Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Wilhelm Raabe |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962816056 |
»Sicher rückt er, und wer Geduld hat und es erlebt, wird die Stunde für manch einen Wunsch und manch ein Geschäft schlagen hören«, murrte der Alte; der Herr van der Mook aber ergriff den Afrikaner an einem Knopfe, deutete auf den Leutnant der Strafkompanie und rief:
»Sehen Sie, Hagebucher, das ist ein glücklicher Mensch! Wie er da steht und wartet, wie er im rechten Moment zuschlagen wird ohne Zaudern und jegliche Rührung! Er begrub seine Kinder und geduldete sich, manch liebes, langes Jahr bewies er große Geduld; doch nun wird er zupacken – mit beiden Händen, ohne Erbarmen. Doris hieß die Kleine, welche mit dem Sekretär meines Vaters versprochen war; es ist ein hübscher Name, Hagebucher, ein Schäfername, und mein Freund Friedrich von Glimmern glaubte seinen Schäferroman ohne alle Gefahr oder, was ihm noch lieber gewesen wäre, ohne alles außergewöhnliche Aufsehen spielen zu können. Der Papa Kind saß zu Wallenburg und ritt seine Taugenichtse zusammen, der arme Adolf stand hier in der Stadt in Reih und Glied, und man konnte mit Recht erwarten, dass er sich ruhig verhalte. Doris lernte die bekannte feine Bildung, und der Herr von Glimmern hätte ihr mit Vergnügen allen Vorschub dabei geleistet. Pfui Teufel, wie nüchtern ist das Leben geworden! Das Mädchen war ehrlich und der junge Mensch, der alberne Schreiber, parierte nicht Order; aber auch die beiden unseligen Tröpfe gönnten einander nicht das rechte Wort, sondern dachten selbstverständlich das Schlechteste voneinander, bis die Katastrophe im Kasernenhof zu Wallenburg die Wahrheit an den Tag brachte. Ho, Leutnant, vielleicht wäre es doch komfortabler für alle Parteien gewesen, wenn Ihr dieser Wahrheit freien Lauf gelassen hättet; die Ohren aber klangen Euch ebensosehr wie das Herz. Na, einem Burschen, wie Ihr seid, soll man seinen Weg lassen, und wenn er seine Toten mit allem Anstand begräbt, ihm nicht dazwischenheulen; er verscharrt seinen Grimm nicht mit in der Grube.«
»Das tut er nicht«, sagte der Leutnant, »er weiß, was sich schickt, und ruft nicht die ganze Welt zu Hilfe, um zu verrichten, was er mit Geduld, Akkuratesse und gutem Willen allein besorgen kann. Es ist so viel Geschrei unter den Menschen, und wer’s vermag über sich, der soll seinen Gram mit keinem Ekel vermengen. O wären Sie, als das Dach über Ihrem Kopfe einstürzte, Herr von Fehleysen, zu mir gekommen, statt wie blind und toll in die weite Welt zu laufen, wir hätten Sie gewiss noch gerettet für ein recht erträgliches Dasein.«
»Vielleicht… ja, vielleicht!« murmelte Viktor mit einem Seufzer, fiel jedoch sogleich wieder in den alten Ton und rief mit Lachen: »Wir sind eben nicht alle aus demselben sonderbaren Metall gegossen wie Sie, tapferer Leutnant; – jetzt lassen Sie mich meine Geschichte zu Ende bringen, das wird dem Herrn Hagebucher mehr als alles andere beweisen, wie sehr Ihre Anschauungsweise vorzuziehen ist. Auf die Katastrophe zu Wallenburg folgte bald die Katastrophe in meines Vaters Hause, und ich fand keine Kraft in mir, wie ein Mann zu denken und zu handeln; der Faustschlag traf eine hohle Stirn, und damit ist alles gesagt. Ich floh gleich einem Feigling vor dem Geschrei der Menschen, vor dem Gespenst der verlorenen Ehre, vor den Blicken und dem Achselzucken meiner Kameraden, vor den Knöpfen meiner Uniform. Nicht der stolze, tote Vater, sondern das, was die Leute über ihn, über uns sagten, jagte mich hinaus. Gleich einem Wahnsinnigen riss ich die Mutter mit mir fort, aus ihrem Hause, von der blutigen Leiche des Gatten, hinaus in die Winternacht, um sie auf der Landstraße zu verlassen. Es war ein kindisches, tierisches Scheuwerden, eine Panik, wie sie nur über die Schwachen im Geist kommt. Niemals rannte ein Maulesel bei einer Estampede toller in die Prärie. Wo ich ruhig, tapfer und kalt wie Eis hätte sein sollen, da zersplitterte das bisschen Verstand und Überlegung in hundert Stückchen, wie ein Spiegel unter einem Steinwurf. Ich verließ meine Mutter und fing erst einige hundert Meilen weiter südwärts an, soweit es möglich war, zur Besinnung zu kommen. Eine schöne Besinnung, die Besinnung eines Pavians, welcher die Peitsche von seinem Wärter bekam