Parerga und Paralipomena. Arthur Schopenhauer

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Название Parerga und Paralipomena
Автор произведения Arthur Schopenhauer
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788026825999



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Beweises fähig, bedürfe aber auch desselben nicht; denn es verstände sich von selbst, wäre die ausgemachteste Sache von der Welt, wir könnten es gar nicht bezweifeln, wir hätten ein Gottesbewußtseyn, unsre Vernunft wäre das Organ für unmittelbare Erkenntnisse von überweltlichen Dingen, die Belehrung über diese würde unmittelbar von ihr vernommen, und darum eben heiße sie Vernunft! (Ich bitte freundlichst, hier meine Abhandlung über den Satz vom Grunde in der 2. [und 3.] Aufl. §. 34, desgleichen meine Grundprobleme der Ethik S. 148—154 [2. Aufl. S. 146—151], endlich auch meine Kritik der Kantischen Philosophie, 2. Aufl. S. 584—585, 3. Aufl. S. 617 bis 618 nachzusehn.) Von der Genesis dieses Gottesbewußtseyns haben wir kürzlich eine, in dieser Hinsicht merkwürdige bildliche Darstellung erhalten, nämlich einen Kupferstich, der uns eine Mutter zeigt, die ihr dreijähriges, mit gefalteten Händen auf dem Bette knieendes Kind zum Beten abrichtet; gewiß ein häufiger Vorgang, der eben die Genesis des Gottesbewußtseyns ausmacht; denn es ist nicht zu bezweifeln, daß nachdem, im zartesten Alter, das im ersten Wachsthum begriffene Gehirn so zugerichtet worden, ihm das Gottesbewußtseyn so fest eingewachsen ist, als wäre es wirklich angeboren. – Nach Andern lieferte die Vernunft jedoch bloße Ahndungen; hingegen wieder Andere hatten gar intellektuale Anschauungen! Abermals Andere erfanden das absolute Denken, d. i. ein solches, bei welchem der Mensch sich nicht nach den Dingen umzusehn braucht, sondern, in göttlicher Allwissenheit, bestimmt, wie sie ein für alle Mal seien. Dies ist unstreitig die bequemste unter allen jenen Erfindungen. Sämmtlich aber griffen sie zum Wort Absolutum, welches eben nichts Anderes ist, als der kosmologische Beweis in nuce, oder vielmehr in einer so starken Zusammenziehung, daß er, mikroskopisch geworden, sich den Augen entzieht, so unerkannt durchschlüpft und nun für etwas sich von selbst Verstehendes ausgegeben wird: denn in seiner wahren Gestalt darf er, seit dem Kantischen examen rigorosum, sich nicht mehr blicken lassen; wie ich dies in der 2. Aufl. meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde S. 36 fg. (3. Aufl. S. 37 fg.) und auch in meiner Kritik der Kantischen Philosophie, 2.Aufl. S. 544 (3. Aufl. S. 574) näher ausgeführt habe. Wer zuerst, vor ungefähr 50 Jahren, den Pfiff gebraucht habe, unter diesem alleinigen Wort Absolutum den explodirten und proskribirten kosmologischen Beweis incognito einzuschwärzen, weiß ich nicht mehr anzugeben: aber der Pfiff war den Fähigkeiten des Publikums richtig angemessen: denn bis auf den heutigen Tag kursirt Absolutum als baare Münze. Kurzum, es hat den Philosophieprofessoren, trotz der Kritik der Vernunft und ihren Beweisen, noch nie an authentischen Nachrichten vom Daseyn Gottes und seinem Verhältniß zur Welt gefehlt, in deren ausführlicher Mittheilung, nach ihnen, das Philosophiren ganz eigentlich bestehen soll. Allein, wie man sagt, kupfernes Geld, kupferne Waare, so ist dieser bei ihnen sich von selbst verstehende Gott eben auch danach: er hat weder Hand, noch Fuß. Darum halten sie mit ihm so hinterm Berge, oder vielmehr hinter einem schallenden Wortgebäude, daß man kaum einen Zipfel von ihm gewahr wird. Wenn man sie nur zwingen könnte, sich deutlich darüber zu erklären, was bei dem Worte Gott so eigentlich zu denken sei; dann würden wir sehn, ob er sich von selbst versteht. Nicht ein Mal eine natura naturans (in die ihr Gott oft überzugehn droht) versteht sich von selbst; da wir den Leukipp, Demokrit, Epikur und Lukrez ohne eine solche die Welt aufbauen sehn: diese Männer aber waren, bei allen ihren Irrthümern, immer noch mehr werth, als eine Legion Wetterfahnen, deren Erwerbs-Philosophie sich nach dem Winde dreht. Eine natura naturans wäre aber noch lange kein Gott. Im Begriffe derselben ist vielmehr bloß die Einsicht enthalten, daß hinter den so sehr vergänglichen und rastlos wechselnden Erscheinungen der natura naturata eine unvergängliche und unermüdliche Kraft verborgen liegen müsse, vermöge deren jene sich stets erneuerten, indem vom Untergange derselben sie selbst nicht mitgetroffen würde. Wie die natura naturata der Gegenstand der Physik ist, so die natura naturans der der Metaphysik. Diese wird zuletzt uns darauf führen, daß auch wir selbst zur Natur gehören, und folglich sowohl von natura naturata als von natura naturans nicht nur das nächste und deutlichste, sondern sogar das einzige uns auch von innen zugängliche Specimen an uns selbst besitzen. Da sodann die ernste und genaue Reflexion auf uns selbst uns als den Kern unsres Wesens den Willen erkennen läßt; so haben wir daran eine unmittelbare Offenbarung der natura naturans, die wir danach auf alle übrigen, uns nur einseitig bekannten Wesen zu übertragen befugt sind. So gelangen wir dann zu der großen Wahrheit, daß die natura naturans, oder das Ding an sich, der Wille in unserm Herzen; die natura naturata aber, oder die Erscheinung, die Vorstellung in unserm Kopfe ist. Von diesem Resultate jedoch auch abgesehn, ist so viel offenbar, daß die bloße Unterscheidung einer natura naturans und naturata noch lange kein Theismus, ja noch nicht ein Mal Pantheismus ist; da zu diesem (wenn er nicht bloße Redensart seyn soll) die Hinzufügung gewisser moralischer Eigenschaften erfordert wäre, die der Welt offenbar nicht zukommen, z. B. Güte, Weisheit, Glücksäligkeit u. s. w. Ueberdies ist Pantheismus ein sich selbst aufhebender Begriff; weil der Begriff eines Gottes eine von ihm verschiedene Welt, als wesentliches Korrelat desselben, voraussetzt. Soll hingegen die Welt selbst seine Rolle übernehmen; so bleibt eben eine absolute Welt, ohne Gott; daher Pantheismus nur eine Euphemie für Atheismus ist. Dieser letztere Ausdruck aber enthält seinerseits eine Erschleichung, indem er vorweg annimmt, der Theismus verstehe sich von selbst, wodurch er das affirmanti incumbit probatio schlau umgeht; während vielmehr der sogenannte Atheismus das jus primi occupantis hat und erst vom Theismus aus dem Felde geschlagen werden muß. Ich erlaube mir hiezu die Bemerkung, daß die Menschen unbeschnitten, folglich nicht als Juden auf die Welt kommen. – Aber sogar auch die Annahme irgend einer von der Welt verschiedenen Ursache derselben ist noch kein Theismus. Dieser verlangt nicht nur eine von der Welt verschiedene, sondern eine intelligente, d. h. erkennende und wollende, also persönliche, mithin auch individuelle Weltursache: eine solche ist es ganz allein, die das Wort Gott bezeichnet. Ein unpersönlicher Gott ist gar kein Gott, sondern bloß ein mißbrauchtes Wort, ein Unbegriff, eine contradictio in adjecto, ein Schiboleth für Philosophieprofessoren, welche, nachdem sie die Sache haben aufgeben müssen, mit dem Worte durchzuschleichen bemüht sind. Andrerseits nun aber ist die Persönlichkeit, d. h. die selbstbewußte Individualität, welche erst erkennt und dann dem Erkannten gemäß will, ein Phänomen, welches uns ganz allein aus der, auf unserm kleinen Planeten vorhandenen, animalischen Natur bekannt und mit dieser so innig verknüpft ist, daß es von ihr getrennt und unabhängig zu denken, wir nicht nur nicht befugt, sondern auch nicht ein Mal fähig sind. Ein Wesen solcher Art nun aber als den Ursprung der Natur selbst, ja, alles Daseyns überhaupt anzunehmen, ist ein kolossaler und überaus kühner Gedanke, über den wir erstaunen würden, wenn wir ihn zum ersten Male vernähmen und er nicht, durch die frühzeitigste Einprägung und beständige Wiederholung, uns geläufig, ja, zur zweiten Natur, fast möchte ich sagen, zur fixen Idee geworden wäre. Daher sei es beiläufig erwähnt, daß nichts mir die Aechtheit des Kaspar Hauser so sehr beglaubigt hat, als die Angabe, daß die ihm vorgetragene, sogenannte natürliche Theologie ihm nicht sonderlich hat einleuchten wollen, wie man es doch erwartet hatte; wozu noch kommt, daß er (nach dem Briefe des Grafen Stanhope an den Schullehrer Meyer) eine sonderbare Ehrfurcht vor der Sonne bezeugte. – Nun aber in der Philosophie zu lehren, jener theologische Grundgedanke verstände sich von selbst und die Vernunft wäre eben nur die Fähigkeit, denselben unmittelbar zu fassen und als wahr zu erkennen, ist ein unverschämtes Vorgehen. Nicht nur darf in der Philosophie ein solcher Gedanke nicht ohne den vollgültigsten Beweis angenommen werden, sondern sogar der Religion ist er durchaus nicht wesentlich: Dies bezeugt die auf Erden am zahlreichsten vertretene Religion, der uralte, jetzt 370 Millionen Anhänger zählende, höchst moralische, ja asketische, sogar auch den zahlreichsten Klerus ernährende Buddhaismus, indem er einen solchen Gedanken nicht zuläßt, vielmehr ihn ausdrücklich perhorrescirt, und recht ex professo, nach unserm Ausdruck, atheistisch ist17.

      Dem Obigen zufolge ist der Anthropomorphismus eine dem Theismus durchaus wesentliche Eigenschaft, und zwar besteht derselbe nicht etwan bloß in der menschlichen Gestalt, selbst nicht allein in den menschlichen Affekten und Leidenschaften; sondern in dem Grundphänomen selbst, nämlich in dem eines, zu seiner Leitung, mit einem Intellekt ausgerüsteten Willens, welches