Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Wilhelm Raabe
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962816056



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kann, so wür­de ich es auf der Stel­le sa­gen; aber ich weiß es nicht –«

      »Und da­mit ist al­les ge­sagt, mein Jun­ge«, rief der Vet­ter Was­ser­tre­ter, »und jetzt lass mich ans Wort. Be­trach­te dir mei­ne Nase und be­hal­te dei­ne Mei­nung dar­über für dich; denn ich wer­de das Nö­ti­ge dar­über sel­ber von mir ge­ben, so­bald das ver­wandt­schaft­li­che Ge­sum­se und die Auf­re­gung der Base Schnöd­ler sich ge­legt ha­ben wer­den.«

      Das Fa­mi­li­en­kon­kla­ve summ­te und er­hob sich frei­lich, und die Tan­te Schnöd­ler war in der Tat auf­ge­regt und such­te hin­ter ih­rem Ta­schen­tu­che die ge­wohn­te Fas­sung; aber der Vet­ter Was­ser­tre­ter leg­te den Zei­ge­fin­ger an das Glied, auf wel­ches er den Afri­ka­ner auf­merk­sam ge­macht hat­te, und war­te­te mit schlau­em, schänd­li­chem Lä­cheln auf die Wie­der­her­stel­lung der Ruhe, um so­dann in sei­ner Rede fort­zu­fah­ren:

      »Ach­te auf die­se Nase, mein Sohn, sie bringt dich aus dem Sump­fe – in hoc si­gno vin­ces, wie die La­tei­ner sa­gen; un­ter die­sem Pa­nier wirst du den Sieg ge­win­nen. Un­serei­ner, wel­cher den gan­zen Tag auf der Land­stra­ße her­um­zu­lie­gen hat, denn der We­ge­bau hat sei­ne Mu­cken gra­de­so­gut wie das Wet­ter, ein sol­cher, sage ich, der hat Zeit und Ge­le­gen­heit, den Lauf der Welt zu stu­die­ren, und kann bei pas­sen­den Um­stän­den sei­ne Mei­nung kom­mu­ni­zie­ren, wenn man ihn noch so schief und ver­däch­tig an­sieht. Es pas­siert al­ler­lei über her­zog­li­che Chaus­see, und das Ge­trän­ke ist auch nicht un­ter al­len Schen­ken­zei­chen das­sel­be, und dann zot­telt man auf sei­nem al­ten Gau­le in die Kreuz und Que­re, und es kom­men ei­nem Phi­lo­so­phien, von de­nen sich an­de­re Leu­te nichts träu­men las­sen, und von der Cou­si­ne Mau­ser, dem Vet­ter Sacker­mann oder dem Vet­ter Stadt­rat ge­rät man auf den Kai­ser Louis Na­po­le­on, und von der Tan­te Schnöd­ler kommt man auf den Hei­li­gen Va­ter, das Pa­tri­mo­ni­um Pe­tri oder die Hohe Pfor­te, und von den Stein­klop­fern am Gra­ben, wel­che die Kap­pen her­un­ter­zie­hen und ›Gu­ten Mor­gen, Herr In­spek­tor‹ sa­gen, auf sich sel­ber. Da steht ei­nem der Ver­stand still, was der Mensch er­lebt, wenn er Ach­tung auf sich gibt; da lernt man sei­nen Schöp­fer ken­nen, o du grund­gü­ti­ger Him­mel! Sie­he, mein Söhn­chen, als sie mich im Jah­re acht­zehn­hun­dert­ein­und­zwan­zig mit ei­nem Tritt in Gna­den von der Wart­burg hin­un­ter­schick­ten, da kam ich grad­so heim wie du aus dem hin­ters­ten Afri­ka, und die Karls­ba­der Be­schlüs­se hat­ten ihr Werk grad­so­gut an mir ver­rich­tet, wie die Peit­sche im Tu­mur­kie­lan­de es an dir tat. Wir wa­ren Anno sie­ben­zehn am acht­zehn­ten Ok­to­ber als fri­sche und wa­cke­re Bur­sche hin­auf­ge­zo­gen; aber was hat die hün­di­sche Nie­der­träch­tig­keit, was ha­ben die fei­gen Ha­lun­ken, die über uns zu Ge­richt sa­ßen, uns aus un­serm blau­en Him­mel, aus un­serm deut­schen Herr­gott, aus al­lem, was in uns und über uns war, ge­macht! Zu Hau­se schlu­gen uns die Al­ten na­tür­lich auch die Tür vor der Nase zu oder setz­ten uns we­nigs­tens an den Kat­zen­tisch; wir hat­ten es ja nicht bes­ser ha­ben ge­wollt, und was von mei­ner Ju­rispru­denz noch üb­rig war, das konn­te ich dreist dem Herrn von Kamptz mit in die Ra­pu­se ge­ben, ohne viel dar­an zu ver­lie­ren. Da lag ich auf dem Bau­che und ließ mir die Son­ne auf den Rücken schei­nen, und ganz Nip­pen­burg ver­zog das Maul über den Lum­pen. Die Tan­te Schnöd­ler dort war der­ma­len ein recht sau­ber Mä­del, aber um die Es­sig- und Vi­tri­ol­fa­bri­ka­ti­on hat sie auch Anno To­bak schon recht leid­lich Be­scheid ge­wusst. Der Vet­ter Stadt­rat war im­mer zu was Großem ge­bo­ren und wuss­te es ei­nem gut zu ge­ben; ich sage dir, Leon­hard, es ist nichts Neu­es un­ter der Son­nen, dass die an­ge­neh­me Ver­wandt­schaft ein Kon­zil über einen aus dem Ge­leis ge­ra­te­nen ar­men Tropf aus­schreibt und sich wei­ser dün­ket als der lie­be Gott am sie­ben­ten Schöp­fungs­ta­ge; und wenn kein Con­si­li­um abe­un­di dar­aus wird, so ist die Ver­wandt­schaft nie­ma­len dar­an schuld. Ach Cou­si­ne Mau­ser, es ist im­mer­dar eine böse Welt ge­we­sen, des­we­gen sol­len die emp­find­sa­men und zärt­li­chen See­len zu­sam­men­hal­ten; aber – Sie brin­gen mich doch im­mer aus dem Kon­zept, so­bald ich Sie nur an­se­he, Kle­men­ti­ne! – wo war ich ste­hen­ge­blie­ben? Rich­tig, ich hab’s! wie ge­wöhn­lich bei der ar­gen, hin­ter­lis­ti­gen, nichts­nut­zi­gen Welt und ih­ren Nücken und Tücken, und was ich sa­gen woll­te, ist fol­gen­des, Leon­hard: Hier sit­ze ich, und Nip­pen­burg sagt, ich sau­fe. Dem ist aber nicht so, son­dern es ist nur ein lan­ger Weg von der Wart­burg im Lan­de Thü­rin­gen zu hie­si­gem hoch­löb­li­chem We­ge­bau­amt, auch ein in­tri­ka­ter Weg, wel­chen man nur mit Phi­lo­so­phie und Ge­duld fin­det und nicht ohne geis­ti­ge Stär­kungs­mit­tel wan­delt, wenn man ihn ge­fun­den hat. In­ne­re Be­schau­lich­keit ist mei­ne For­ce, und in ih­rem Na­men hei­ße ich dich, Leon­hard Ha­ge­bu­cher, im war­men Scho­ße der Mut­ter Ger­ma­nia will­kom­men und sage dir und all­hier ge­gen­wär­ti­ger hoch­acht­ba­rer Ver­wandt­schaft mei­ne Mei­nung, weil wir doch des­halb von der Ein­la­dung des Vet­ter Steue­rin­spek­tors Ge­brauch ge­macht ha­ben: ich bin ein al­ter Mann und mei­ne Re­pu­ta­ti­on ist nicht die bes­te; Geld und Gut habe ich nicht, aber Phi­lo­so­phie ist mei­ne Freu­de, und die will ich mit dir tei­len, du afri­ka­ni­scher Tau­ge­nichts. Komm zu mir, Leon­hard Ha­ge­bu­cher, wenn die an­de­ren dich nicht wol­len. Für ein paar Jah­re, hoff ich, reicht der Le­bens­mut noch aus; ein al­ter Bursch ver­lässt den an­de­ren nicht, und – Ger­ma­nia sei ’s Pa­nier! Rats­schrei­ber zu Nip­pen­burg! Ha­ben sie mich nicht auch dazu ge­macht, Anno fünf­und­zwan­zig, als ich noch ei­ni­ge Gra­de wei­ter her­un­ter war als du, mein Jun­ge? Gehe mit mir auf die Land­stra­ße, Leon­hard – hol­la, wo­hin will die Base Schnöd­ler?«

      »Mein Teil An­züg­lich­kei­ten und Grob­hei­ten habe ich mit Ge­duld an­ge­hört: jetzt aber hab ich mein voll ge­rüt­telt und ge­schüt­telt Maß. Sieh nach dem Wa­gen, Schnöd­ler; – Base Ha­ge­bu­cher und Herr Vet­ter, ich bit­te, es nicht für un­gut zu neh­men, wenn mein Rat und mei­ne Mei­nung in eu­rem Hau­se Om­bra­ge und Är­ger­nis er­regt ha­ben, sie wa­ren gut ge­meint; aber all­zu viel lass ich mir auch nicht bie­ten. Sieh nach den Pfer­den, Schnöd­ler, und emp­fiehl dich den Herr­schaf­ten, und was den Herrn Afri­ka­ner be­trifft, so mag er tun und las­sen, was er will, und was den Herrn We­ge­bau­in­spek­tor Was­ser­tre­ter an­geht, so sage ich nichts, als dass ich sei­ne ge­hor­sams­te Die­ne­rin bin, aber mei­ne An­sicht über ihn nur aus christ­li­cher Barm­her­zig­keit bei mir be­hal­te. Gu­ten Abend.«

      Gu­ten Abend kann je­der sa­gen; aber die Tan­te Schnöd­ler konn­te den freund­li­chen Wunsch auf eine ganz be­son­de­re Art aus­drücken – sie­he, es war gleich ei­nem Ha­bicht­schrei über ei­nem Hüh­ner­ho­fe, gleich ei­nem Stein­wurf in einen Sper­lings­hau­fen! Mit Flat­tern und Flü­gel­schla­gen er­hob sich die Ver­wandt­schaft, und jeg­li­ches Tem­pe­ra­ment brach­te sich in sei­ner Wei­se zur Gel­tung. Ver­geb­lich such­te die Mut­ter Leon­hards durch Bit­ten und Be­schwö­run­gen die er­reg­ten Ge­mü­ter zu be­sänf­ti­gen. Je­des gute Wort fiel gleich ei­nem Trop­fen Öl in das Feu­er, und nur um das Trut­hahns­ge­kol­ler in der Ver­samm­lung aus­zu­rot­ten, hät­te je­mand dem On­kel Stadt­rat und dem Vet­ter Sacker­mann den Hals um­dre­hen müs­sen, und selbst der El­fen­bein­händ­ler vom Wei­ßen Nil hielt sich in­ner­halb der Gren­zen der ge­bil­de­ten eu­ro­päi­schen Welt und tat die­se Tat nicht.

      Der Steue­rin­spek­tor Ha­ge­bu­cher, der Va­ter des Hau­ses, wel­cher der Ma­jo­ri­tät der Ver­wandt­schaft und vor al­lem der Tan­te Schnöd­ler voll­stän­dig