Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Wilhelm Raabe |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962816056 |
»Er hat sicherlich die Wahrheit gesprochen, Mama!« rief Viktor Fehleysen mit bebender Stimme. »Wir haben uns nur zu schämen, und du hast den Sieg innerhalb und außerhalb deiner Wälle gewonnen. Ich habe überhaupt keine Stimme mehr im Rat und will gehen und stehen, wie du es befiehlst. Aber auch die anderen sollen deinem Kommando gehorchen. Wenn ich besser sprechen könnte und nicht in jedem Augenblick das Gleichgewicht verlöre, würde ich es ihnen schon sagen. Der da aus Abu Telfan versteht das Ding gut genug und hat es auch schon bewiesen in der Höhle des Leutnants Kind; – Fluch und Wehe über mich, lass ihn Wache halten vor Nikolas Tür! Einst fand ich jenen Friedrich von Glimmern auf allen meinen Wegen; nun steht dieser hier überall da, wo ich stehen sollte, und dass beides verdrießlich für mich ist, weiß ich; doch was mir am meisten Schande bringt, hab ich noch nicht herausgeklügelt, hoffe es aber mit der Zeit und Weile noch herauszubekommen.«
»Mein Kind, mein Kind, du bist im Hause deiner Mutter!« rief Frau Klaudine. »Deine Mutter tritt zwischen dich und dieses Grübeln, Rechnen und Rechten über und um das Vergangene. Leonhard Hagebucher hat recht, ich wollte ein neues Haus, einen neuen Herd bauen für meine Kinder, denn ich wusste, dass sie zu mir zurückkehren würden – wie sie kommen mochten, das kümmerte die Mutter nicht. Ich habe Feiertagskleider gewebt für mich und für die Meinigen, und wir wollen sie alle tragen, alle, alle! Und jetzt, Leonhard, sagen Sie uns von Ihrem trauernden Vaterhause, von der Mutter und der Schwester; ach, die nächsten Gräber verlieren oft über dem Leben ihren Anspruch an uns; aber meine Gedanken sind doch immer bei Ihnen und den Ihrigen gewesen, mein Freund!« –
Sie sprachen nun von dem Tode und dem Begräbnis des wackeren Steuerinspektors und wie der Vetter Wassertreter so treu und trotz aller Betrübnis so lustig zu dem Haus Hagebucher stehe. Der Herr van der Mook saß stumm im Winkel, hielt den klugen Kopf des Spitzes zwischen den Knien und hielt seinen eigenen Kopf tief gesenkt. Die Frau Klaudine sprach innig teilnahmsvoll von den Verhältnissen und Zuständen Leonhards, aber den Sohn ließ sie doch kaum einen Augenblick aus den Augen, immer suchte ihn ihr unruhiger Blick über die Schulter; und mehr als einmal streckte sie, ohne es zu wissen, die Hand aus, als suche sie die seinige, wie in großer Angst, dass er sich erheben, vor die Tür treten und nimmer wiederkehren werde. Der Herr van der Mook regte sich jedoch kaum, bis im Verlaufe des Gesprächs wieder einmal der Name Nikola von Glimmern genannt wurde. Da sprang er so jäh auf, dass der erschreckte Hund mit einem Laut der Angst vor ihm zurückfuhr. Heftig fasste er den Arm Hagebuchers und rief:
»Sei mein Freund und stehe mir bei! Ich bin nur wie ein Mann, der aus einem Haschischrausch erwacht, ein Kind kann mich mit dem Verstand und mit der Hand meistern. Wann gehst du zurück nach der Hauptstadt? Denke für mich, handle für mich; ich fasse deine Hand, wie du die meinige zu Abu Telfan im Tumurkielande fasstest!«
»Ach, wenn man nur mit den Mächten der Zivilisation handeln könnte wie mit den Barbaren am Mondgebirge!« seufzte Leonhard kopfschüttelnd. »Nur die Frau Klaudine wird uns alle retten. Sie allein hat den Zauberstab, der die Winde bändigt und die Wellen ebnet; sie allein ist reich genug, das Lösegeld aufzubringen, welches die Seelen frei macht von den Banden der Knechtschaft; sie hat das Brot und Wasser des Lebens und kann die Hungernden speisen, die Dürstenden tränken. Nikola von Einstein aber weiß das, hat es am vollsten und klarsten erfahren, deshalb hab ich kaum eine Sorge, gewiss aber keine Furcht um sie. Der Sturm, welchen wir nur aufhalten, nicht verbieten können, wird ihr schönes Haupt tief beugen, doch den Baum ihres Lebens wird er nicht entwurzeln. Einst hat sie mir von einem Bürgerrecht in einem Reiche, von dem die Welt nichts wisse, gesprochen. In der rechten Stunde wird sie diesen Freibrief vorweisen, und alle da draußen werden ihn widerwillig oder freudig anerkennen müssen, und an diesem Tische wird sie niedersitzen und sprechen: Mutter, ich danke dir, dein Brot hat mich erhalten!« –
Fünfundzwanzigstes Kapitel
In seinem Studierzimmer saß der Professor Christian Georg Reihenschlager, beschäftigt mit dem Studium der vergleichenden Sprachwissenschaft; in ihrem Zimmer saß Fräulein Serena Reihenschlager, ebenfalls mit einer vergleichenden Wissenschaft beschäftigt. Es war ein klarer Januarnachmittag, die Sonne blickte heiter, wenn auch nicht warm in die Fenster, aber so licht wie der Tag war weder die Seele des Papas noch die der Tochter. Auf beiden Seelen nämlich lag ein leichter Schleier, nicht der graue des Missmutes, nicht der grüngelbe des Verdrusses, sondern der bläulichviolette des nicht unbehaglichen Sehnens nach einem guten, gemütlichen Kameraden, einem freundlichen, unterhaltenden Hausgenossen,