Der Weg ins Freie. Arthur Schnitzler

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Название Der Weg ins Freie
Автор произведения Arthur Schnitzler
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
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endgültig vorbei sein«, sagte Heinrich mit unverhältnismäßiger Bedrücktheit, und wie zum eigenen Trost fügte er hinzu: »Nun, man wird arbeiten.«

      Sie kamen in den Wurstelprater. Aus den Gasthäusern tönte Musik, und Georg teilte sich sofort etwas von der fröhlich-lauten Stimmung mit, in die er nun mit einem Male aus den Traurigkeiten eines herbstlichen Wirtshausgartens und einer etwas gequälten Unterhaltung geraten war.

      Vor einem Ringelspiel, aus dem ein riesiger Leierkasten phantastisch-orgelhaft ein Potpourri aus dem »Troubadour« ins Freie sandte und an dessen Eingang ein Ausrufer zur Reise nach London, Atzgersdorf und Australien aufforderte, erinnerte sich Georg wieder der Frühjahrspartie mit der Ehrenbergschen Gesellschaft. Auf dieser schmalen Bank, im Innern des Raumes, war Frau Oberberger gesessen, den Kavalier des Abends, Demeter Stanzides, zur Seite und hatte ihm wahrscheinlich eine ihrer unglaublichen Geschichten erzählt: daß ihre Mutter die Geliebte eines russischen Großfürsten gewesen; daß sie selbst mit einem Anbeter eine Nacht auf dem Hallstädter Friedhof verbracht, natürlich ohne daß etwas geschehen war; oder daß ihr Gatte, der berühmte Reisende, in einem Harem zu Smyrna in einer Woche siebzehn Frauen erobert hatte. In diesem rotsamtgepolsterten Wägelchen, mit Hofrat Wilt als Gegenüber, hatte Else gelehnt, damenhaft anmutig, ungefähr wie in einem Fiaker am Derbytag und hatte doch verstanden, durch Haltung und Miene zum Ausdruck zu bringen, daß sie, wenn es darauf ankäme, gerade so kindlich sein konnte wie andre einfältige, glücklichere Menschen. Anna Rosner, lässig die Zügel in der Hand, würdig, aber mit einem etwas verschmitzten Gesicht, ritt einen weißen Araber; Sissy wiegte sich auf einem Rappen, der sich nicht nur im Kreise mit den andern Tieren und Wagen drehte, sondern außerdem hin und herschaukelte. Unter der kühnen Frisur mit dem riesigen, schwarzen Federhut blitzten und lachten die frechsten Augen, über den ausgeschnittenen Lackschuhen und durchbrochenen Strümpfen flatterte und flog der weiße Rock. Auf zwei fremde Herren hatte Sissys Erscheinung so seltsam gewirkt, daß sie ihr eine unzweideutige Einladung zuriefen, worauf eine kurze, geheimnisvolle Unterhaltung zwischen Willy, der sofort zur Stelle war, und den zwei ziemlich betretenen Herren erfolgte, die anfangs durch das nonchalante Anzünden neuer Zigaretten ihre Position zu retten versuchten, aber dann plötzlich in der Menge verschwunden waren.

      Auch die Bude mit den »Illusionen« und Lichtbildern hatte für Georg ihre besondere Erinnerung. Hier, während Daphne sich in einen Baum verwandelte, hatte ihm Sissy ein leises »remember« ins Ohr geflüstert und ihm damit den Maskenball bei Ehrenbergs ins Gedächtnis gerufen, an dem sie, wohl nicht für ihn allein, den Spitzenschleier zu einem flüchtigen Kuß gelüftet hatte. Dann kam die Hütte, wo die ganze Gesellschaft sich hatte photographieren lassen: die drei jungen Mädchen, Anna, Else und Sissy in genienhafter Pose, die Herren mit himmelnden Augen ihnen zu Füßen, so daß das Ganze etwa ausgesehen hatte, wie die Apotheose aus einer Zauberposse. Und während Georg sich jener kleinen Erlebnisse entsann, schwebte ihm immer der heutige Abschied von Anna durch die Erinnerung und schien ihm von den angenehmsten Verheißungen erfüllt.

      Vor einer offenen Schießbude standen auffallend viel Leute. Bald war der Trommler ins Herz getroffen und wirbelte mit flinken Schlägen auf dem Fell, bald zersprang leise klirrend eine Glaskugel, die auf einem Wasserstrahl hin und her getanzt war, bald führte eine Marketenderin eiligst die Trompete zum Mund und blies drohend Appell, bald donnerte aus aufgesprungenem Tor eine kleine Eisenbahn, sauste über eine fliegende Brücke und wurde von einem andern Tor verschlungen. Da einige Zuschauer sich allmählich entfernten, rückten Georg und Heinrich vor und erkannten in den sichern Schützen Oskar Ehrenberg und seine Dame. Eben richtete Oskar das Gewehr auf einen Adler, der sich nahe der Decke mit ausgebreiteten Flügeln auf und ab bewegte, und fehlte zum erstenmal. Indigniert legte er die Waffe nieder, sah sich um, erblickte die beiden Herren hinter sich und begrüßte sie.

      Die junge Dame, das Gewehr an der Wange, warf einen flüchtigen Blick auf die Neuangekommenen, visierte gleich wieder angelegentlich und drückte ab. Der Adler ließ den getroffenen Flügel sinken und bewegte sich nicht mehr.

      »Bravo«, rief Oskar.

      Die Dame legte das Gewehr vor sich auf den Tisch hin.

      »Is genug«, sagte sie zu dem Jungen, der von neuem laden wollte, »g'wonnen hab ich eh.«

      »Wie viel Schuß warens?« fragte Oskar.

      »Vierzig«, antwortete der Junge, »macht achtzig Kreuzer. Oskar griff in die Westentasche, warf einen Silbergulden hin und nahm den Dank des Ladenjungen mit Herablassung entgegen. »Erlaube«, sagte er dann, indem er beide Hände in die Seiten stützte, den Oberkörper leicht nach vorn bewegte und den linken Fuß vorwärts setzte, »erlaube Amy, daß ich dir die Herren vorstelle, welche Zeugen deiner Triumphe waren. Baron Wergenthin, Herr von Bermann… Fräulein Amelie Reiter.«

      Die Herren lüfteten ihre Hüte, Amelie nickte zum Gegengruß ein paarmal hintereinander mit dem Kopf. Sie trug ein einfaches, weiß gemustertes Foulardkleid, darüber eine leichte Mantille von hellem Gelb mit Spitzen umsäumt und einen schwarzen, aber sehr vergnügten Hut. »Den Herrn von Bermann kenn ich ja«, sagte sie. Sie wandte sich an ihn: »Bei der Premiere von Ihrem Stück im vorigen Winter hab ich Sie gesehen, wie Sie herausgekommen sind sich verbeugen. Ich habe mich sehr gut unterhalten. Nicht, daß ich Ihnen das vielleicht aus Höflichkeit sag.«

      Heinrich dankte ernst.

      Sie spazierten weiter zwischen Buden, vor denen es stiller wurde, an Wirtshausgärten vorbei, die sich allmählich leerten.

      Oskar schob seinen rechten Arm in den linken seiner Begleiterin, dann wandte er sich an Georg: »Warum sind Sie denn heuer nicht auf dem Auhof gewesen? Wir haben alle sehr bedauert.«

      »Ich war leider in wenig geselliger Stimmung.«

      »Natürlich, kann ich mir denken«, sagte Oskar mit dem gebotenen Ernst. »Ich war übrigens auch nur ein paar Wochen dort. Im August hab ich meine müden Glieder in den Wogen der Nordsee gestärkt, ich war nämlich auf der Isle of Wight.«

      »Dort soll es ja sehr schön sein«, sagte Georg, »wer geht denn nur immer hin?«

      »Die Wyners, meinen Sie«, erwiderte Oskar. »Wenigstens wie sie noch in London gelebt haben, sind sie regelmäßig dort gewesen. Jetzt nur mehr alle zwei, drei Jahre.«

      »Aber das Ypsilon haben sie auch für Österreich beibehalten«, sagte Georg lächelnd.

      Oskar blieb ernst. »Der alte Herr Wyner«, erwiderte er »hat sich sein Recht auf das Ypsilon ehrlich erworben. Er ist schon in seinem dreizehnten Jahr nach England gekommen, hat sich dort naturalisieren lassen und als ganz junger Mensch ist er Kompagnon der großen Stahlfabrik geworden, die jetzt noch immer Black und Wyner heißt.«

      »Aber seine Frau hat er sich doch aus Wien geholt?«

      »Ja. Und wie er vor sieben oder acht Jahren gestorben ist, ist sie mit den zwei Kindern hierher übersiedelt. Aber James wird sich hier nie eingewöhnen… der Lord Antinous, Sie wissen ja, daß Frau Oberberger ihn so nennt. Jetzt ist er wieder in Cambridge, wo er seltsamerweise griechische Philologie studiert. Im übrigen ist auch Demeter ein paar Tage in Ventnor gewesen.«

      »Stanzides?« ergänzte Georg.

      »Kennen Sie den Herrn von Stanzides, Herr Baron?« fragte Amy.

      »Jawohl.«

      »Also existiert er richtig«, rief sie aus.

      »Ja aber hörst du«, sagte Oskar. »Heuer im Frühjahr hat sie in der Freudenau auf ihn gesetzt und hat eine Masse Geld gewonnen, und jetzt fragt sie, ob er existiert.«

      »Warum zweifeln Sie denn an der Existenz von Stanzides, Fräulein?« fragte Georg.

      »Ja wissen Sie, alleweil, wenn ich nicht weiß, wo er is, der Oskar, heißts: ich hab ein Rendezvous mit'n Stanzides, oder: ich reit mit'n Stanzides in' Prater. Stanzides hin, Stanzides her, es klingt mehr wie eine Ausred, als wie ein Nam.«

      »Jetzt schweig aber endlich einmal still«, sagte Oskar mild.

      »Stanzides existiert nicht nur«, erklärte Georg, »sondern er hat den schönsten, schwarzen Schnurrbart und die glühendsten schwarzen Augen, die es überhaupt gibt.«

      »Das is schon möglich, aber wie ich ihn g'sehn hab, hat