Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Wilhelm Raabe |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962816056 |
XIV.
»Siehst du, wie ich es gesagt habe, er hat seine Uhr im Magen, und sie geht ganz genau und richtig«, sagte lächelnd Minchen Ahrens. »Da kommt er den Berg herunter und will nach Haus zum Essen.«
Geheimrat Feyerabend hob das Haupt, wie es aus einem Traume emporgerufen. Es kostete ihm einige Mühe, sich wieder zu überzeugen, dass er wirklich noch in dem gegenwärtigen Tage, in dem schönen Wetter, in der schönen Sonne von heute mit vorhanden sei. Das alte Weibchen an seiner Seite hatte ihn zu tief in eine Welt, in der auch er mal mitgespielt hatte, mit den anderen und mit ihr gegenwärtig gewesen war, hinuntergezogen! Und – es behielt den Zauberstab in seiner Hand, vertraulichst, zutraulichst, ohne die geringste Scheu und jeglichen Respekt vor den Lehr- und Hörsälen der Erdenwelt und am allerwenigsten vor den Wonneburgen der Walchen. –
Sie sahen die schwerfällige, wackelige Gestalt ihren Weg die Berglehne hinab zu sich herunter nehmen.
»Nicht fallen, Junge!« rief Minchen, und der Geheimrat sah seitwärts auf das verrunzelte Profil neben ihm, und wie aus weiter Ferne, von Lesbos her, kam es wie Zitherklang und verhaltenes Schluchzen:
»O süße Mutter,
Ich kann nicht weben;
Denn Herz und Finger
Vor Liebe beben –«
und mit dem Finger im Munde stand Ludchen Bock mit seinem Korb voll Tannzapfen am Arm, und Minchen Ahrens meinte, zu Fritz Feyerabend gewendet:
»Ja, siehst du, selbst seine Scheu vor dem fremden Mann, sein Respekt vor dir hält dagegen nicht stand, dass es Mittag wird und es Zeit ist, nach Hause zu gehen und an die Suppe zu denken. Nun weißt du was? Bis an die Stadt gehst du mit uns, das fällt keinem auf, und nachher gehst du nach dem Keller zu deinem Mittagessen, zu unserm kann ich dich mit dem besten Willen nicht einladen, auch – seinetwegen. Und wenn du dein Schläfchen gemacht hast, dann trinke Kaffee bei mir in unserm Garten. Du kennst ihn gewiss wieder. Es hat sich wenig drin verändert, seit du zum letztenmal da im Apfelbaum gesessen hast. Den freilich habe ich vor zwanzig Jahren schon abhauen lassen müssen; er war geborsten und zu lebensgefährlich für die Nachbarschaft, ich meine die Jungen, die nach dir über die Zäune gekommen sind, und für – ihn auch.«
»Du erzählst dann aber weiter.«
»Wenn du noch von ihm hören willst.«
»Von dir und ihm!«
Sie wickelte ihr Strickzeug zusammen und erhob sich von der Bank am Maienbronnen.
»Es haben so viele Doktors an ihm Anteil genommen: schade, dass du nicht früher gekommen bist! Vielleicht hättest du bessern Rat als die anderen gewusst. Jetzt ist es zu spät; – o Gott, wenn er mir heute, heute, jetzt aufwachte mit seinem gesunden Verstande!« … .
Sie wanderten nun den Weg, den der seltsame heutige Gast von Altershausen vorhin allein zum Maienborn heraufgekommen war, zusammen zurück. Das »Kind« bald vor, bald hinter den beiden »Erwachsenen«, doch immer auf der Seite des »Mannes vom Bahnhof und Mordmanns Brunnen«. Es schien sich zwingen zu wollen, keine Angst mehr vor diesem Fremden zu haben. Wer konnte wissen, was ihm doch vielleicht aufstieg in der verdunkelten Seele aus fernen, vergangenen, lichten Tagen?
Und sie studierten sich auf diesem Wege vom Maienborn herunter, beide einander, der Lebens- und Seelenklare und der Blöde. Der große Psychiater aber den armen Freund wahrlich nicht mehr auf seine Leibes- und Seelenheilkunst hin: das Heimweh nach der Jugend – nach dem Leben hatte den Greis nach Altershausen getrieben, und er musste es nur herausbringen, was Ludchen Bock dazu zu sagen hatte!
Auf dem Wege zur Stadt war das nicht zu erledigen; aber im Ratskeller, an der Wirtstafel schon wurde er sich klar darob. Selbst in Altershausen trat er da über die Schwelle der Traumwelt, in der er die letzten zwei Stunden durch am Maienborn gesessen hatte, in sein gewohntes Dabeisein an seinem Lebenstage zurück. Der Wirt vom Keller fragte höflich den »Herrn Doktor«, ob er einen interessanten Morgenspaziergang gemacht und wie er hiesige Gegend gefunden habe. Fritz Feyerabend bejahte das erstere und über das zweite konnte er sich auch nur lobend aussprechen. Ludchen Bock war bei der Beantwortung beider Fragen sehr beteiligt.
Geheimrat Dr. Friedrich