Название | Das Bildnis des Dorian Gray |
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Автор произведения | Wilde Oscar |
Жанр | Зарубежная классика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
„Für Sie würde ich jede andere Verabredung im Stich lassen, Frau Herzogin“, sagte Lord Henry, sich verbeugend.
„Ah! Das ist sehr nett und sehr abscheulich von Ihnen“, rief sie; „vergessen Sie also nicht zu kommen“, und sie rauschte aus dem Zimmer, von Lady Agatha und den anderen Damen begleitet.
Als sich Lord Henry wieder gesetzt hatte, kam Herr Erskine zu ihm, zog seinen Stuhl ganz nahe zu ihm hin und legte die Hand auf seinen Arm.
„Sie reden wie ein Buch“, sagte er; „warum schreiben Sie keins?“
„Ich lese Bücher viel zu gerne, als daß ich Lust hätte, eins zu schreiben, Herr Erskine. Gewiß möchte ich manchmal einen Roman schreiben, der so entzückend und ebenso unwirklich sein müßte wie ein persischer Teppich. Aber in England gibt es ja kein literarisches Publikum außer für Zeitungen, Katechismen und Konversationslexika. Von allen Völkern des Erdballs haben die Engländer den am wenigsten entwickelten Sinn für die Schönheit der Literatur.“
„Ich fürchte, Sie haben recht“, antwortete Herr Erskine. „Ich selbst habe einstmals literarischen Ehrgeiz gehabt, aber ich habe ihn längst abgelegt. Und nun, mein lieber junger Freund, wenn Sie mir erlauben wollen, Sie so zu nennen, darf ich Sie fragen, ob Sie wirklich alles im Ernst meinten, was Sie uns bei Tisch gesagt haben?“
„Ich habe ganz vergessen, was ich gesagt habe“, antwortete Lord Henry lächelnd. „Es war wohl sehr toll?“
„Allerdings, sehr toll! Ich glaube wirklich, daß Sie ein äußerst gefährlicher Mensch sind, und wenn unserer guten Herzogin irgend etwas zustößt, so werden wir alle Sie in erster Linie dafür verantwortlich machen. Aber ich würde mit Ihnen gern einmal länger über das Leben debattieren. Die Generation, in die ich hineingeboren wurde, war sehr langweilig. Wenn Sie mal londonmüde sind, kommen Sie doch nach Treadley und setzen Sie mir da Ihre Philosophie des Genusses auseinander bei einem ganz köstlichen Burgunder, den zu besitzen ich so glücklich bin.“
„Das wird mir ein großes Vergnügen sein. Ein Besuch in Treadley ist ein großer Vorzug. Es hat einen vollkommenen Wirt und eine vollkommene Bibliothek.“
„Die mit Ihnen vollständig werden wird“, antwortete der alte Herr mit einer höflichen Verbeugung. „Und jetzt muß ich Ihrer trefflichen Tante adieu sagen. Ich muß ins Athenäum. Es ist die Stunde, wo wir dort schlafen.“
„Sie alle, Herr Erskine?“
„Vierzig von uns in vierzig Klubsesseln. Wir üben uns für eine Akademie anglaise.“
Lord Henry lachte und stand auf. „Ich gehe in den Park!“ rief er aus.
Als er durch den Türrahmen schritt, berührte ihn Dorian Gray am Arm. „Erlauben Sie mir, mitzukommen“, flüsterte er.
„Aber ich dachte, Sie haben Basil Hallward versprochen, ihn zu besuchen“, wandte Lord Henry ein.
„Ich möchte lieber mit Ihnen gehen; ja ich fühle, ich muß mit Ihnen mitkommen. Bitte, erlauben Sie es. Und versprechen Sie mir, die ganze Zeit zu erzählen? Niemand spricht so entzückend wie Sie.“
„Ah! Ich habe für heute gerade genug geredet“, sagte Lord Henry und lächelte. „Alles, was ich jetzt möchte, ist, das Leben zu beschauen. Sie können mitkommen und mitanschauen, wenn Sie wollen.“
Viertes Kapitel
Eines Nachmittags, einen Monat später, saß Dorian Gray zurückgelehnt in einem schwellenden Sessel der kleinen Bibliothek in Lord Henrys Hause in Mayfair. Es war in seiner Art ein allerliebster Raum, bis hoch hinauf mit olivenfarbigem Eichenholz getäfelt, mit einem cremefarbigen Deckenfries und mit Stuckverzierungen und mit einem ziegelfarbigen Filzteppich, der in langen Seidenfransen auslief. Auf einem niedlichen Tischchen aus Satinholz stand eine Figur von Clodion, und daneben lag eine Ausgabe der Cent Nouvelles, die für Margarete von Valois von Clovis Eve eingebunden und mit goldenen Gänseblümchen verziert war, wie sie die Königin auf ihr Wappenzeichen gewählt hatte. Auf dem Kaminsims standen ein paar große blaue Porzellanvasen mit Papageientulpen, und durch die schmalen, bleigerahmten Rautenfelder der Fenster drang das aprikosenfarbene Licht eines Londoner Sommertages.
Lord Henry war noch nicht nach Hause gekommen. Er kam grundsätzlich zu spät, da sein Grundsatz war, Pünktlichkeit stehle einem die Zeit. Daher sah der junge Mann etwas gelangweilt aus, als er mit lässigen Fingern die Seiten einer reichillustrierten Ausgabe von Manon Lescaut durchblätterte, die er in einem der Bücherschränke gefunden hatte. Das abgemessene gleichförmige Ticktack der Louis-Quatorze-Uhr machte ihn nervös. Ein- oder zweimal machte er schon Miene, wegzugehen.
Endlich hörte er draußen einen Schritt und die Tür öffnete sich. „Wie spät du kommst, Harry!“ sagte er leisen Vorwurfs.
„Zu meinem Bedauern ist es nicht Harry, Herr Gray“, antwortete eine schrille Stimme.
Er sah sich rasch um und sprang auf die Füße.
„Ich bitte um Entschuldigung, ich glaubte – “
„Sie glaubten, es sei mein Mann. Es ist nur seine Frau. Ich muß mich schon selbst vorstellen. Ich kenne Sie aus Ihren Photographien ganz gut. Ich glaube, mein Mann hat ihrer siebzehn.“
„Nicht siebzehn, Lady Henry.“
„Schön, also achtzehn. Und dann habe ich Sie gestern abend mit ihm in der Oper gesehen.“ Während sie sprach, lachte sie nervös und beobachtete ihn mit ihren verschwommenen Vergißmeinnichtaugen. Sie war eine absonderliche Frau, deren Kleider immer so aussahen, als wären sie in einem Wutanfall gezeichnet und während eines Gewitters angezogen worden. Sie war gewöhnlich in irgend jemand verliebt, und da ihre Leidenschaft nie erwidert wurde, hatte sie sich alle ihre Illusionen bewahrt. Sie machte den Versuch, malerisch zu erscheinen, aber es gelang ihr nur, unordentlich auszusehen. Sie hieß Viktoria und hatte eine krankhafte Leidenschaft, in die Kirche zu laufen.
„Das war im Lohengrin, Lady Henry, nicht wahr?“
„Ja, es war bei dem entzückenden Lohengrin. Ich liebe Wagners Musik mehr als die irgendeines anderen. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß die Nachbarn hören, was man sagt. Das ist ein dankenswerter Vorteil. Meinen Sie nicht auch, Herr Gray?“
Über ihre dünnen Lippen kam wieder das nervöse Stakkatolachen, und ihre Finger begannen mit einem langen Papiermesser aus Schildkrot zu spielen.
Dorian schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich bedaure, Lady Henry, das ist nicht meine Meinung. Ich unterhalte mich nie, während man spielt – wenigstens nicht, wenn es gute Musik ist. Wenn man schlechte Musik hört, ist man freilich verpflichtet, sie durch ein Gespräch zu ertränken.“
„Ah, das ist eine von Harrys Sentenzen, nicht wahr, Herr Gray? Ich bekomme Harrys Ansichten immer von seinen Freunden zu hören. Das ist die einzige Art, wie ich sie überhaupt erfahre. Aber Sie dürfen nicht glauben, daß ich nicht auch gute Musik liebe. Ich vergöttere sie, aber ich fürchte mich vor ihr. Sie macht mich zu romantisch. Ich habe Klavierspieler geradezu angebetet – manchmal zwei auf einmal, versichert Harry. Ich weiß nicht, was es für eine Bewandtnis mit ihnen hat. Vielleicht rührt es daher, daß sie Ausländer sind. Das sind sie doch alle, nicht wahr? Selbst die in England Geborenen werden nach einiger Zeit Ausländer, nicht wahr? Es ist sehr gescheit von ihnen und für die Kunst sehr vorteilhaft. Das macht sie zu Kosmopoliten, nicht wahr? Sie waren nie auf einer meiner Gesellschaften, Herr Gray. Sie müssen einmal kommen. Ich kann mir zwar keine Orchideen leisten, aber ich scheue in der Anschaffung von Ausländern keine Ausgabe. Sie geben dem Hause ein so pittoreskes Aussehen. Aber da ist Harry. – Harry, ich kam her, um dich zu suchen, um dich etwas zu fragen – ich habe ganz vergessen, was – und ich habe Herrn Gray hier getroffen. Wir haben so entzückend über Musik gesprochen. Unsere Ansichten darüber sind die gleichen. Nein, ich glaube, unsere Ansichten darüber sind ganz