinem Bruder angegebenen Maße der Treppe seien falsch, es sei überhaupt bei den Raumverhältnissen nicht möglich, von dem Untergeschoss eine Treppe ins obere zu führen. Jetzt aber geriet Edgar in Brand, denn was er anordnete, das wusste er richtig! Er opferte einen Tag und fuhr nach Forte, zeichnete dem Mann die Stufen an die Wand und hinterließ ihn überzeugt und beruhigt. Mir aber fiel die peinliche Aufgabe zu, gleich sämtliche Einladungen zu widerrufen, was, wenn es auch mit den besten Gründen und mit der trostreichsten Aussicht auf die Zukunft geschieht, doch einen leise bitteren Nachgeschmack lässt. Freilich lieferte die noch mangelnde Treppe eine ausgiebige Entschuldigung.
Aber als ich dann im Frühsommer einziehen konnte, als die ewig Heimatlose, wider Willen Schweifende, nun einmal wirklich und ausschließlich eigenen, durch Arbeit erworbenen Grund und Boden unter den Füßen hatte, da versanken die ausgestandenen Nöte vor der tiefen inneren Befriedigung. Es ist kaum zu glauben, wie sehr das Bauen auf eigener Scholle, gleichviel ob groß oder klein, das Selbstgefühl hebt und dem Leben gegenüber eine ganz andere Sicherheit gibt. Die »unsicheren Sohlen« haben mit eins, wo sie haften, das vorher schattenhafte Dasein erkennt sich selbst als Wirklichkeit, wenn es sieht, wie fremde Hände sich in seinem Dienste regen. Mein Häuschen äußerte auch gleich seine Anziehungskraft für alles Gute: zu jeder Tür zogen Freude, Friede und Freundschaft