Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Wilhelm Raabe
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962816056



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und aus­wu­chert, fin­den wir au­gen­blick­lich noch nicht Wort, Bild und Gleich­nis, und ha­ben uns mit der nüch­ter­nen Tat­sa­che zu be­gnü­gen, dass es – im Bu­sen quoll.

      Es war nicht nur eine ban­ge, son­dern es war auch eine lan­ge Nacht, trotz­dem dass sich die Mor­gen­rö­te schier un­mit­tel­bar an die letz­ten ro­si­gen Far­ben­tö­ne des Son­nen­un­ter­gangs an­schloss. Der Baron auf sei­nem Stuh­le spür­te die­ses durch alle Glie­der. Eine wi­der­stands­fä­hi­ge­re Na­tur als die sei­ne wür­de ge­wiss all die­sen geis­ti­gen und kör­per­li­chen Auf­re­gun­gen, An­stren­gun­gen und Qua­len er­le­gen sein; er er­hielt sich in sei­ner Weich­heit und er­leb­te den nächs­ten Mor­gen, der aber selt­sa­mer­wei­se auch dann nicht aus­ge­blie­ben sein wür­de, wenn er, Fer­di­nand von Ripp­gen, nicht mehr im­stan­de ge­we­sen wäre, bei sei­nem Er­schei­nen »Gott­lob!« zu sa­gen.

      Über die Ber­ge leg­te sich das Licht – blen­dend er­füll­te es die Welt, und herr­li­cher, an­lo­cken­der, lieb­li­cher und schmei­cheln­der hat­te die Um­ge­gend des al­ten ruhm­strah­len­den Ho­hen­stau­fen­ke­gels noch nim­mer zum Ver­wei­len ein­ge­la­den. Wer sich je­doch nicht ver­lo­cken ließ, das war die Tou­ris­ten­ge­sell­schaft im Wirts­haus zum Lamm in dem Dor­fe Ho­hen­stau­fen.

      Nim­mer hat­te eine Rei­se­ge­sell­schaft so sehr ge­nug von ei­ner schö­nen Ge­gend ge­habt! Nim­mer wa­ren zween ed­len Frau­en­see­len sämt­li­che his­to­ri­sche Erin­ne­run­gen und Genüs­se ei­ner Land­schaft so voll­stän­dig ver­lei­det wor­den, wie dies­mal und wie hier! Nim­mer hat­te sich ein kö­nig­lich säch­si­scher As­ses­sor au­ßer Dienst und Ehe­mann in Diens­ten so voll­ge­so­gen an den Freu­den und fröh­li­chen Aben­teu­ern ei­ner frei und auf ei­ge­ne Ge­fahr und Rech­nung, ohne die Frau, un­ter­nom­me­nen Fahrt ins Blaue!

      Aber selbst Pechle hat­te für dies­mal ge­nug! Selbst er, der doch am bes­ten ge­schla­fen hat­te, er­wach­te mit ei­nem äu­ßerst wüs­ten Kop­fe, sah sich beim Er­wa­chen au­ßer­ge­wöhn­lich wirr­sin­nig in sei­nem wei­ten Schlaf­ge­ma­che um und fand für alle sei­ne an­ge­bo­re­nen und zu­er­wor­be­nen Ide­en einen nur zu aus­rei­chen­den Tanz­platz rings um sich her.

      Hal­ten wir uns an Pechle; an ihm, den »die gan­ze Ge­schich­te doch ei­gent­lich gar nichts an­ging«, und der einen Au­gen­blick lang so­gar noch im­stan­de war, sich sol­cher­ge­stalt und der­ar­tig zu er­mun­tern und auf­zu­rich­ten, wird uns das Maß der Zer­fah­ren­heit nach al­len Sei­ten hin deut­lich. Schon als er sei­ne Toi­let­te vollen­det hat­te und die Trep­pe hin­un­ter­stieg, war er sich des Fak­tums, dass ihn die Ge­schich­te sehr viel an­ge­he, merk­wür­dig klar be­wusst, und er hat­te nie­mals so be­schei­den und schüch­tern vor dem Ein­tre­ten an eine Tür ge­pocht, wie jetzt, wo er ge­spannt dar­auf­horch­te, wer ihn her­ein­ru­fen wer­de.

      »Come in!« sag­te eine Stim­me drin­nen, und er kam her­ein.

      Er kam her­ein und fand bei­de Da­men samt ih­rer Kam­mer­jung­fer rei­se­fer­tig, und den Baron über­näch­tig, bleich und ge­bro­chen in ei­ner Ver­hand­lung mit dem Wir­te um einen Wa­gen nach Göp­pin­gen. Höf­lich im Krei­se grü­ßend und sich nach dem Be­fin­den der Ge­sell­schaft er­kun­di­gend er­hielt Chri­stoph auch jetzt die Ant­wort von Chri­sta­bel; die Baro­nin über­sah ihn, und Fer­di­nand blick­te nur matt ihn an und nick­te sche­men­haft. Miss Chri­sta­bel Ed­dish aber sag­te:

      »Mein Herr, wir le­ben noch, und wir sind Ih­nen sehr ver­bun­den; aber wir wol­len zu­rück­keh­ren nach Haus. Es war ein sehr schö­ner Tag, den wir ges­tern er­lebt ha­ben.«

      »Gnä­di­ges Fräu­lein, se­hen Sie, das freut mich!« rief Pechle freu­dig. »Ich habe es gleich ge­sagt, dass es Ih­nen bei uns ge­fal­len wür­de. Aber wes­halb wol­len Sie jetzt schon um­keh­ren? Ich wür­de Ih­nen noch man­cher­lei zei­gen kön­nen, und wenn die Da­men un­ter mei­ner Füh­rung –«

      Ein ei­gen­tüm­li­cher Ton durch­zit­ter­te das Ge­mach, und die­ser Ton ging von der Baro­nin Lu­cie von Ripp­gen aus und schnitt dem Ex­stift­ler scharf den Satz in der Mit­te durch.

      »So ver­schaf­fen Sie uns einen Wa­gen, Mr. Pit­ch­lin«, seufz­te Miss Chri­sta­bel, und der Baron Fer­di­nand gab so­fort den Lamm­wirt in die Hand sei­nes Freun­des und seufz­te eben­falls, aber sehr er­leich­tert, als Chri­stoph ohne Zö­gern ganz be­reit­wil­lig die Last über sich nahm, den Bie­der­mann zur Ver­nunft und zur Stel­lung ei­nes Ge­fährts zu brin­gen.

      Sie hat­ten alle – alle – bis auf Pechle, das heißt die­sen aus­ge­nom­men, ge­nug des Wan­derns, und Fer­di­nand hat­te viel­leicht am voll­stän­digs­ten ge­nug. Mit Schau­dern er­füll­te sie die Idee, den Weg durch das ro­man­ti­sche Land fort­zu­set­zen. Nicht ein­mal den Rech­berg er­stie­gen sie; und das Wä­scher­schlöss­chen so­wie die Grä­ber zu Lorch wa­ren ih­nen nicht nur gleich­gül­tig, son­dern die blo­ße Vor­stel­lung, sie bei­de be­trach­ten zu müs­sen, er­füll­te sie mit Grau­sen und er­reg­te in ih­nen ein un­sag­ba­res Übel­be­fin­den. Reif sein ist in je­der Be­zie­hung al­les, und dies­mal war man zur Um­kehr reif und kehr­te dem­ge­mäß um: dass man aber in die­sen Ta­gen für vie­ler­lei reif ge­wor­den war, das wird die Zu­kunft zei­gen. –

      Durch einen sehr hei­ßen Som­mer­mor­gen fuhr die ge­knick­te und mit dem bös­ar­tigs­ten Kopf­weh be­haf­te­te Ge­sell­schaft un­ter dem Schut­ze Chri­stoph Pech­lins gen Göp­pin­gen hin­un­ter, und jeg­li­cher Blick rück­wärts auf den kah­len Ke­gel des Stau­fen­ber­ges be­fes­tig­te bei al­len au­ßer dem Ex­stift­ler die ein­zig und al­lein noch Trost ge­ben­de Ge­wiss­heit des: Ein­mal und nie wie­der.

      »An dem Spaß werd’ ich lan­ge zu fres­sen ha­ben«, sprach Pechle auf der Ei­sen­bahn­fahrt nach der Stadt der Hip­po­kä­pou­ri­er still­ver­gnügt in sich hin­ein, und La­che­sis, den Fa­den sei­nes Le­bens durch die Hand lau­fen las­send, sah un­will­kür­lich ge­nau­er auf den Kno­ten, den sie plötz­lich zwi­schen den Fin­gern spür­te und wand­te sich mit ei­nem gut­mü­ti­gen Lä­cheln stumm zu Atro­pos, die ein­fach auch stumm blieb und die Ach­seln zuck­te.

      In Stutt­gart war es er­sti­ckend heiß, ein Hauch wie aus ei­nem über­heiz­ten Ofen fährt durch un­se­re Ge­schich­te und rollt die Blät­ter un­se­res Ma­nu­skrip­tes, sie an den Ecken lei­se an­bräu­nend, auf. Wir rin­gen nach Luft, und wäh­rend wir rin­gen, ver­schwin­det für län­ge­re Wo­chen al­les, das heißt, was wir dies­mal al­les nen­nen, aus un­se­rem Ge­sichts­krei­se. Die Baro­nin ist, wie wir wis­sen, ein we­nig kor­pu­lent und kann die Hit­ze nicht gut ver­tra­gen; sie ver­schwin­det, und ihr Gat­te folgt ihr – sie nimmt ihn mit sich. Miss Chri­sta­bel Ed­dish, die nicht kor­pu­lent ist, ver­schwin­det eben­falls. Es lie­gen sehr hei­ße Tage auf der Welt; aber wenn Miss Chri­sta­bel uns ver­schwin­det, so kön­nen wir doch kei­nes­wegs be­haup­ten, dass sie auch je­dem an­de­ren wäh­rend die­ser bla­sen­zie­hen­den Zeit ver­schwun­den sei. Un­se­re Auf­ga­be wäre eben zu Ende, wenn dem so wäre, aber das Ge­gen­teil hat glück­li­cher­wei­se statt­ge­fun­den, und Pechle wird es uns be­zeu­gen. Das Ver­schwin­den und zwar aber­ma­li­ge Ver­schwin­den des Ka­pi­täns Sir Hugh Slid­de­ry ha­ben wir be­reits ge­schil­dert und wer­den kei­ne Wor­te mehr dar­über ver­lie­ren. –

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