Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

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Название Wachtmeister Studer
Автор произведения Friedrich C. Glauser
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962816315



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und Laut­spre­cher«, mur­mel­te Stu­der, und es war ihm, als sei mit die­sen Wor­ten ein Teil der At­mo­sphä­re des Dor­fes cha­rak­te­ri­sier­t…

      Land­jä­ger­kor­po­ral Mur­mann sah aus wie ein pen­sio­nier­ter Schwin­ger­kö­nig. Sein Uni­form­rock stand of­fen, auch das Hemd klaff­te und ließ eine Brust se­hen, auf der die Haa­re dich­ter wu­cher­ten als auf dem Kopf.

      »Salü«, sag­te Stu­der.

      »Eh, der Stu­der!« Und ob er noch im­mer Bil­lard spie­le? Er sol­le ab­ho­cken. Dann er­hob Mur­mann die Stim­me zu ei­nem to­sen­den Ruf, mit lang­ge­zo­ge­nem I-Laut, und der Ruf galt Frau Mur­mann – aber es war nicht deut­lich, ob die Frau Emmy oder Anny hieß. Das blieb sich ja auch im Grun­de gleich.

      »Wyße oder Rote?« frag­te Mur­mann.

      »Bier«, sag­te Stu­der kurz.

      Der to­sen­de Ruf er­hob sich zum zwei­ten Male, und zwei I-Lau­te hall­ten durchs Haus. Es kam auch Ant­wort, und der Ruf der Ant­wort war ge­nau so to­send. Nur eine Ton­la­ge hö­her. Dann er­schi­en Frau Mur­mann in der Tür, und sie sah aus wie eine Sta­tue der Hel­ve­tia aus den acht­zi­ger Jah­ren. Nur das Ge­sicht war viel, viel in­tel­li­gen­ter als je­nes be­sag­ter Sta­tue. Von pa­trio­ti­schen Bild­nis­sen wird ja auch kei­ne In­tel­li­genz ver­langt. Wozu auch?

      Ob sie den Stu­der noch ken­ne, woll­te der Schwin­ger­kö­nig wis­sen, und die in­tel­li­gen­te Hel­ve­tia nick­te. Dann er­kun­dig­te sie sich, ob Stu­der schon ge­ges­sen habe. Er habe im ›Bä­ren‹ zu Mit­tag be­stellt, er­wi­der­te der Wacht­meis­ter, wor­auf die bei­den großen Men­schen zu­sam­men böse wur­den. Das sei nicht recht, es sei doch selbst­ver­ständ­lich, dass Stu­der hier esse – ge­gen das dröh­nen­de Duett war nicht auf­zu­kom­men. Glück­li­cher­wei­se be­gann im obe­ren Stock­werk eine drit­te Stim­me zu krei­schen, wor­auf sich Frau Mur­mann – hieß sie Emmy oder Anny? – emp­fahl. Stu­der muss­te ver­spre­chen, zum Nachtes­sen ganz be­stimmt zu kom­men.

      »Ja hmm«, sag­te Stu­der, trank sein Glas aus, seufz­te: »Ahh« und schwieg.

      »Ja«, sag­te Mur­mann, trank sein Glas aus, glucks­te, be­kam Trä­nen in die Au­gen von der Koh­len­säu­re, und dann schwieg auch er…

      Es war fried­lich in dem klei­nen Büro. In ei­ner Ecke stand eine alte Schreib­ma­schi­ne, de­ren Tas­ten gelb schim­mer­ten: aber sie war groß und so­lid und pass­te zu dem Kor­po­ral Mur­mann. Durchs Fens­ter, das of­fen stand, sah Stu­der in einen Gar­ten: klei­ne Buchs­he­cken säum­ten die Bee­te ein, auf de­nen der Spi­nat schon auf­ge­schos­sen war. Aber in der Mit­te des Gar­tens, dort, wo die Buchs­he­cken ver­dreh­te Ara­bes­ken bil­de­ten, stan­den durch­schei­nend rote Tul­pen.

      Die gel­ben Pensèes, die sie be­schei­den um­ga­ben, wa­ren schon am Ver­blü­hen. Sie er­in­ner­ten an Leu­te, die kei­ner Par­tei an­ge­hö­ren, und es des­we­gen zu nichts ge­bracht ha­ben…

      »Du kommst we­gen dem Wit­schi…«, sag­te Mur­mann und dämpf­te sei­ne to­sen­de Stim­me. Das Ge­kreisch im obe­ren Stock­werk war ver­stummt, und Mur­mann woll­te es wohl nicht wie­der zum Er­schal­len brin­gen.

      »Ja«, sag­te Stu­der und streck­te die Bei­ne. Der Stuhl war be­quem, er hat­te Arm­stüt­zen. Stu­der ließ sich ge­hen und blin­zel­te in den Gar­ten, auf den jetzt die Son­ne schi­en. Aber der Schein blieb nicht lan­ge, das Grau kam wie­der – nur die Tul­pen leuch­te­ten un­ent­weg­t…

      Stu­der dach­te an sei­ne Un­ter­re­dung mit dem Un­ter­su­chungs­rich­ter. Wie viel Speuz hat­te er dort ver­schwen­den müs­sen! Der Mur­mann war ent­schie­den vor­zu­zie­hen, ob­wohl er kein roh­sei­de­nes Hemd trug…

      – Es sei so still hier, sag­te Stu­der nach ei­ner Wei­le, wor­auf Mur­mann lach­te. Er habe eben kei­nen Laut­spre­cher wie die an­de­ren Ger­zen­stei­ner, sag­te er. Da lach­te auch Stu­der.

      Und dann schwie­gen bei­de wie­der.

      Bis Stu­der frag­te, ob Mur­mann den Schlumpf für schul­dig hal­te.

      »Cha­bis!« sag­te Mur­mann nur.

      Und die­ses ein­zi­ge Wort gab dem Fahn­der­wacht­meis­ter Stu­der mehr Si­cher­heit als alle kri­mi­no­lo­gi­schen und psy­cho­lo­gi­schen Spitz­fin­dig­kei­ten, die er bis jetzt ge­sam­melt hat­te, um in sich die im­mer­hin mehr ge­fühls­mä­ßi­ge Über­zeu­gung der Un­schuld des Bur­schen Schlumpf zu fes­ti­gen.

      Stu­der wuss­te, Mur­mann war ein schweig­sa­mer Mensch.

      Es war nicht leicht, ihn zum Re­den zu brin­gen. Ja, die Wor­te, die man in den all­täg­li­chen, be­lang­lo­sen Ge­sprä­chen tauscht, die sa­ßen bei ihm lo­cker. Aber so­bald es sich um wich­ti­ge­re Din­ge han­del­te, war ein Wort wie bei­spiels­wei­se: ›Cha­bis‹ fast eben­so­viel wert wie die kräf­ti­gen Aus­füh­run­gen ei­nes Ex­per­ten.

      – Stu­der ken­ne eben noch nicht das Kaff Ger­zen­stein, sag­te Mur­mann nach ei­ner Wei­le. Er hat­te sich eine Pfei­fe ge­stopft und rauch­te lang­sam.

      »Ich bin jetzt bald sechs Jah­re hier«, sag­te Mur­mann. »Und ich ken­ne den Be­trieb. Ich kann nichts ma­chen. Ich muss auf­pas­sen. Weischt, Di­plo­ma­tie!« (Er sag­te ›Di­plo­ma­zii­ie‹ und drück­te das eine Auge zu.) »Gut, dass du ge­kom­men bist. Ich bin näm­lich so…« Er steck­te die Arme waag­recht aus, die mäch­ti­gen Hand­ge­len­ke eng an­ein­an­der­ge­presst, um recht deut­lich zu de­mons­trie­ren, wie macht­los er sei…

      Dann schwieg er wie­der.

      »Weischt«, sag­te er nach ei­ner Wei­le, »der Äsch­ba­cher, der Ge­mein­de­prä­si­dent…« und schwieg wie­der lan­ge. »Aber der alte El­len­ber­ger!…« Und zwin­ker­te mit dem rech­ten Auge.

      »Aber der Cot­te­reau ist ver­schwun­den…« warf Stu­der ein und nahm einen Schluck aus sei­nem Glas.

      »Hab kei­nen Kum­mer«, sag­te Mur­mann ge­müt­lich. »Der kommt scho wie­der ume…«

      »Jää… aber hast du nicht die Po­li­zei­di­rek­ti­on alar­miert, dass es dann im Ra­dio ge­kom­men ist?«

      »Ich?« frag­te Mur­mann und wies mit dem großen, be­haar­ten Zei­ge­fin­ger auf sei­ne nack­te Brust. »Ich?« Und ob Stu­der etwa krank sei, dass er so dum­me Fra­gen stel­le? Das habe doch der El­len­ber­ger ge­macht, um sich einen Spaß zu leis­ten! Be­ro­müns­ter, habe der El­len­ber­ger ein­mal ge­meint, sei auch nicht für die Hun­de ge­baut wor­den, man müs­se den Leu­ten et­was zu tun ge­ben. Und die vie­len Emp­fän­ger…

      Stu­der fand bei sich, dass die­ses Ger­zen­stein ein merk­wür­di­ges Dorf sei, und sei­ne Ein­woh­ner wa­ren noch merk­wür­di­ger. Aber er be­schloss, den Kor­po­ral Mur­mann nicht län­ger zu be­läs­ti­gen, üb­ri­gens war­te­te das Es­sen im ›Bä­ren‹ si­cher schon auf ihn. So ver­ab­schie­de­te er sich und ver­sprach, am Abend wie­der­zu­kom­men. Mur­mann schi­en die­se Dis­kre­ti­on zu schät­zen; denn er mein­te beim Ab­schied: zum Re­den habe man im­mer noch Zeit, und so um die Mit­tags­stun­de, da habe er im­mer Schlaf. Wenn man je­den Abend die Po­li­zei­stun­de kon­trol­lie­ren müs­se in al­len Bei­zen, dann habe man tags­über einen dum­men Kopf. Dazu gähn­te er aus­gie­big.

      So stand Stu­der wie­der auf der as­phal­tier­ten Stra­ße. Rechts und links, so weit der Blick reich­te: