Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich

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Название Eine Mutter
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
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betrat er deshalb auch nie das Nachbarzimmer mit seiner Pfeife – wenigstens nie, wenn die Fenster geschlossen waren. An warmen Sommertagen, wenn diese weit geöffnet standen, kam er aber doch auch manchmal einen Moment »als Schornstein«, wie er es selber nannte, hinüber, blies den Qualm ein paar Minuten dort in's Freie hinaus und kehrte dann in sein »Rauchnest« zurück – oftmals, ohne auch nur eine einzige Silbe gesprochen zu haben. Heute Morgen war er in besonders schlechter Laune, denn die zahlreichen Musikbanden, von denen manchmal zwei zu gleicher Zeit verschiedene Melodien unter seinem Fenster bliesen, hatten jedes Memoriren unmöglich gemacht. Was half es ihm, daß er die Fenster fest verschlossen hielt und die Rouleaux selbst herunter ließ, um so wenig als möglich von dem Treiben da unten zu hören und zu sehen! Die schrillen Töne drangen doch hindurch, und der Tabaksqualm wurde zuletzt so dicht und arg, daß er es selber nicht mehr darin aushalten konnte.

      Mit einem halb verbissenen Fluche zog er die Rouleaux wieder in die Höhe, stieß die Fensterflügel auf und ging dann, sein Zimmer auch durch die geöffnete Thür lüftend, einen Augenblick zu seiner Schwester hinüber, wo er an eins der weitgeöffneten Fenster trat.

      »Du kannst wohl heute bei dem Lärm nicht arbeiten, Onkel?« fragte ihn das junge Mädchen, das in einfach bürgerlicher, fast etwas dürftiger Tracht an einem kleinen Tisch am Fenster saß und künstliche Blumen zusammenstellte. Sie sah ihm wohl an, daß er mürrisch und verdrießlich war, konnte aber in solchen Fällen noch immer am besten mit ihm auskommen.

      »Arbeiten,« knurrte Pfeffer an seiner Pfeifenspitze vorbei und schoß erst eine Anzahl von Rauchringeln in die blaue, sonnige Luft hinaus – »arbeiten, bei dem Skandal? Es ist ordentlich, als ob sie Einem das Gehirn auseinander trieben. Das halte ich auch nicht länger aus. Gott straf' mich, morgen kündige ich das verwünschte Logis und ziehe an's andere Ende der Stadt! Lieber doch oben auf einem Thurm und eine Meile vom Theater wohnen, als hier in diesem Sodom und Gomorrha!«

      Henriette lächelte leise vor sich hin, denn den nämlichen Entschluß faßte der Onkel an jedem solchen Markt, hütete sich aber wohl, ihn je auszuführen; denn die Wohnung lag ihm selber viel zu bequem und nahe beim Theater, um sie leichtsinnig aufzugeben. Er war eben verdrießlich heute, und da mußte man ihn austoben lassen; er wurde auch schon von selber wieder gut.

      Jetzt freilich leuchtete sein Gesicht wie eine Wetterwolke mit seinen finster zusammengezogenen Brauen, die Stirn in tiefen Falten und einen Ausdruck in den Zügen, als ob er die Welt hätte vergiften können. Da plötzlich, als ob eine Garbe von Leuchtkugeln die dunkle Nacht erhellt, nahm er die Pfeife aus dem Munde – sein Gesicht strahlte von Freundlichkeit, und mit einer tiefen Verbeugung und dem verbindlichsten Lächeln vom Fenster aus Jemanden grüßend, der gerade unten vorbeiging, sagte er mit seiner wohlwollendsten Miene: »Daß Du den Hals brächest, Du verdammter schiefbeiniger Halunke Du – Du Leuteschinder – empfehle mich Ihnen gehorsamst!«

      »Wer geht denn da vorbei?« sagte seine Schwester, eine Frau vielleicht hoch in den Dreißigen, aber ein liebes, freundliches, matronenhaftes Wesen, die leidend schien und auf dem Sopha lag.

      »Der Herr Director,« lächelte Henriette.

      »Wie der Schuft die Beine spreizt,« sagte Pfeffer, der wieder seine alte, finstere Miene angenommen hatte, sobald der Director von unten nicht mehr heraufsah – »breitspuriger Musenkutscher – grüßt auch noch, der – Heuchler!«

      »Ach, Onkel, sieh nur, was da für reizende Kinder in der Equipage sitzen!« rief Henriette, die von ihrer Arbeit aufgeblickt, während Pfeffer noch immer giftig seinem Vorgesetzten oder Chef nachschaute. »Das sind gewiß Fremde, denn ich erinnere mich nicht, sie schon hier gesehen zu haben.«

      Unten vor dem Fenster fuhr in diesem Augenblick ganz langsam, da die Pferde in dem Menschengewühl nur im Schritt gehen konnten, eine leichte, sehr elegante Equipage vorüber. Ein Kutscher in Livrée führte sie, und im Fond derselben saßen ein Herr und eine Dame in Reisekleidern, während auf dem Rücksitz ein junges Mädchen – wahrscheinlich die Bonne – die größte Mühe hatte, zwei allerliebste Kinder, einen Knaben von etwa vier und ein kleines Mädchen von vielleicht drittehalb Jahren, ruhig auf ihren Sitzen zu halten. Und das schien in der That kein kleines Stück Arbeit, denn das lebendige Pärchen entdeckte in der neuen, regen Umgebung eine solche Menge von Merkwürdigkeiten, daß sie mit den kurzen Ärmchen nur immer da- und dorthin deuteten und Vater und Mutter das gerade Bemerkte auf frischer That auch zeigen, ja, am liebsten hinaus und näher hinan wollten.

      Die Eltern aber, die dem sie umwogenden Treiben kaum einen Blick schenkten, lächelten über die fröhliche Unruhe der Kinder und mußten nur selber mit beschwichtigen und ermahnen helfen, um ihren unruhigen Eifer zu zügeln.

      »Ja, das sind Fremde,« sagte Pfeffer, der einen mürrischen Blick nach der bezeichneten Richtung hinunterwarf; »es wimmelt ja von denen jetzt in Haßburg – vornehmes Pack – hochnasige Gesellschaft – was kümmern die uns!«

      »Was das für eine reizende Frau ist und was für wundervolle Haare sie hat!« fuhr Jettchen fort.

      »Ja, wie Deine Tante, Fräulein Bassini – ein ächter Goldfuchs – wie nur ein Mensch an rothen Haaren Freude finden kann.«

      »Aber sie sind doch nicht roth, Onkel – es ist das herrlichste Goldblond, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.«

      »Goldblond,« brummte Pfeffer verächtlich vor sich hin – »Rothfuchs – was Du für einen Begriff von goldblond hast.«

      »Du bist einmal verdrießlich heute, Onkel,« lächelte Henriette, »und in der Stimmung hättest Du selbst am Himmelsblau 'was auszusetzen.«

      »Hätt' ich?« brummte Pfeffer und qualmte stärker – »was die Jungfer Naseweis nicht Alles bemerkt. – Das da unten sind auch ein paar goldblonde Pferde, nicht wahr?«

      »Das ist die Equipage des reichen Monford,« sagte Jettchen, die wieder einen Blick hinausgeworfen hatte, aber zugleich auch, verlegen erröthend, ohne daß der Onkel jedoch etwas davon bemerkte, nach unten irgend Jemanden dankend grüßte.

      »Die wälzen sich ordentlich in Gold,« sagte Pfeffer – »Herr Gott, ist das nun Gerechtigkeit? Das Volk weiß nicht, wie es die Tausende, nur um sie los zu werden, zum Fenster hinauswerfen soll, und bei uns langt's manchmal knapp zu Kartoffeln und Häringen!«

      »Und wer weiß, ob sie so glücklich sind, wie wir!«

      »Glücklich – was sollte denen an ihrem Glück fehlen? Alles, was sich ein Mensch nur möglicher Weise wünschen kann, wenn er recht unverschämt ist, haben sie: eine große, reiche Familie, Sohn und Tochter, gesund und vornehm – bah, geh mir mit den Redensarten, die sich recht hübsch von der Kanzel herunter oder auf dem Theater ausnehmen: »Reichthum macht nicht glücklich« – aber im wirklichen Leben – alle Teufel,« unterbrach er sich plötzlich und nahm rasch die Pfeife aus dem Mund, »schnüffelt da unten nicht schon wieder unser siebenundzwanzigster Liebhaber, unser Herr Rebe mit seinem classischen Vornamen herum? Horatius Rebe – Horatius Cocles – jedenfalls Geschwisterkind mit einander – daß Dich die Milz sticht!«

      »Aber, bester Onkel,« lächelte Henriette, dabei doch etwas verlegen und jedenfalls mehr erröthend, als eigentlich nöthig gewesen wäre – »was kann denn ein Mensch für seinen Vornamen? Er hat ihn sich doch nicht selber gegeben.«

      »Unsinn, selber gegeben – natürlich hat er ihn sich nicht selber gegeben, sondern irgend ein eben so verrückter Pathe; aber er kann ihn doch zum Teufel werfen, sowie er nur einmal so viel Verstand hat, um eine Nachtmütze von einer Lichtscheere zu unterscheiden!« rief der Onkel, der heute wirklich entschlossen schien, sich über Alles zu ärgern. – »Horatius – Horatius! Jeder anständige Mensch auf der Welt hat doch wenigstens zwei oder drei verschiedene Vornamen, von denen er berechtigt ist, sich den auszuwählen, der ihm am besten gefällt. Warum thut er das nicht auch? – aber denkt gar nicht dran. Wahrscheinlich ist er auch noch stolz auf seinen Horatius; daß Dich der Henker hole – ich wollte Dich behoratiussen, wenn Du mein Sohn wärest!«

      »Aber, Onkelchen,« lachte Henriette still vor sich hin, »wenn Dir nun seine anderen Namen auch nicht besser gefielen, wie der da?«

      »Ach, Schnack,« rief Pfeffer, »und was weißt Du überhaupt von seinen anderen