sind, ein Sein haben, das heißt ewig ungeworden unvergänglich und immer zugleich existirend sein. Schein aber können sie nicht sein, da die Frage nach dem Woher? des Scheins unbeantwortet bleibt, ja sich selbst mit Nein! beantwortet. Die älteren Forscher hatten das Problem des Werdens dadurch vereinfachen wollen, daß sie nur eine Substanz aufstellten, die die Möglichkeiten alles Werdens im Schoße trage; jetzt wird im Gegentheil gesagt: es giebt zahllose Substanzen, aber nie mehr, nie weniger, nie neue. Nur die Bewegung würfelt sie immer neu durcheinander: daß aber die Bewegung eine Wahrheit und nicht ein Schein sei, bewies Anaxagoras aus der unbestreitbaren Succession unserer Vorstellungen im Denken, gegen Parmenides. Wir haben also auf die unmittelbarste Weise die Einsicht in die Wahrheit der Bewegung und der Succession, darin, daß wir denken und Vorstellungen haben. Also ist jedenfalls das starre, ruhende, todte eine Sein des Parmenides aus dem Wege geschafft, es giebt viele Seiende, ebenso sicher als alle diese vielen Seienden (Existenzen, Substanzen) in Bewegung sind. Veränderung ist Bewegung – aber woher stammt die Bewegung? Läßt vielleicht diese Bewegung das eigentliche Wesen jener vielen unabhängigen isolirten Substanzen gänzlich unberührt und muß sie nicht, nach dem strengsten Begriff des Seienden, ihnen an sich fremd sein? Oder gehört sie trotzdem den Dingen selbst an? Wir stehen an einer wichtigen Entscheidung: je nachdem wir uns wenden, werden wir auf das Gebiet des Anaxagoras oder des Empedokles oder des Demokrit treten. Die bedenkliche Frage muß aufgestellt werden: wenn es viele Substanzen giebt und diese vielen sich bewegen, was bewegt sie? Bewegen sie sich gegenseitig? Bewegt sie etwa nur die Schwerkraft? Oder giebt es magische Kräfte der Anziehung oder der Abstoßung in den Dingen selbst? Oder liegt der Anlaß der Bewegung außerhalb dieser vielen realen Substanzen? Oder strenger gefragt: wenn zwei Dinge eine Succession, eine gegenseitige Veränderung der Lage zeigen, kommt dies von ihnen selbst her? Und ist dies mechanisch oder magisch zu erklären? Oder, wenn dies nicht der Fall wäre, ist es etwas Drittes, was sie bewegt? Es ist ein schlimmes Problem: denn Parmenides hätte auch, selbst zugegeben, daß es viele Substanzen gäbe, doch immer noch die Unmöglichkeit der Bewegung, gegen Anaxagoras, beweisen können. Er konnte nämlich sagen: nehmt zwei an sich seiende Wesen, jedes mit durchaus verschiedenartigem, selbständig unbedingtem Sein – und solcher Art sind die anaxagorischen Substanzen –: nie können sie demnach auf einander stoßen, nie sich bewegen, nie sich anziehn, es giebt zwischen ihnen keine Kausalität, keine Brücke, sie berühren sich nicht, sie stören sich nicht, sie gehen sich nichts an. Der Stoß ist dann ganz ebenso unerklärlich wie die magische Anziehung; was sich unbedingt fremd ist, kann keine Art von Wirkung auf einander ausüben, also sich auch nicht bewegen, noch bewegen lassen. Parmenides würde sogar hinzugefügt haben: der einzige Ausweg, der euch bleibt, ist, den Dingen selbst Bewegung zuzuschreiben; dann ist aber doch alles Das, was ihr als Bewegung kennt und seht, nur eine Täuschung und nicht die wahre Bewegung, denn die einzige Art Bewegung, die jenen unbedingt eigenartigen Substanzen zukommen könnte, wäre nur eine selbsteigne Bewegung ohne jede Wirkung. Nun nehmt ihr aber gerade Bewegung an, um jene Wirkungen des Wechsels, der Verschiebung im Raume, der Veränderung, kurz die Causalitäten und Relationen der Dinge unter einander zu erklären. Gerade diese Wirkungen waren aber nicht erklärt und blieben so problematisch wie vorher; weshalb gar nicht abzusehn ist, wozu es nöthig wäre eine Bewegung anzunehmen, da sie gar nicht Das leistet, was ihr von ihr begehrt. Die Bewegung kommt dem Wesen der Dinge nicht zu und ist ihnen ewig fremd.
Sich über eine solche Argumentation hinwegzusetzen, wurden jene Gegner der eleatischen unbewegten Einheit durch ein aus der Sinnlichkeit stammendes Vorurtheil verführt. Es scheint so unwiderleglich, daß jedes wahrhaft Seiende ein raumfüllender Körper sei, ein Klumpen Materie, groß oder klein, aber jedenfalls räumlich ausgedehnt: so daß zwei und mehrere solcher Klumpen nicht in einem Raume sein können. Unter dieser Voraussetzung nahm Anaxagoras wie später Demokrit an daß sie sich stoßen müßten, wenn sie in ihren Bewegungen auf einander geriethen, daß sie sich den gleichen Raum streitig machen würden, und daß dieser Kampf eben alle Veränderung verursache. Mit andern Worten: jene ganz isolirten, durch und durch verschiedenartigen und ewig unveränderlichen Substanzen waren doch nicht absolut verschiedenartig gedacht, sondern hatten sämmtlich, außer einer specifischen, ganz besonderen Qualität, doch ein ganz und gar gleichartiges Substrat, ein Stück raumfüllender Materie. In der Theilnahme an der Materie standen sie Alle gleich und konnten deshalb auf einander wirken, d. h. sich stoßen. Überhaupt hieng alle Veränderung ganz und gar nicht ab von der Verschiedenartigkeit jener Substanzen, sondern von ihrer Gleichartigkeit, als Materie. Es liegt hier in den Annahmen des Anaxagoras ein logisches Versehen zu Grunde: denn das wahrhaft an sich Seiende muß gänzlich unbedingt und einheitlich sein, darf somit Nichts als seine Ursache voraussetzen – während alle jene anaxagorischen Substanzen doch noch ein Bedingendes, die Materie haben und deren Existenz bereits voraussetzen: die Substanz »Roth« zum Beispiel war für Anaxagoras eben nicht nur roth an sich, sondern außerdem, verschwiegenerweise, ein Stück qualitätenloser Materie. Nur mit dieser wirkte das »Roth an sich« auf andere Substanzen, nicht mit dem Rothen, sondern mit Dem, was nicht roth, nicht gefärbt, überhaupt nicht qualitativ bestimmt ist. Wäre das Roth als Roth streng genommen worden, als die eigentliche Substanz selbst, also ohne jenes Substrat, so würde Anaxagoras gewiß nicht gewagt haben, von einer Wirkung des Roth auf andre Substanzen zu reden, etwa gar mit der Wendung, daß das »Roth an sich« die vom »Fleischigen an sich« empfangene Bewegung durch Stoß weiterpflanze. Dann würde es klar sein, daß ein solches wahrhaft Seiendes nie bewegt werden könnte.
15.
Man muß auf die Gegner der Eleaten blicken, um die außerordentlichen Vorzüge in der Annahme des Parmenides zu würdigen. Welche Verlegenheiten – denen Parmenides entgangen war – erwarteten Anaxagoras und Alle, welche an eine Vielheit der Substanzen glaubten, bei der Frage: »wie viel Substanzen?« Anaxagoras machte den Sprung, schloß die Augen und sagte: »unendlich viele«: so war er wenigstens über den unglaublich mühseligen Nachweis einer bestimmten Anzahl von Elementarstoffen hinausgeflogen. Da diese unendlich vielen ohne Zuwachs und unverändert, seit Ewigkeiten existiren müßten, so war in jener Annahme der Widerspruch einer abgeschlossen und vollendet zu denkenden Unendlichkeit gegeben. Kurz, die Vielheit, die Bewegung, die Unendlichkeit, von Parmenides durch den staunenswürdigen Satz vom einen