Название | November |
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Автор произведения | Гюстав Флобер |
Жанр | Зарубежная классика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
Nach solchen Krisen tat sich das Leben wieder von neuem in dem ewigen Einerlei seiner Stunden auf, die schwinden, und seiner Tage, die wiederkehren. Ich erwartete den Abend mit Ungeduld, ich rechnete aus, wieviel Zeit mir noch bis zum Ende des Monats blieb, ich wünschte die kommende Jahreszeit herbei, ich sah ein holderes Dasein lächeln. Manchmal wollte ich mich mit Wissenschaften und Gedanken betäuben, um diesen bleischweren Mantel abzuschütteln, der auf meinen Schultern lastete; wollte arbeiten, lesen. Ich schlug ein Buch auf, dann ein zweites, dann zehn hintereinander, und ohne zwei Zeilen aus einem einzigen gelesen zu haben, warf ich sie mit Widerwillen fort und versank von neuem in den Schlummer derselben Langeweile.
Was in dieser Welt anfangen? Wovon träumen? Was beginnen? Sagt es mir doch, ihr, denen das Leben gefällt, die ihr ein Ziel habt und euch für etwas quält!
Ich fand nichts, das meiner würdig gewesen wäre, wie ich ebenso nichts fand, wozu ich mich eignete. Arbeiten, alles einer Idee opfern, einem Ehrgeiz, einem elenden trivialen Ehrgeiz? Einen Platz einnehmen und einen Namen haben? Und dann? Wozu das alles? Und schließlich liebte ich den Ruhm nicht, selbst der rauschendste hätte mich nicht befriedigt, weil er niemals meinem Herzen etwas gewesen wäre.
Ich bin geboren mit dem Wunsche nach dem Tode. Nichts schien mir dümmer als das Leben, und nichts schmachvoller, als daran zu hängen. Gleich den Menschen meiner Zeit bin ich ohne Religion aufgewachsen und kannte weder das dürre Glück der Atheisten noch die sorglose Ironie der Skeptiker. Ich bin zuweilen, ohne Zweifel aus Laune, in eine Kirche eingetreten, um die Orgel zu hören und die kleinen steinernen Statuen in ihren Nischen zu betrachten. Bis zum Dogma drang ich nicht vor; ich fühlte mich ganz als Nachkomme Voltaires.
Ich sah die anderen Menschen leben, doch ein anderes Leben als das meinige. Diese glaubten, jene leugneten, andere zweifelten, noch andere wollten von alledem nichts wissen und gingen ihren Geschäften nach, das heißt, sie verkauften in ihren Läden, schrieben Bücher oder schrien von ihrem Lehrstuhl herab. Das war nun die sogenannte Menschheit, ein ruheloser Anblick von Schurken, Feiglingen, Idioten und Häßlichen. Und ich war in der Menge, wie eine losgerissene Alge im Ozean, zwischen zahllosen Wogen, die rollten, mich umdrängten und umbrausten.
Ich hätte Kaiser sein mögen wegen der absoluten Gewalt, wegen der Menge der Sklaven, wegen der vor Begeisterung zitternden Armeen. Ich hätte Weib sein mögen um der Schönheit willen, um mich selbst zu bewundern, mich in meiner Nacktheit zu sehen, mein Haar bis auf die Füße herabfallen zu lassen und mein Spiegelbild im Strom zu betrachten. Ich verlor mich nach Herzenslust in endlose Träumereien, ich wohnte in der Phantasie herrlichen, antiken Festen bei, war indischer König und ritt auf einem weißen Elefanten zur Jagd, sah jonische Tänze, vernahm auf den Stufen eines Tempels den Wellenschlag des griechischen Meeres, hörte die Nachtwinde in den Oleanderbüschen meiner Gärten, floh mit Kleopatra auf meiner antiken Galeere. Ach, wie töricht war das alles! Fluch der Ährenleserin, die ihr Tagewerk liegen läßt und den Kopf hebt, um die Kutschen auf der Landstraße vorbeifahren zu sehen! Wenn sie sich wieder an die Arbeit macht, wird sie von Kaschmirschals und der Liebe eines Prinzen träumen: sie wird keine Ähre mehr finden und ohne Garbe heimkommen.
Besser wäre gewesen, es wie alle Welt zu machen: das Leben weder zu ernst noch zu grotesk zu nehmen, einen Beruf zu wählen und auszuüben, seinen Teil vom allgemeinen Kucken zu empfangen und ihn zu verzehren in dem Glauben, daß er gut sei; besser, als den traurigen Weg zu verfolgen, den ich ganz allein zurückgelegt habe. Dann würde ich nicht hier sitzen und dies schreiben, oder es wäre eine andere Geschichte geworden. Je weiter ich komme, desto mehr verschwimmt sie für mich, wie die Fernsichten, die man aus zu großer Weite sieht. Denn alles vergeht, auch die Erinnerung an unsere heißesten Tränen, an unser fröhlichstes Lachen. Das Auge trocknet schnell, und der Mund legt sich wieder in seine alten Falten. Heute erinnere ich mich aus jener Zeit nur noch eines langen Ekels, der mehrere Winter gedauert hat, Winter, die ich mit Gähnen verbracht habe und dem Wunsche, mein Leben sei zu Ende.
Vielleicht hat dies alles mich glauben gemacht, ich sei ein Dichter; kein Leiden hat mich verschont, wie ihr seht! Ja, es schien mir früher, als hätte ich Genie. Ich ging, den Kopf voll prächtiger Gedanken; der Stil floß aus meiner Feder, wie das Blut durch meine Adern. Bei der leisesten Berührung mit dem Schönen stieg eine reine Melodie in mir auf, gleich den Stimmen der Luft, jenen Tönen, die der Wind bildet und die aus den Bergen kommen. Die menschlichen Leidenschaften würden wunderbar erklungen sein, wenn ich sie berührt hätte. Ich trug fertige Dramen in mir herum, die voll von wilden Szenen und ungekannten Schrecken waren. Vom Kinde in der Wiege bis zum Toten im Sarge tönte die Menschheit mit all ihrem Widerhall in mir. Zuweilen durchzuckten riesenhafte Gedanken plötzlich meinen Geist, wie jene großen stummen Blitze zur Sommerzeit, die eine ganze Stadt bis in alle Einzelheiten ihrer Gebäude, Straßen und Winkel erleuchten. Ich war erschüttert, geblendet; doch wenn ich bei andern dieselben Gedanken, sogar ihrer Form nach, wiederfand, die mir aufgestiegen waren, verfiel ich plötzlich in eine abgrundlose Entmutigung. Ich hatte mich für ihresgleichen gehalten, und war nur ihr Nachahmer gewesen! Vom Rausch des Genies stürzte ich wieder in das trostlose Gefühl der Mittelmäßigkeit, mit der ganzen Wut entthronter Könige und den Qualen der Schmach. An gewissen Tagen hätte ich geschworen, für die Poesie geboren zu sein. Zu anderen Zeiten erschien ich mir fast dumm. Und während ich so immer von der Höhe in die Tiefe herabstürzte, war und blieb ich schließlich elend wie die Leute, die bald reich, bald arm im Leben sind.
In jenen Zeiten war es mir jeden Morgen beim Erwachen, als müsse an diesem Tage irgendein bedeutsames Ereignis eintreten. Mein Herz war von Hoffnung geschwellt, als erwartete ich eine Ladung Glück aus fernen Landen. Doch wenn der Tag vorrückte, verlor ich allen Mut; besonders in der Dämmerung empfand ich deutlich, daß nichts kommen würde. Endlich brach die Nacht an, und ich legte mich schlafen.
Zwischen der Natur und mir stellte sich eine traurige Gleichgestimmtheit ein. Wie zog sich mein Herz zusammen, wenn der Wind durch die Schlüssellöcher pfiff, wenn die Laternen ihren Schein über den Schnee warfen und wenn ich die Hunde den Mond anbellen hörte!
Ich sah nichts, woran ich mich hätte halten können, weder Welt noch Einsamkeit, weder Poesie noch Wissenschaft, weder Gottlosigkeit noch Glaube. Ich irrte dazwischen umher wie die Seelen, von denen die Hölle nichts wissen will und die das Paradies zurückstößt. Da kreuzte ich die Arme und betrachtete mich als tot; ich war nur noch eine in meinem Schmerz einbalsamierte Mumie. Das Verhängnis, das seit meiner Kindheit auf mir gelastet hatte, schien sich mir über die ganze Welt zu breiten. Ich sah es in allen menschlichen Handlungen, ebenso weit reichend wie das Sonnenlicht auf dem Antlitz der Erde. Es wurde mir zu einer grausen Gottheit, die ich anbetete, wie die Inder den wandelnden Koloß anbeten, der über ihre Leiber zieht. Ich gefiel mir in meinem Kummer, ich tat nichts mehr, ihm zu entgehen. Ja, ich kostete ihn voll aus mit der verzweifelten Freude eines Kranken, der an seiner Wunde kratzt und lacht, wenn er Blut an den Nägeln sieht.
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