Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich

Читать онлайн.
Название Eine Mutter
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Зарубежная классика
Серия
Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
isbn



Скачать книгу

Haßburg und der eine Thurm des Domes sichtbar wurden.

      In dem Wiesenthale selber, bald dicht am Ufer des kleinen Flusses, bald mitten darin, lagen zerstreute Gruppen von Birken, knorrigen Eichen, Linden und Blutbuchen, als ob sie der Zufall dort hätte keimen lassen. In der That aber waren sie künstlich angelegt und gepflegt, und dienten auch nur dazu, um der ganzen Gegend etwas Parkähnliches zu geben, ohne ihr jedoch den Charakter ihrer ursprünglichen Natürlichkeit zu nehmen.

      Der ganze District war auch in der That nur ein erweiterter Theil des unmittelbar an das Schloß stoßenden Gartens, und ein schmaler, aber gut gehaltener und mit Kies überstreuter Fahr- und Reitweg lief, den Windungen des Wassers folgend, auf das Schloß zu. Das Ganze wurde durch einen leichten, grün angestrichenen Drahtzaun eingeschlossen, der aber von Weitem gar nicht sichtbar war und dadurch dem Parke nur noch mehr das Ansehen einer freien Landschaft ließ.

      Menschen waren nirgends zu erkennen, nur unten am Fluß, wo das Hochwasser die Uferbank so ausgewaschen hatte, daß die das Erdreich zusammenhaltenden Wurzeln einer uralten Erle fast eine Art von Dach bildeten, kauerte ein Mensch neben einem hier durch die Strömung gewühlten Wasserloch und angelte.

      Ob er ein Recht dazu hatte? Es schien kaum so, denn Alles verrieth weit eher, daß er sich hier auf verbotenem Grund oder doch jedenfalls bei einer verbotenen Beschäftigung befand. Er benutzte eine höchst sinnreich so gefertigte Angelruthe, daß sie, wenn er sie zusammenschob, genau in seinen alten Eichstock paßte und durch die unten angeschraubte Zwinge dann vollkommen abgeschlossen und versteckt wurde, und hatte dabei eine alte, abgenutzte, lederne Jagdtasche umgehängt, in welcher auch jedenfalls sein übriges Angelgeräth stak, denn draußen war nichts weiter davon zu bemerken.

      Der ganze Bursche sah überhaupt alt und abgenutzt aus. Er trug einen fadenscheinigen, grauen Rock mit fettigem Kragen, alte lederne Gamaschen und derbe Schuhe, auf dem Kopfe eine abgegriffene, graue Mütze, und eine baumwollene Weste, wie sie die ärmsten Bauern zu tragen pflegen. Er schien dabei auch nicht mehr jung; das unter der Mütze hervorquellende Haar war, wenn nicht ganz weiß, doch stark gesprenkelt. Nur der kleine, struppige Schnurrbart, der nicht zu seinem Vortheil Spuren von Schnupftabak zeigte, war völlig weiß, was sich leider nicht von seiner Wäsche sagen ließ, und trotzdem sah der Mensch aus, als ob er schon einmal bessere Tage gesehen hätte, mochte er jetzt auch noch so arg heruntergekommen sein. Seine Stirn war hoch und gewölbt, und das kleine, graue, lebendige Auge konnte, wenn es nicht scheu umherblickte, oft recht trotzig unter den buschigen Brauen hervorleuchten.

      In seiner, ob nun hier erlaubten oder verbotenen Kunst schien er übrigens gar nicht so ungeschickt, denn in der kurzen dort verbrachten Zeit hatte er schon zwei mehr als halbpfündige Forellen aus dem fischreichen Strom herausgeworfen, ihnen dann augenblicklich mit einem alten, abgenutzten, aber haarscharfen Genickfänger den Kopf durchstochen und sie, also abgeschlachtet, in seinen Ranzen geschoben.

      Übrigens zeigte er wenig Furcht bei seiner Beschäftigung, so versteckt er sie auch trieb; er qualmte aus einer kleinen, kurzen Pfeife mit einem Maserkopf und einer Spitze, die jedem andern Menschen das Rauchen hätte für Lebenszeit verleiden können, und hob nur selten einmal und nur dann, wenn er wieder einen Fisch gefangen, den Kopf, um über den Wiesenrand in den Park hinaus zu sehen. Aber er hatte auch einen Wächter.

      Oben unter der Erle saß ein kleiner Spitz, so alt und ruppig und grau gesprenkelt wie sein Herr, ein Auge geschlossen, als ob er auf der Seite schliefe, während das andere aufmerksam bald da, bald dort hinüberflog, und so regungslos, als ob er zu den Wurzeln, zwischen denen er kauerte, gehörte. Der alte Fischer war auch völlig unbesorgt, denn er wußte recht gut, daß ihm das kleine pfiffige Thier das Nahen irgend eines Menschen augenblicklich anzeigen würde – war es doch darauf dressirt.

      Übrigens hatte der Alte ein Recht, sich hier im Park aufzuhalten, denn sein angebliches Geschäft war, die Maulwürfe aus den Wiesen wegzufangen, worin er eine ganz besondere Geschicklichkeit besaß. Auch in der Gegend, in welcher er seit etwa drei Jahren sein Wesen trieb, war er bekannt genug, und das Volk nannte ihn kurzweg den »Maulwurfsfänger«. Sodann führte er auch Gift für Ratten und Mäuse bei sich, wußte Mittel gegen jedes andere Ungeziefer, und die Bauern in der Umgegend ließen es sich außerdem nicht nehmen, daß er »mehr verstehe, als Brod essen«, das heißt, daß er auch mit übernatürlichen Dingen Gemeinschaft pflege und in einer Anzahl von »schwarzen Künsten« erfahren sei, die er, wenn er wolle, sowohl zum Nutzen wie zum Schaden seiner Mitmenschen benutzen könne.

      Der gräfliche Revierförster, welcher den Maulwurfsfänger vielleicht schon deshalb haßte, weil ihn dieser immer spöttisch »Herr College« nannte, kam der Sache jedenfalls näher, wenn er den Menschen für einen ganz durchtriebenen Burschen hielt, der sich eben so wenig ein Gewissen daraus gemacht hätte, eine Schlinge für einen Maulwurf wie für einen Hasen oder für ein Reh zu legen; wenigstens hatte er schon einige von diesen angetroffen, ohne aber je dem Thäter auf die Spur zu kommen. War es der »alte Fritz«, wie der Bursche in der Nachbarschaft allgemein mit seinem Vornamen hieß, wirklich gewesen, so wußte er es viel zu schlau anzustellen, als sich von einem der Beamten erwischen zu lassen, und da man ihm in der That keine ungesetzliche Handlung nachweisen konnte, gab Graf Monford, dem diese Besitzung gehörte, auch dem Drängen seines Försters nicht nach, dem verdächtigen Gesellen das Betreten des herrschaftlichen Bodens zu verbieten. Er solle nur ordentlich aufpassen, erwiderte er stets dem Förster, und wenn er ihn je einmal ertappe, sei es noch immer Zeit ihn fortzujagen, früher nicht.

      Eine Stunde mochte der Mann etwa so unter der alten Erle gesessen und geangelt haben, und hatte eben wieder einen starken Fisch herausgebracht, als der Spitz oben leise knurrte.

      »Bravo, mein Hundchen,« lachte der Alte vor sich hin, »und gerade zur rechten Zeit, denn dem Platz hier muß ich doch jetzt ein paar Tage Ruhe geben.«

      Mit diesen Worten schlachtete er seine zappelnde Beute ab, schob sie zu den Übrigen in den Ranzen, vertilgte dann rasch soviel als möglich alle Spuren, die da unten seine Beschäftigung hätten verrathen können, und richtete sich vorsichtig in die Höhe. Er brauchte auch nicht lange umher zu suchen, von welcher Seite Jemand nahe, denn der Kopf seines klugen Hundes gab ihm dafür die genaue Richtung an, und dort hinüber sehend, erkannte er bald, daß er von diesem Störenfried nichts zu fürchten habe.

      Es war ein sehr elegant, fast etwas auffällig gekleideter Herr, eine Persönlichkeit wie aus einem Modejournal herausgeschnitten, mit sorgfältig gepflegten Locken, kleinem, sehr zierlichem Schnurrbart, Glanzstiefeln, kurz Allem, was dazu gehört. Was sich aber nicht gehörte, war, daß er nicht auf dem Wege her, wo die Thür lag, sondern quer über die Wiese kam, also jedenfalls über den Drahtzaun gestiegen sein mußte. Eben so wenig schien er auf einem gleichgültigen Spaziergang begriffen, sondern weit eher Jemanden zu suchen oder zu erwarten. Dem schlauen Maulwurfsfänger konnte es wenigstens nicht entgehen, daß er sich vorsichtig nach allen Seiten umsah und seine Richtung so über die Wiese nahm, um fortwährend durch die Büsche und Baumgruppen gegen einen Blick von den oberen Schloßfenstern gedeckt zu bleiben.

      »Spitz, komm 'runter,« flüsterte der Alte jetzt seinem Hunde zu, denn er hatte seinen Plan geändert, das Versteck zu verlassen, und schien vor der Hand einmal abwarten zu wollen, was der fremde Herr hier im Schilde führe. Möglich auch, daß er selber nicht von ihm gesehen zu werden und deshalb nur noch seine Zeit abzupassen wünschte, um ihn erst hinter die eine oder die andere Baumgruppe zu lassen – und doch war wohl hier nur sehr wenig Gefahr vorhanden, daß der feine Stutzer ihn verrathen oder selbst nur ahnen konnte, was er da getrieben.

      Der Spitz gehorchte übrigens augenblicklich. Wie ein Fuchs drückte er sich auf den Boden und kroch dicht an den Wurzeln der Erle hin bis hinter den Stamm, von wo er auf das unmittelbare Flußufer hinabsprang. Hier allerdings schnüffelte er erst einmal nach den, wenn auch vertilgten Blutspuren der abgeschlachteten Fische hin; dann drehte er sich ein paar Mal im Sande herum, bis er die richtige Stellung gefunden hatte, und legte sich zusammengerollt ruhig nieder. Er wußte, daß seine Dienste vor der Hand nicht weiter in Anspruch genommen wurden.

      Der Maulwurfsfänger hatte indessen, ohne weitere Notiz von seinem Hund zu nehmen – das Kinn auf die zusammengestellten Fäuste gestützt – die Bewegungen des Nahenden über die Uferbank hin eine ganze Weile beobachtet. Er wußte dabei recht gut, daß er selber nicht gesehen werden konnte, denn