Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury. Else Ury

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Название Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury
Автор произведения Else Ury
Жанр Книги для детей: прочее
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Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788027238576



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im Meere lag, ausschauen? Ob all ihre guten Freunde dort geblieben waren? Von Helgoland, dem Bollwerk gegen Englands Seemacht, schössen jetzt sicherlich die Kanonen, von denen ihre Mutti auf der Hinreise erzählt hatte.

      Das zurückkommende Paket bekam nun der Schuldiener Piefke, der bei Mülhausen kämpfte, mit einem neuen Brief. Diesmal erreichte es den Empfänger. Annemarie erhielt als Dank die erste Feldpostkarte.

      Auch Japan war zu Deutschlands Feinden übergegangen. Nesthäkchen beschloß, diese Treulosigkeit zu rächen.

      In ihrem Hause wohnte oben in einer Pension ein Herr, den die Kinder stets den »Japaner« nannten, trotzdem er Siamese war. Annemarie hatte von jeher ungeheures Interesse für sein fremdländisches Aussehen gehabt. Und da auch dem Herrn der reizende kleine Blondkopf, der ihn auf der Treppe so neugierig anstarrte, gefiel, hatte sich ein freundschaftliches Verhält zwischen den beiden herausgebildet. Es bestand von Annemarie aus in einem tiefen Knicks, und von seiten des schlitzäugigen Herrn in fremdländischen Briefmarken für die Brüder und in manchem Täfelchen Schokolade für das Süßschnäbelchen selber.

      Jetzt aber, nachdem die Japaner sich so »gemein« gegen Deutschland benommen hatten, war Doktors Nesthäkchen fest entschlossen, den »Japaner« überhaupt nicht mehr zu grüßen.

      Gleich am nächsten Tage, als sie aus der Strickstunde kam, wollte es der Zufall, daß sie ihrem »Japaner« wieder auf der Treppe begegnete. Er ahnte nichts von Annemaries feindseligen Gefühlen, er sah nicht, daß sie den Blondkopf fast bis zur Erde senkte, um nur nicht grüßen zu müssen. Nicht einmal der fehlende Knicks, dessen Umgehung Annemarie als höfliches kleines Mädchen schwer genug wurde, schien ihm aufzufallen. Mit einem freundlichen »Na, fleißig gewesen?« war er an ihr vorüber.

      Nesthäkchen triumphierte. »Ich habe es dem Japaner ordentlich gezeigt, wie ich ihn verachte, für mich ist er jetzt Luft«, teilte sie ihrer Freundin Margot stolz mit.

      »Meine Mama hat gesagt, wir Kinder müssen jeden im Hause freundlich grüßen, sonst ist man unhöflich«, meinte die brave Margot.

      »Ist mir ganz wurscht, gegen unsere Feinde unhöflich sein, das ist patriotisch«, brüstete sich Annemarie.

      Zwar meinte Fräulein, der Annemarie die Begebenheit beim Schlafengehen erzählte, daß Unhöflichkeit nie etwas Patriotisches wäre, sondern daß die Ungezogenheit bestehen bliebe, ob sie nun gegen Freund oder Feind gerichtet sei.

      Auch die Brüder waren nicht mit Annemaries Verhalten einverstanden. »Die Japaner sind überhaupt alle abgereist«, bemerkte Hans.

      »Dann haben sie unsern hier eben vergessen!« behauptete das Schwesterchen.

      »Ich finde den Herrn Japaner sehr nett«, ließ sich auch Klaus vernehmen.

      »Bloß, weil er mir immer Briefmarken für dich schenkt. Nee. wegen ein paar Briefmarken verrate ich Deutschland noch lange nicht!« rief Nesthäkchen mit blitzenden Augen.

      Wirklich, Annemarie hielt Wort. Sie sah ihren einstigen Freund nicht mehr an, und machte er mal Miene, mit dem kleinen Fräulein zu scherzen, dann lief sie davon, als ob ein ganzes feindliches Heer ihr auf den Fersen wäre.

      Eines Tages aber, als Doktors Nesthäkchen das Treppengeländer heruntergerutscht kam, was es besonders gern tat, packte sie einer bei den blonden Zöpfen.

      »Na, Kleine, kennen wir uns denn gar nicht mehr?« fragte der Herr freundlich.

      »Nee«, stieß der Blondkopf feindlich hervor und versuchte vergebens seine Zöpfchen frei zu bekommen.

      »Ei, da müssen wir unsere Bekanntschaft wohl auffrischen«, nichtsahnend schob der »Japaner« dem allerliebsten Kinde ein Stück Schokolade in das offene Mäulchen.

      »Von unsern Feinden nehme ich nichts geschenkt!« Da spuckte Doktors Nesthäkchen doch tatsächlich die Schokolade mitten auf den roten Treppenläufer. Und ehe noch dem Herrn der Sinn der Worte, wie die Ungezogenheit richtig klar geworden war, riß sich der Unband los, trotzdem es arg ziepte, und fort war er.

      Nein, Doktors Nesthäkchen übte keinen Vaterlandsverrat, ob die Schokolade auch noch so schön schmeckte!

      Dem Herrn »Japaner« aber ging Annemarie künftig aus dem Weg, denn sie hatte das peinigende Gefühl, sich furchtbar unartig gegen ihn benommen zu haben. Aus diesem Grunde bewahrte sie auch tiefes Stillschweigen über ihre Heldentat. Nur Margot, ihre beste Freundin, mußte sie doch erfahren. Die aber war so entsetzt über Annemaries Tun, daß Doktors Nesthäkchen von nun an nur noch die Hintertreppe benutzte, so sehr schämte es sich.

      Da traf es den Hausgenossen eines Tages, als es am wenigsten daran dachte. Mitten im Tiergarten am Goldfischteich war es, wo Annemarie gemeinsam mit Klaus die blitzenden Fischlein fütterte, während Großmama auf der Bank saß.

      Klaus zog die Mütze, als er den Herrn erkannte, Annemarie aber wandte halb verlegen, halb trotzig den Kopf zur Seite.

      »Wo bleibt der Knicks, Annemarie?« fragte da der Fremde stehenbleibend, denn die Handlungsweise des kleinen Mädchens war ihm inzwischen klar geworden. Und mit belustigtem Lächeln setzte er hinzu: »Du kannst mich ruhig wieder ansehen, ich bin kein Japaner, sondern ein Siamese!«

      Ach, wie schämte sich Doktors Nesthäkchen da. In ein Mausloch hätte die Annemarie sich am liebsten verkriechen mögen. Und ganz im geheimen bedauerte sie, die schöne Schokolade damals nicht gegessen zu haben. Denn seitdem bekam sie keine mehr.

      6. Kapitel

       Eine kleine Patriotin

       Inhaltsverzeichnis

      Seit dem 24. August hatte die Schule wieder begonnen. Zwar nicht in den alten Räumen, die waren bereits mit Verwundeten belegt. Eine Volksschule in der Nähe hatte sich bereit erklärt, das Schubertsche Mädchenlyzeum aufzunehmen. Freilich konnte nur Nachmittagsunterricht stattfinden, da die Klassen vormittags für den Unterricht der Volksschülerinnen gebraucht wurden. Das war sowohl für die Lehrer wie für die Schülerinnen eine große Unbequemlichkeit. In vielen Familien mußte die Tischzeit verlegt und die Hausordnung umgekrempelt werden. Denn um zwei begann der Unterricht bereits. Aber für die Verwundeten brachte man das kleine Opfer klaglos.

      Höchstens Doktor Brauns Hanne schimpfte und räsonierte. Aber nicht über die vermehrte Arbeit, denn sie mußte für Annemarie täglich vorauskochen, da die Jungen erst gegen zwei aus der Schule kamen. Nein, sie war ärgerlich, daß »ihr Kind« nicht ordentlich in Ruhe ihr Mittagbrot aß. Das hätte Annemarie nun eigentlich ganz gut gekonnt, denn das Essen stand jeden Tag pünktlich auf dem Tisch. Wenn sie nur nicht solch ein aufgeregtes kleines Ding gewesen wäre. Sie hatte keine Ruhe, vor der Schule zu essen, und wenn Fräulein oder Großmama sich nicht daneben setzte, blieb sicherlich die Hälfte auf dem Teller.

      Ganz anders war es jetzt in der Schule. Nicht nur die Räume, auch im Unterricht selbst war vieles verändert. Ein großer Teil der Lehrerschaft war dem Rufe zu den Waffen gefolgt. Auch der Direktor hatte sich freiwillig gemeldet. Der alte Professor Herwig hatte die Schulleitung statt seiner übernommen.

      Es war nicht immer leicht, das kleine Mädchenreich jetzt zu regieren. Abgesehen von der Schwierigkeit der Stundenbesetzung, waren die Mädel durch die Kriegsereignisse und die lange Ferienzeit so ziemlich aus Rand und Band. Auch die Nachmittagsschule mußte sich erst einbürgern, vorläufig wurde sie noch gar nicht richtig ernst genommen. In den blonden und dunklen Mädchenköpfen spukten Kanonendonner und Schützengräben, Liebesgaben, Feldpostkarten und Extrablätter wild durcheinander. Da blieben wenig Gedanken für Konjunktiv und unregelmäßige Verben.

      Auch die Volksschule paßte so manchem kleinen Fräulein nicht.

      »Ich schäme mich tot«, hatte Ilse Hermann am ersten Tage beim Nachhauseweg zu ihren Freundinnen geäußert. »Drüben wohnt Hildegard von Meißen aus dem Mädchengymnasium. Wenn die jetzt bloß nicht denkt, daß ich in eine Gemeindeschule gehe.«

      »Quatsch, du gehst doch gar nicht in