Название | Die verlorene Handschrift |
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Автор произведения | Gustav Freytag |
Жанр | Зарубежная классика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
»Dort ist unser Haus,« sagte Ilse und zeigte über das Thal nach der Höhe, wo hinter den Obstbäumen des Gartens das Giebelhaus emporstieg. »Hier sind wir im Gebirge. Sie sehen, der Hof ist so nahe, daß man einen lauten Ruf von drüben bei stiller Luft hören kann.«
Aus dem Dämmerlicht der Höhle sahen die Freunde in das helle Licht des Tages, auf das Steinhaus und auf die Bäume, welche seinen Fuß umgrenzten. »Jetzt ist es still im Walde,« fuhr Ilse fort, »die Vögel sind fast alle verstummt, die kleinen fliegen am Rande des Holzes und suchen reifen Samen, denn ihr Hauswesen ist zu Ende, sie leben jetzt in der großen Gesellschaft. Auch die im Garten zahm waren, werden ausgelassen und kümmern sich wenig um den Menschen und sein Futter.«
»Dort rauscht es leise, wie gurgelndes Wasser,«sagte der Professor.
»Ein Quell fließt nebenbei über Steine herab,« erklärte Ilse. »Jetzt ist er schwach, aber im Frühjahr strömt vieles Wasser von dem Berge zusammen. Dann ist das Rauschen laut und der Bach im Thale fährt wild über die Steine; dann überdeckt er auch die Wiesen dort unten, er füllt den ganzen Grund und steigt bis an das Gebüsch. – Hier aber ist für uns alle in warmen Tagen ein lieber Aufenthalt. Als der Vater das Gut kaufte, war die Höhle verwachsen, der Eingang mit Steinen und Erde verschüttet und die Eulen wohnten darin. Und der Vater hat den Platz gesäubert.«
Der Professor trat neugierig in den Raum und schlug mit dem Stock an den röthlichen Felsen. Ilse sah ihn von der Seite an. Jetzt bekommt auch er das Suchen, dachte sie bekümmert. »Es ist alles altes Gestein,« sagte sie beruhigend.
Der Doctor war mit den Kindern um die Höhle herumgeklettert, er machte sich von Hans los, der ihm gerade anvertraute, daß er weiter unten in dichtem Erlengestrüpp das leere Nest einer Beutelmeise wisse.
»Das ist ein wundervoller Ort für die Sagen der Gegend,« rief er bewundernd, »es gibt keine schönere Heimat für die Geister des Thales.«
»Die Leute reden dummes Zeug davon,« entgegnete Ilse abweisend. »Hier sollen kleine Zwerge wohnen, und sie sagen, man kann ihre Fußtapfen im Sande erkennen, und Vater hat den Sand doch erst hineinfahren lassen. Aber die Leute fürchten sich doch, und wenn der Abend kommt, gehen die Frauen und Kinder der Arbeiter nicht gern vorüber. Uns aber verbergen sie’s, denn der Vater leidet den Aberglauben nicht.«
»Ich sehe, die Zwerge stehen hier nicht in Gunst,« erwiederte der Doctor.
»Da es keine gibt, soll man nicht daran glauben,« versetzte Ilse eifrig. »Unsre Leute möchten es wohl noch gern thun. Der Mensch soll an das glauben, was die Bibel lehrt, nicht an wildes Zeug, das, wie sie im Dorfe sagen, durch den Wald und die Nacht dahinfährt. Neulich war eine alte Frau im nächsten Dorfe krank, kein Mensch trug ihr Essen, recht häßlich haben sie sich über ihre Niederlage gefreut, weil sie meinten, das arme Weib könne sich in eine schwarze Katze verwandeln und dem Vieh schaden. Als wir es erfuhren, drohte der Frau die Gefahr, in Einsamkeit umzukommen. Und deshalb ist es häßliches Geschwätz.«
Der Doctor hatte sich unterdeß die Zwerge in der Brieftasche angemerkt, sah aber jetzt ohne Freude auf Ilse, die aus dem Hintergrund der Höhle sprach, in dem gebrochenen Scheine zwischen Fels und Licht selbst einem Sagenbilde ähnlich. »Der alte Scheich Abraham und der Gauner Jacob, der seinen blinden Vater mit dem Bocksfell an den Aermeln betrügt, sind ihr ganz recht, aber unser Schneewittchen gilt ihr für häßliches Zeug.« Er steckte die Brieftafel ein und ging mit Hans zur Behausung der Beutelmeise.
Der Professor hatte mit Ergötzen den stillen Aerger des Freundes beobachtet, aber Ilse wandte sich auch zu ihm: »Mich wundert, daß Ihr Freund solche Geschichten aufschreibt, das ist nicht gut, dergleichen muß in Vergessenheit kommen.«
»Sie wissen, daß er selbst nicht daran glaubt,« erwiederte der Professor entschuldigend, »was er aber darin findet, das sind nur alte Ueberlieferungen des Volkes. Denn diese Sagen sind in einer Zeit entstanden, wo noch unser ganzes Volk an diese Geister ebenso glaubte, wie jetzt an die Lehren der Bibel. Er sammelt solche Erinnerungen, um zu erkennen, wie Glaube und Poesie unserer Vorfahren war.«
Das Mädchen schwieg. »Das gehört also auch zu dem, was Sie heut Mittag von Ihrer Arbeit sagten,« begann sie nach einer Weile.
»Es gehört auch dazu.«
»Es hörte sich gut an,« fuhr Ilse fort, »denn Sie sprechen anders als wir. Sonst, wenn man von Einem sagte, er spricht wie gedruckt, meinte ich immer, es sei ein Vorwurf, aber es ist das richtige Wort,« setzte sie leiser hinzu, »und es macht Freude zu hören.« Dabei sah sie aus der Tiefe der Grotte mit ihren großen Augen auf den Gelehrten, der am Eingange stand, an den Stein gelehnt, hell von den Strahlen der Sonne beschienen.
»Es gibt aber auch sehr viele Bücher, welche schlecht schwatzen,« antwortete der Professor lachend, »und nichts ermüdet so sehr, als lange Buchweisheit aus lebendigem Munde.«
»Ja, ja,« bestätigte Ilse, »wir haben auch eine Bekannte, welche eine gelehrte Frau ist. Wenn die Frau Oberamtmann Rollmaus uns des Sonntags besucht, so setzt sie sich auf dem Sopha zurecht und greift mit einem Gespräch den Vater an. Der Vater mag sich winden, wie er will, um ihr zu entgehen, sie weiß ihn fest zu halten, über Engländer und Tscherkessen, über Kometen und die Dichter. Aber die Kinder sind dahinter gekommen, daß sie ein Lexikon für Conversation hat, daraus nimmt sie Alles. Und wenn sich in einem Lande etwas ereignet oder die Zeitung von etwas Lärm macht, so liest sie im Lexikon darüber nach. Wir haben dasselbe Buch angeschafft, und wenn ihr Besuch bevorsteht, so wird überlegt, welcher Name gerade an der Zeit ist. Dann schlagen die Kinder vorher am Sonnabend Abend diese Sache auf und lesen vor, was nicht gar zu lang ist. Und auch der Vater hört zu und sieht auch wohl noch selbst in das Buch. Und am andern Tage haben die Kinder ihre Freude daran, wenn der Vater die Frau Oberamtmann mit ihrem eigenen Buche überwindet. Denn unser Buch ist neuer, ihres ist schon alt und die neuen Begebenheiten stehen nicht darin, von diesen weiß sie wenig.«
»Also der Sonntag ist die Zeit, wo man hier Ehre einlegen könnte,« sagte der Professor.
»Im Winter sieht man sich auch manchmal in der Woche,« fuhr Ilse fort. »Aber es ist nicht viel Verkehr in der Umgegend. Und wenn einmal ein Besuch kommt, der uns gute Gedanken zurückläßt, so sind wir dankbar und wir bewahren sie in treuem Herzen.«
»Die besten Gedanken sind doch, welche dem Menschen aus seiner eigenen Thätigkeit aufsteigen,« sagte der Professor rücksichtsvoll. »Das Wenige, was ich von dem Gute hier gesehen, mahnt, wie schön das Leben gedeihen kann, auch wenn es weit von dem lauten Geräusch des Tages abliegt.«
»Das war ein freundliches Wort,« rief Ilse. »Und einsam ist es hier auch nicht, und wir kümmern uns auch um die Landsleute draußen und um die große Welt. Wenn die Herren Landwirthe zum Besuch kommen, wird nicht immer von der Wirthschaft gesprochen, und es fällt wohl etwas für uns jüngere ab. Und dann ist unser lieber Herr Pastor, der uns auch zuweilen aus der Fremde erzählt und mit uns zusammen die Zeitungen liest, welche der Vater hält. Und wenn darin zu Beiträgen für einen guten Zweck aufgefordert wird, dann sind die Kinder am schnellsten bei der Hand und jedes gibt sein Scherflein vom Ersparten, der Vater aber reichlich. Und Hans als der älteste sammelt und hat das Recht solches Geld einzupacken, und in den Brief setzt er die Anfangsbuchstaben eines Jeden, der dazu gegeben hat. Kommt dann später im Gedruckten eine Quittung, so sucht jedes zuerst seinen Buchstaben. Mehrmals war einer falsch gedruckt, dann sind die Kinder ärgerlich.«
Aus der Ferne hörte man Ruf und Lachen der Kinder, welche mit dem Doctor von ihrem Ausflug zurückkehrten. Das Mädchen erhob sich, der Professor trat zu ihr und sagte mit warmer Empfindung: »Sooft mir einst die Bilder dieses Tages lebendig werden, wird mein Herz voll Dank dieser Stunde gedenken, wo Sie zu einem Fremden so ehrlich über Ihr glückliches Leben gesprochen haben.«
Ilse sah ihn mit unschuldigem Vertrauen an. »Sie sind mir nicht fremd, ich sah Sie ja am Grabe des Kindes.«
Der fröhliche Schwarm schloß beide in die Mitte und zog weiter das Thal hinauf.
Es war Abend, als sie zum Hause zurückkehrten, wo der Landwirth sie bereits erwartete. Nach dem Abendbrot saßen die Erwachsenen noch eine Stunde zusammen. Die Fremden erzählten von ihrer Stadt und Neuigkeiten aus der Welt,