Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962812515



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Er wur­de lan­ge in der Stadt nicht mehr ge­se­hen, aber er leb­te noch, alt und müde ge­wor­den, in das ers­te Jahr des neu­en Jahr­hun­derts hin­ein. Le­bens- nicht schaf­fens­mü­de, denn auf sei­ner schö­nen, spä­ter­wor­be­nen Be­sit­zung in San Do­me­ni­co mal­te er im­mer wei­ter, was er dem kör­per­li­chen Ver­fall noch ab­rin­gen konn­te, mit Far­ben, die im­mer lei­den­schaft­li­cher, im­mer drän­gen­der wur­den, je mehr sein Tag sich neig­te. Am Mor­gen des 16. Ja­nu­ar 1901 schloss ihm Ed­gar, der ihn durch zwei Jahr­zehn­te als Arzt und als Freund be­treut hat­te, die Au­gen, jene au­ßer­or­dent­li­chen Au­gen, die wie kei­ne an­de­ren von der Na­tur zur Schau des Schö­nen ein­ge­rich­tet wa­ren. Und mir fiel das Amt zu, für die deutsch­spra­chi­ge Ko­lo­nie von Flo­renz dem großen Ent­schla­fe­nen den letz­ten Ab­schieds­gruß nach­zu­ru­fen:

       Der Meis­ter schied. Er hat sein Werk voll­bracht,

       Der un­er­müd­lich in des Le­bens Dür­re

       Die gol­de­nen He­s­pe­ri­denäp­fel streu­te,

       Der über al­lem Lärm und Drang der Welt

       Des Spie­les hei­li­gen Ernst für uns ge­ret­tet.

       Denn Län­der schuf er, Mee­re, Kö­nig­rei­che

       Der Poe­sie und gab sie uns und ließ

       Uns drin wie mit den ers­ten Göt­tern woh­nen.

       So rast­los schaf­fend, spen­dend, nie be­küm­mert,

       Auf wel­chen Bo­den sei­ne Früch­te fie­len,

       Sah er die letz­te Son­ne nie­der­gehn,

       Dann stieg er lä­chelnd in den Kahn und glitt

       Hin­weg, die un­be­kann­ten Wo­gen fur­chend.

       Zur stil­len In­sel ging er, wo am Strand

       Das Was­ser schläft, wo un­ter ho­hen Bäu­men

       Die from­men Schat­ten zu Al­tä­ren wal­len,

       Bei Flam­men, Blu­men erns­ten Dienst be­ge­hend,

       Wo nur zu­wei­len leis ein Na­chen lan­det

       Aus dem ver­hüllt ein neu­er Gast ent­steigt,

       Wo al­les Er­den­le­bens Drang und Fül­le

       Nur als Mu­sik noch um die Wip­fel schwebt.

       Dort wei­len sie, die un­ver­gäng­lich sind,

       Und dort­hin ging auch Er.

       Kein Trau­er­wort

       Fol­ge dem herr­lich nun Vol­len­de­ten!

       Mit Blu­men, Flam­men wol­len wir ihn eh­ren,

       Mit sol­cher Wei­he, die er selbst ge­lehrt.

       Was er uns oft in Bil­dern fest­lich zeig­te,

       Heut seis für ihn voll­bracht. So lo­dert, Flam­men!

       Preist ihn, ihr Blu­men! Ele­men­te alle,

       Ehrt eu­ren Dich­ter! Schweb em­por, Mu­sik!

       Trag dem Ent­rück­ten, aber Un­ver­lor­nen

       Ins Land des Schwei­gens uns­re Grü­ße nach!

      Mit Böck­lin schloss der Rei­gen der ruhm­rei­chen To­ten des vo­ri­gen Jahr­hun­derts in Flo­renz. So sieht man ge­gen das Früh­jahr die gan­ze Pracht des win­ter­li­chen Fir­ma­ments Stern um Stern hin­un­ter­sin­ken und neu­en Him­mels­er­schei­nun­gen Platz ma­chen, die aber den Glanz der vo­ri­gen nicht er­rei­chen. – – Eine rüh­ren­de häus­li­che Epi­so­de, die sich an den Tod des al­ten Meis­ters knüpft, hat mir sei­ne äl­tes­te Toch­ter, die schö­ne Cla­ra Bruck­mann, er­zählt: Die­se fand im Nach­lass ih­res Va­ters ein Bün­del Frau­en­brie­fe, die auf ein Her­zen­sein­ver­ständ­nis schlie­ßen lie­ßen. Böck­lin war ja als der mus­ter­haf­tes­te Ehe­gat­te be­kannt, aber die Toch­ter hielt es doch für rat­sam, den Au­gen ih­rer Mut­ter, der lei­den­schaft­li­chen Rö­me­rin, de­ren Ei­fer­sucht auch das Al­ter nicht ge­mil­dert hat­te, die­sen Fund zu ent­zie­hen. Sie trug die Brie­fe in den ent­le­gens­ten Win­kel des Gar­tens, ent­zün­de­te einen Flam­men­stoß und warf die Brie­fe Blatt um Blatt hin­ein. Dann hol­te sie aus dem Kel­ler einen Fias­co von Böck­lins Lieb­lings­wein und goss ihn mit töch­ter­li­cher Hand als Wei­he­ga­be auf die glim­men­de Asche.

      *

      Ein Wunsch des Ver­lags, des­sen Be­grün­dung ich an­er­ken­ne, ver­an­lasst mich, die­ses wie alle nach­fol­gen­den Ka­pi­tel um die Bild­nis­se der über­le­ben­den Freun­de, de­ren ich an die­ser Stel­le zu ge­den­ken hät­te, zu kür­zen oder sie auf die knapps­te Fas­sung zu brin­gen, ohne ihre Na­men zu nen­nen. Mit die­sen aus äu­ße­ren Rück­sich­ten ent­sprun­ge­nen Maß­nah­men kann auch das Stil­ge­fühl ein­ver­stan­den sein. Die Ab­ge­schie­de­nen sind jetzt aus leich­te­rem Stof­fe und durch und durch vollen­det; sie we­sen in ei­nem an­de­ren Luf­traum als die frag­men­ta­ri­schen, in ih­rer ir­di­schen Schwe­re und Be­dürf­tig­keit ge­blie­be­nen Le­ben­di­gen, die bei dem Ver­gleich not­wen­dig ver­lie­ren, in ei­nem Luf­traum, wo­hin nur der Be­schwö­ren­de sel­ber mit­ein­ge­la­den ist. Aus der Fremd­heit bei­der Na­tu­ren stammt ja wohl die Vor­stel­lung der Geis­ter­gläu­bi­gen, dass der Ent­kör­per­te bei der plötz­li­chen Be­geg­nung mit ei­nem Le­ben­den eben­so er­schro­cken zu­rück­fah­re wie je­ner vor ihm. – Da­rum kann ich mei­ner treu­en Fili, der schö­nen hoch­blon­den Ger­ma­nin, die in ho­hen Jah­ren, aber un­ge­beug­ten Haup­tes als Gat­tin ei­nes be­rühm­ten His­to­ri­kers noch in Flo­renz lebt, von die­ser Stel­le aus nur einen kur­z­en Gruß zu­win­ken. Sie hat mir durch Jahr­zehn­te die von der Na­tur ver­sag­te Schwes­ter er­setzt und mei­ne Mut­ter wie ihre ei­ge­ne ge­liebt, das Bes­te, was an mir ge­sche­hen konn­te. Denn auch eine gan­ze An­zahl wei­te­rer Brü­der wür­den mei­ne Schwie­rig­kei­ten nicht er­leich­tert ha­ben. L’a­mo­re diszen­de (die Lie­be geht nach ab­wärts) sagt kurz­weg das ita­lie­ni­sche Sprich­wort. Bör­ries von Münch­hau­sen hat es in die Wor­te ge­fasst: »Den gol­de­nen Ball wirft je­der lä­chelnd wei­ter / Und kei­ner gab den gol­de­nen Ball zu­rück«. Es sind Män­ner­wor­te, sehr wah­re. Im­mer wa­ren es Frau­en­hän­de, die den gol­de­nen Ball zu­rück­ga­ben. Nur ei­ne mir zu­ge­bor­ne See­le vom glei­chen Ge­schlecht, so hät­ten wir ge­mein­sam un­se­re Schul­tern un­ter­ge­scho­ben und das wun­der­lich-wun­der­sa­me Mut­ter­we­sen heil durchs Le­ben ge­tra­gen, ohne zu viel von ei­ge­nen Da­seins­rech­ten ein­zu­bü­ßen. Hier war die Stel­le, wo es im­mer so rau in mein Le­ben her­ein­blies. In die­se Lücke trat, so­weit es von au­ßen her mög­lich und ihr durch die ei­ge­nen Pf­lich­ten ge­stat­tet war, die treue Fili. Eben­so blei­be ich ih­rem hoch­ge­lehr­ten Gat­ten, der mir so man­ches­mal aus sei­nem ab­grün­di­gen Wis­sen den kür­zes­ten Weg zu mei­nen Quel­len ge­wie­sen hat, für im­mer ver­pflich­tet. Wenn wir in lan­gem Ver­kehr oft an­ein­an­der vor­über­dach­ten, so ge­sch­ah es durch den Ge­gen­satz der bei­der­sei­ti­gen Auf­ga­ben und An­la­gen: dass sein scharf­ge­schlif­fe­ner kri­ti­scher For­scher­geist wie ein spit­zes In­stru­ment die Scha­len der Über­lie­fe­rung spreng­te, um da­hin­ter die rei­ne Tat­sa­che zu su­chen, wo­ge­gen ich, in My­the und Dich­tung wur­zelnd, viel­mehr ge­neigt war, die Tat­sa­chen als die ei­gent­li­chen Scha­len zu be­trach­ten, die tiefe­re, die sym­bo­li­sche Wahr­heit aber eher in der Über­lie­fe­rung als in den ur­kund­li­chen Zeug­nis­sen ge­spie­gelt