Wenn die Träume laufen lernen 1: IBIZA. Gabriele Ketterl

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Название Wenn die Träume laufen lernen 1: IBIZA
Автор произведения Gabriele Ketterl
Жанр Языкознание
Серия Wenn die Träume laufen lernen
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958694057



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die ihm die Luft zum Atmen geraubt hat. Es war auch nicht weiter tragisch, wenn er sich dir zu Füßen wirft, dir seine ewige Liebe beteuert und nebenher einfließen lässt, dass er die Seitensprünge mit den Tussen braucht, um weiterhin die Kraft zu haben, dich zu lieben. Nein, ehrlich, also mal ganz ernsthaft, übermächtige Persönlichkeit? Ich meine, wie kann er so einen Mist erzählen? Mein kaum vorhandenes, zartes Pflänzchen an Selbstbewusstsein, dieses fragile Gerüst an Persönlichkeit, das ich mühsam aufbaue und dann musste ich mir so eine Scheiße anhören. Ist doch wahr!«

      Ich fühlte, wie Carlos‹ Körper von verzweifelt unterdrücktem Lachen bebte, und auch Roberta und Fernando kämpften nach Leibeskräften, verloren jedoch nach kurzer Zeit und prusteten lauthals los. Entrüstet hob ich meinen Kopf von Carlos‹ Brust. »Ach, ihr findet das also lustig? Ihr seid mir tolle Freunde.« Mit breitem Grinsen im Gesicht ließ ich meinen Dickschädel zurück an Carlos‹ Schulter knallen, was ihm tatsächlich ein leises »Aii« entlockte.

      Ich nickte grimmig. »Geschieht dir recht!«

      Er schob seine Arme unter den meinen hindurch und umarmte mich, so fest er konnte. Meine spontanen Atemprobleme deuteten darauf hin, dass das ziemlich fest war.

      »Cara, man merkt überhaupt nicht, dass du noch immer stinksauer bist. Und es ist vollkommen selbstverständlich, dass du total über ihn hinweg bist.«

      Er betonte das überhaupt und vollkommen dermaßen übertrieben, dass mir klar war, worauf er anspielte.

      »Aber ich arbeite daran«, knurrte ich leise.

      Ich wäre gern richtig sauer gewesen, doch allein die Tatsache, dass ich inzwischen in der Lage war, auf Spanisch zu schimpfen wie ein Rohrspatz, brachte schon die erwünschte Erleichterung. Leider lag Carlos aber schon richtig. John hatte ich, noch ehe wir zum ersten Mal nach Ibiza gingen, mein Herz geschenkt. Nicht nur das, ich hatte ihm vertraut und mich ganz und gar auf ihn eingelassen. Carlos war mein allerbester Freund, bei John hingegen hatte ich geglaubt, es wäre tatsächlich die große Liebe. Ein Irrtum, ja, ein großer, ein geradezu gewaltiger Irrtum. Es war wirklich an der Zeit, den eifersüchtigen und leicht depressiven Musiker zu vergessen. Ich beschloss, dass damit genug in meinem seit sechs Monaten nicht mehr existenten Liebesleben herumgestochert worden war und wechselte das Thema. »Was hast du eigentlich vorhin der vollkommen in Tränen aufgelösten Engländerin ins Ohr geflüstert, um sie dazu zu bringen, doch noch in den Bus zu steigen?«

      »Nun, das übliche eben: Bin in Gedanken bei dir, liebe dich, sehen uns bald wieder. Komme dich spätestens Weihnachten besuchen, du weißt schon …«

      »Ach, Carlos, amor, du bist Weihnachten in England? Gut zu wissen.« Ich wandte ihm mein Gesicht zu und fand es etwa eine Handbreit vor seinem.

      Er zog eine spöttische Grimasse. »Sei nicht so frech. Ich tue, was ich tun muss. Aber ganz sicher nicht nach England fliegen.«

      Ich warf Roberta einen fragenden Blick zu und ihr amüsierter Gesichtsausdruck zeigte mir, dass wir wieder einmal denselben Humor hatten und mit ziemlicher Sicherheit das Gleiche dachten, an den guten Santa, der die schönen Dinge brachte. In Carlos‹ Fall also sich selbst.

      »Nikolaus?«

      Sie nickte, wobei sie sich heftig auf die Lippe biss. »Ja, mit Pelz, bitte.«

      Wären meine Ohren nicht im Weg gewesen, ich hätte ein Rundumgrinsen hinbekommen. »Natürlich Pelz, stell ihn dir bitte mal vor. Nackt bis auf ein pelzverbrämtes rotes Badehöschen und eine Zipfelmütze mit Pelzbommel. Und so steht er vor ihrer Tür in Liverpool.« Ich brach lachend in Carlos‹ Armen zusammen.

      »Aber sonst geht es euch zwei Komikern gut, oder? Fernando, du hast schon mal gar nichts zu lachen, nur, dass wir uns verstanden haben. Hat hier denn niemand mehr Respekt vor mir?«

      »Doch, wir alle.« Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, drehte mich erneut zu ihm um und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Du weißt doch, wir lieben und ehren dich.«

      »Halt die Klappe, du Fratz.«

      Noch immer lachend trank ich den letzten Schluck Kaffee, zündete mir eine weitere Zigarette an und blickte auf den Horizont. Inzwischen war die Sonne so weit aufgegangen, dass alles in zarte Pastelltöne getaucht war und das Meer schimmerte wie Milliarden von geschliffenen Kristallen. »Leute, wisst ihr eigentlich, wie gut es uns geht?«

      Statt einer Antwort zog Carlos mich wieder an sich und vergrub seine Nase in meinem Haar, während Fernando sein Kinn auf Robertas Kopf stützte und stillschweigend die Schönheit der Natur genoss.

      Ein paar Minuten später drängte Carlos zum Aufbruch. Wir räumten auf, kletterten über die Mole, die den öffentlichen Bereich vom Privatstrand des Costa Azul abtrennte, durchquerten ein nahezu ausgetrocknetes Flussbett und liefen dann über den Strand zu den mächtigen, weißen Gittertüren, die ab halb sechs wieder aufgeschlossen waren.

      Antonio, der gutmütige Zwei-Meter-Riese unserer Sicherheitsmannschaft, begrüßte uns mit einem Kopfschütteln. »Wo kommt ihr denn schon wieder her? Anständige Menschen liegen um diese Zeit im Bett.«

      Roberta piekte ihn kräftig in die Rippen. »Ach ja, und warum stehst du dann hier herum?«

      »Um auf solche Exemplare wie euch zu achten. Und jetzt husch husch, macht, dass ihr in eure Betten kommt.« Schmunzelnd wedelte er uns davon.

      Während Roberta sich auf den Weg in das Studio machte, das sie sich mit Kollegin Lise teilte, trabte Fernando zu dem kleinen Gebäude neben unserem. Es war inzwischen kurz vor sechs und die ersten deutschen Gäste waren mit ihren Handtüchern in Richtung Pool unterwegs. Allerdings nahmen sich Engländer und Deutsche hier nichts. Der Kampf um die – zahlreich vorhandenen – Liegen war meist ausgeglichen.

      Leise schlossen wir unser Apartment auf, um Andy und Silvie nicht zu stören.

      Carlos wuschelte mir zum Abschied durch die Haare. »Wenn du bis zehn nicht wach bist, wecke ich dich. Wir haben um elf Teambesprechung.«

      »Alles klar, aber ich hab’s auf dem Schirm. Keine Angst.« Ich drückte vorsichtig die Tür zu Silvies und meinem Zimmer auf. Meine Freundin schlief noch immer den Schlaf der Gerechten. Ich zog mich aus und krabbelte unter die Decke. Diese morgendlichen Stunden da draußen hatten etwas ausgesprochen Schönes.

       5

      Ich erwachte davon, dass jemand in der Küche mit Geschirr klapperte. Ein Blick auf meinen riesigen rosa Wecker zeigte, dass es kurz nach neun war. Silvies Bett war leer und das war gut so, denn wie immer, wenn ich mit der Frühschicht dran war, übernahm sie um acht Uhr meine Aerobic-Stunde. Obwohl es für Urlaub recht früh war – die Stunden, die jeden Dienstag und Donnerstag stattfanden, waren stets sehr gut besucht. Es bedurfte immer ein wenig Einfühlungsvermögen, um herauszufinden, wie die anwesenden Damen und seltenen Herren sich schlagen würden. Dementsprechend passten wir unser Programm an die Gäste an. Im Moment waren viele ausgesprochen sportliche Italiener im Club, mit denen es richtig Freude machte und die auch die passende Laune mitbrachten. Silvie würde ihren Spaß haben und abgesehen davon jeden Moment zurückkommen. Ich schälte mich aus dem Bett, streckte mich genüsslich und tapste ins Wohnzimmer. Als Carlos mich entdeckte, stellte er sofort eine zweite Tasse auf den Tresen, der unsere Küche vom Wohnzimmer trennte, und sah mich erwartungsvoll an. Ich schnupperte an meinem Shirt und rümpfte die Nase.

      »Ich werfe mich schnell unter die Dusche. Ich transpiriere ein wenig.«

      Carlos schüttelte tadelnd den Kopf. »Dann aber schnell. Wenn Silvie kommt, will sie duschen, das weißt du.«

      »Jupp, bin schon weg.« Eilig griff ich meinen Bikini und ein knalloranges Minikleid und verzog ich mich ins Bad. Wir hatten den Nachmittag zur freien Verfügung, daher verzichtete ich aufs Haarewaschen, weil wir sicherlich alle am Strand landen würden. Eine knappe Viertelstunde später kam ich wieder vorzeigbar ins Wohnzimmer zurück.

      Silvie nippte bereits an einem Kaffee und sah sehr zufrieden aus. Ihre blonden, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haare waren am Ansatz schweißnass und auch ihr