Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Название Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор произведения Eduard von Keyserling
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962814601



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bei­den Mäd­chen sa­hen ihn ge­spannt an, als aber nichts er­folg­te, er­griff Fräu­lein Sal­ly wie­der das Wort: »Die Trep­pe muss ge­schmückt wer­den.«

      »Das kann nichts scha­den«, mein­te Am­bro­si­us.

      »Ja, Pflan­zen – tro­pi­sche Pflan­zen«, fuhr Fräu­lein Sal­ly fort. »Ich habe vier Myr­then­stö­cke, du, Rosa, hast einen Gera­ni­um. Gott, es fin­det sich schon.«

      »Vi­el­leicht könn­te man auch in den Sa­lon Blu­men stel­len?« schal­te­te Rosa ein.

      Fräu­lein Sal­ly war un­schlüs­sig, Am­bro­si­us be­geis­ter­te sich aber für die­sen Ge­dan­ken. »Ge­wiss, Grup­pen, warum nicht? Sehr gut – hm – Grup­pen.«

      »Gut also.« Fräu­lein Sal­ly fuhr mit der Hand über ihr Knie, zum Zei­chen, dass die­ser Punkt ab­ge­tan sei. »Wir kom­men jetzt zu den Er­fri­schun­gen. Zum Be­ginn Kaf­fee, na­tür­lich. Ich habe mir ge­dacht, ein Vier­tel Zi­cho­rie, und so – du weißt? Wäh­rend des Tan­zes wer­den But­ter­bro­te ge­reicht. Vi­el­leicht – viel­leicht er­laubt es der Papa, die Pa­ri­ser an­zu­schnei­den, das wäre himm­lisch!« Fräu­lein Sal­ly zähl­te alle Genüs­se des Fes­tes eif­rig auf. Sie ver­stand es, den ge­wöhn­lichs­ten Din­gen einen Nim­bus des Groß­ar­ti­gen und Vor­neh­men zu ge­ben, nur durch die Art, in der sie von ih­nen sprach.

      Am­bro­si­us gab auch Ratschlä­ge in sei­ner nach­läs­si­gen, mit­lei­di­gen Wei­se. Sei­ne Plä­ne zeich­ne­ten sich je­doch durch zu große Über­schweng­lich­keit aus. So woll­te er im Da­men­zim­mer ein Zelt aus Sei­den­ga­ze auf­schla­gen und es mit bun­ten Lam­pen er­leuch­ten.

      Fräu­lein Sal­ly war dem nicht ganz ab­ge­neigt; sie mein­te, man kön­ne dazu die baum­wol­le­nen Bett­vor­hän­ge ih­rer Mut­ter und die Spei­se­zim­mer­lam­pe ver­wen­den.

      Rosa mach­te hin und wie­der auch einen Vor­schlag, den Fräu­lein Sal­ly ge­wöhn­lich be­kämpf­te und den Am­bro­si­us warm ver­trat.

      Es däm­mer­te; die Ecken des Ge­ma­ches wur­den ganz fins­ter, nur in der Nähe des Fens­ters lag noch ein un­si­che­res Licht.

      Fräu­lein Sal­ly sprach eif­rig, die bei­den and­ren wa­ren ein­sil­big. Nur sel­ten schal­te­te Am­bro­si­us ein »Hm« oder einen zu­sam­men­hang­lo­sen Satz ein. Er war mit an­de­ren Din­gen be­schäf­tigt. Vor­sich­tig hat­te er Ro­sas Hand er­grif­fen und hielt nun die­ses wil­len­lo­se, war­me klei­ne Ding, leg­te es dann wie­der fort, um eine sehr hei­ße Wan­ge zu strei­fen.

      Fräu­lein Sal­ly war bei ih­rer Toi­let­te an­ge­langt. »Nicht wahr, denkst du nicht auch?« wand­te sie sich an ihre Freun­din, die nur ein hei­se­res »Ja« ver­lau­ten ließ. Fräu­lein Sal­ly wun­der­te sich nicht dar­über. Sie wuss­te, ein hüb­sches Kleid war für Rosa ein un­lieb­sa­mes The­ma. Na­tür­lich, sie hat­te ja nur das wei­ße Mus­se­lin­kleid, das sie schon zu ih­rer Ein­seg­nung ge­tra­gen, das arme Mäd­chen.

      Der Mond kam plötz­lich über dem Gie­bel des ge­gen­über­lie­gen­den Hau­ses zum Vor­schein und zeich­ne­te das Fens­ter­kreuz auf den Estrich, groß und schwarz auf gol­de­nem Grun­de. Alle schwie­gen. Fräu­lein Sal­ly neig­te das Köpf­chen und blick­te zum Fens­ter hin­über. Rosa rück­te ih­ren Stuhl in den Mond­schein hin­ein und saß still und fei­er­lich da; sie fühl­te, sie sei schön. Am­bro­si­us starr­te sie, rot vor Er­re­gung, an; auch Fräu­lein Sal­ly konn­te ihre Be­wun­de­rung die­ser blon­den, mond­be­glänz­ten Ge­stalt nicht ver­sa­gen; um auch ih­ren Teil an die­ser Schön­heit zu ha­ben, beug­te sie sich an Rosa her­an, leg­te die brau­nen Löck­chen an die blon­den Zöp­fe und sag­te zärt­lich: »Mein lie­bes, lie­bes Herz!«

      »Es ist spät«, ver­setz­te Rosa ernst und ge­rührt, wie es Mäd­chen zu sein pfle­gen, die sich ge­ra­de schön wis­sen. Sie er­hob sich, um heim­zu­ge­hen. Das Mond­licht war so hell, dass es fast wie Ta­ges­licht über dem Städt­chen lag. Ein bläu­li­cher Glanz er­füll­te die Luft und blitz­te auf den Fens­ter­schei­ben. Rosa ging lang­sam ihre Wege, sah in die Mond­schei­be und at­me­te has­tig und tief, als lie­ße sich das Licht trin­ken. Mit­ten auf dem Markt­platz stand der Apo­the­ker und hielt sei­ne Uhr ge­gen den Mond, um zu se­hen, wie spät es sei. Aus dem Fens­ter ei­nes Erd­ge­schos­ses beug­te sich eine Dienst­magd her­aus und leg­te ihre mäch­ti­gen nack­ten Arme vor sich auf das Fens­ter­brett, um sie in der Abend­luft zu küh­len, ne­ben ihr saß ein Bur­sche und hielt mit bei­den Hän­den des Mäd­chens di­cke, rote Ba­cken. In ei­nem Win­kel zwi­schen zwei Häu­sern stand die Tröd­ler­s­toch­ter Ida Wulf mit ih­rem Schus­ter­bu­ben. Sie dräng­ten sich an­ein­an­der und ki­cher­ten.

      Rosa hör­te ei­li­ge Schrit­te hin­ter sich und blieb ste­hen. Am­bro­si­us war es, au­ßer Atem und sehr er­regt: »Oh! Fräu­lein Herz, gnä­di­ges Fräu­lein, ge­hen Sie schon heim?«

      »Ja, es ist spät«, er­wi­der­te Rosa und be­gann mit klei­nen Schrit­ten wei­ter­zu­ge­hen.

      »Ja! – hm – Oh, gnä­di­ges Fräu­lein, ich woll­te nur… ich muss. Sie sind mein Ide­al; ge­wiss, mein Ide­al!« Nun ward er feu­rig: »Vor­hin – im Mond­schein, Sie wa­ren zu schön. Ich muss es Ih­nen sa­gen. – Sei­en Sie nicht grau­sam, Sie sind ein En­gel – hm – mein En­gel.« – Rosa war be­stürzt, den­noch kam ihr der Ge­dan­ke: »Jetzt ist der Au­gen­blick ge­kom­men, so muss es sein! Jetzt muss et­was ge­sche­hen, und wenn du nichts sagst und nichts tust, dann ist es vor­über.« Aber sie sag­te und tat nichts.

      »Müs­sen Sie wirk­lich nach Hau­se?« frag­te Am­bro­si­us schmel­zend.

      »Ja, mein Va­ter er­war­tet mich.«

      »Wir müs­sen also schei­den. Ge­ben Sie mir Ihre Hand, o Lie­be!« Am­bro­si­us nahm Ro­sas Hand, dann Rosa selbst und küss­te ihre Lip­pen, dann ließ er sie los. Schwei­gend und zit­ternd stan­den sich bei­de ge­gen­über. Schrit­te wur­den hör­bar. »Auf Wie­der­sehn«, flüs­ter­te Am­bro­si­us, »mein Ide­al« – und has­tig fuh­ren sie aus­ein­an­der.

      An der Trep­pe der Herz­schen Woh­nung fand Rosa Ida Wulf. Das Ju­den­mäd­chen rich­te­te sei­ne schwar­zen Au­gen for­schend auf Rosa und lä­chel­te ein al­tes, über­le­ge­nes Lä­cheln.

      »Nun, Ida, was treibst du?« frag­te Rosa.

      »Nichts, Fräu­lein Rosa. Schön ist es heu­te.« Rosa nick­te. »Fräu­lein Rosa«, fuhr Ida lei­se fort und leg­te zwei ma­ge­re brau­ne Hän­de auf Ro­sas Arm. »Die­ser jun­ge Herr bei Lan­ins, der ist schön, nicht? Ich bin auch ver­liebt in ihn.« Rosa schlug die Au­gen nie­der und sag­te un­si­cher: »Du soll­test um die­se Zeit schon zu Bet­te sein, Ida.«

      Das Ju­den­mäd­chen lach­te. »Nein! Ich blei­be lan­ge drau­ßen. Aber Fräu­lein Rosa, ich ken­ne vie­le, vie­le Stel­len, wo man zu­sam­men sein kann. Sie wis­sen, Fräu­lein Rosa, so al­lein. Der Pe­ter, Sie wis­sen, Fräu­lein Rosa, der gars­ti­ge Schus­ter­bub und ich, wir wis­sen alle sol­che Stel­len. Soll ich sie Ih­nen zei­gen, Fräu­lein Rosa?« Da­bei nahm Ida einen von Ro­sas Zöp­fen und wog ihn in der fla­chen Hand. »Wozu?« er­wi­der­te Rosa. »Was machst du denn dort mit dem Schus­ter­bu­ben?« füg­te sie hin­zu und blick­te über das Ju­den­mäd­chen hin­weg.

      »Wo?« frag­te Ida ernst.

      »Nun – an – an je­nen Stel­len« – – –

      »Oh, der Pe­ter!« ki­cher­te