Название | Nach Amerika! Ein Volksbuch. Sechster Band |
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Автор произведения | Gerstäcker Friedrich |
Жанр | Зарубежная классика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
So kam der Abend heran; dieser Tag war mehr eine Vorbereitung zu der morgenden Schlacht gewesen, die Mr. Hottenbrocken dem Teufel und seinen Helfershelfern angekündigt hatte; seine »Krieger,« wie er die Frommen und Gläubigen nannte, waren gerüstet und geweiht worden zu dem schweren Kampf, und die nächste Sonne sollte ihre untergehenden Strahlen auf die Streiter werfen, die mit der Glorie des Herrn siegreich aus Kampf und Ringen hervorgegangen wären.
Maulbeere verlangte mehr als das zu wissen, und Jack Owen schien ihm nicht der rechte Mann dazu, denn er hatte, soviel der Scheerenschleifer bis jetzt davon gemerkt, keine Freude an der ganzen Sache, war auch in der That nur herübergekommen, weil er die Frauen nicht zu Hause halten konnte, und nicht allein ziehn lassen wollte. Frauen sind überhaupt in den meisten Fällen weit besser zu Hause, als bei solchen Campmeetings aufgehoben.
Unter den hierhergekommenen Andächtigen befand sich eine Familie, die Maulbeere's Aufmerksamkeit schon von allem Anfang durch das viele Kochgeschirr und die zahlreichen Proviantkisten auf sich gezogen, die sie bei sich führten. Der Mann, wie er sich indessen erkundigt hatte, war Kirchenältester, und ein großer Gönner Mr. Hottenbrockens, der oft acht und vierzehn Tage auf seiner Durchreise bei ihm blieb, und allabendlich in seiner Familie predigte. Diesem introducirte sich Maulbeere noch vor dem Abendessen, enthüllte ihm den Eindruck, den die Predigt heute Nachmittag auf ihn gemacht hatte, und bat ihn um die Lebensgeschichte des langen Mannes, der eine so fabelhafte Rednergabe, mit solchem Feuereifer und solcher Gluth der Sprache vom lieben Herrgott und heiligen Geist empfangen habe.
Der Kirchenälteste nahm ihn freundlich auf; Maulbeere mußte sich mit zu seinem Feuer setzen und mit ihnen essen, und erzählte ihnen dafür seine Lebensgeschichte mit einer Phantasie, die seinen alten Schiffsgefährten Theobald glücklich gemacht haben würde, und auch hier ihre Wirkung nicht verfehlte. Er erfuhr dafür Alles was er wissen wollte – daß nämlich nicht etwa ein langes Studium erforderlich sei, mit begabter Zunge zu reden, sondern daß solche, die der heilige Geist als Begünstigte ausersehen, oft von den niedrigsten Handwerken, aus dem sündhaftesten Lebenswandel heraus, zu der hohen Würde eines Seelenhirten sich emporgeschwungen hätten, und Lichter geworden wären, ihren Mitbrüdern und Schwestern auf dem schmalen dornigen Pfad der Tugend voranzuleuchten. Nicht einmal ein Examen war dabei erforderlich; es bedurfte eben weiter Nichts, als der hohen natürlichen Begeisterung, die, für einen monatlichen Gehalt aus einer der frommen Stiftungen und Vereine, ihr leibliches Wohl vollkommen in die Schanze schlug, und die Arbeit aufnahm im Weinberge des Herrn. Schwer war freilich ihre Aufgabe dabei, sie hatten nicht allein gegen die sündhaften Ungläubigen, sondern auch gegen den Antichrist wie eine Menge anderer Sekten anzukämpfen, aber das Ziel war glorreich – sie mußten endlich siegen, der Herr war mit ihnen, und die Schlange blutete mit zertretenem Haupte unter ihren Hacken.
Das etwa war der Sinn der Rede, die der Kirchenälteste dem mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zuhorchenden Zachäus Maulbeere hielt, und wie dieser spät am Abend, wo sich die Mehrzahl der hier Gelagerten zur Ruhe begeben, seinen Karren zu seinem neuen Beschützer heranschob, und dann in das laut gehaltene Nachtgebet inbrünstig mit einstimmte, schien ein ganz anderer Geist in den sonst so rohen, profanen Menschen gefahren zu sein. Die Anderen hatten sich längst wieder erhoben, und er kniete immer noch eine Weile allein in still versunkenem Gebet, legte sich dann, in seine Decke gewickelt die er vorn an den Karren geschnallt mit sich führte, ohne mit irgend Jemandem ein Wort weiter zu wechseln, auf den ihm angewiesenen Platz unter ein weit gespanntes Leinwandzelt, und war bald sanft und ruhig – ein etwas lautes Schnarchen abgerechnet – eingeschlafen.
Am anderen Morgen begannen die Predigten ungemein früh, und Maulbeere hätte heute keine Zeit bekommen seine Geschicklichkeit zu verwerthen, selbst wenn er es gewollt; er dachte aber gar nicht daran, saß gleich vom Morgengrauen in den vordersten Reihen der Gläubigen, und schien sich wirklich nur zufällig gerade zur Frühstückszeit an dem Feuer des Kirchenältesten wieder einzufinden. Dieser aber hatte seine innige Freude an dem Mann, der, wie er nicht ganz mit Unrecht meinte, innerlich und äußerlich einer ordentlichen Reorganisation bedürfe, und die nur allein durch das Wort Gottes erhalten könne. Übrigens sei es ein erfreuliches Zeichen auch unter den Deutschen, die sonst nicht in dem Rufe ständen, viel wirkliche Religiosität zu haben, Einzelne zu finden, die eine rühmliche Ausnahme davon machten.
Zum Frühstück trat eine Pause ein, da die Geistlichen selber, zu ihrem heutigen harten Kampfe, einer Stärkung bedurften, und es war für Maulbeere ein rührendes Bild, und eine Quelle tiefen Nachdenkens, zu sehn, wie sich die Brüder, in Liebe und Freundschaft darum stritten, die ehrwürdigen Herren an ihrem Frühstückstisch bewirthen zu dürfen, wo ihnen dann das Beste aufgetafelt wurde, was die Küche aus Wald und Strom und Farmhof nur zu liefern vermochte.
Gleich nach dem Frühstück begann die Predigt wieder, die aber bis zum Mittagessen wenig Erquickliches bot; es war ein Mischmasch von den allergewöhnlichsten Phrasen, in der allergewöhnlichsten Art vorgetragen; entweder konnten die Leute nichts Besseres liefern, oder sie versparten sich den vollen Eindruck auf den Nachmittag und Abend, wo die Zuhörer überhaupt mehr aufgeregt und für das Übernatürliche mehr empfänglich sind. Maulbeere nichtsdestoweniger hielt gewissenhaft aus; Manche seiner Nachbarn und Nachbarinnen, die auch entsetzlich in ihrer Andacht durch seinen alten grünen und wie glasirten Rock gestört worden waren, schliefen sanft; Maulbeere wachte, und verwandte kein Auge von dem Redenden.
Mittag kam, und so sehr sich die Amerikaner vor einem unreinlichen Menschen scheuen, hatte Maulbeeres Andacht doch besonders die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich gezogen; er war auch fremd hier, und konnte nicht ohne Nahrungsmittel gelassen werden. Maulbeere bekam drei Einladungen an verschiedene Feuer, die er alle drei annahm, und mit geschickter Zeiteintheilung auch verwerthete. Nach Tisch und einer kurzen Ruhezeit, mit der etwa drei Uhr Nachmittags heranrückte, begann die Predigt auf's Neue – jetzt aber mit einem andern Geist.
Der Reverend Mr. Sweetlip machte heute Nachmittag den Anfang, und die Versammlung, als ob die Leute schon eine Ahnung gehabt hätten, wie der Geist heute wirken würde, war zahlreicher als je; Maulbeere aber saß in den vordersten Reihen.
Mit weicher, schmelzender Stimme begann der ehrwürdige Mr. Sweetlip seinen aufmerksam lauschenden Zuhörern die Orte auf dieser Erde zu schildern, wo den armen schwachen Menschen Verführung umlauere, ihn von der Bahn des Guten abzulocken; und dabei zeigte er ihnen den Lohn, den sie auf dieser Welt schon für ein gottgefälliges Leben, aber auch viel größer noch in einer anderen Welt, zu erwarten hätten: in dieser Welt durch ihr ruhiges, zufriedenes Gewissen, das ihnen die Brust mit einer unendlichen Wollust und Seligkeit fülle (und er selber führte sich dabei zum Beispiel auf, wie er, seit er sein Herz dem Himmel zugewandt, in einem wahren Meer von Wonne schwimme) und in jener, wo Gott und der Heiland ihnen ein beneidenswerthes Loos bereiten würde, so sie hier den sündigen irdischen Lüsten widerstünden, und ihre Augen nur nach dem richteten was Gottes wäre. Auch hierbei ließ er sich in eine nähere und mehr bildliche Beschreibung dieser einstigen Seligkeit, wie er sie sich dachte, ein, und schilderte seinen Zuhörern mit immer glühender und lebendiger werdenden Farben das Paradies, wo sie von Ewigkeit zu Ewigkeit oben im Kreis der Engel in den Wolken sitzen, und Hallelujah singen würden.
Maulbeere sah sich rasch nach seiner Nachbarin zur Linken um, denn diese fing plötzlich an zu stöhnen, schloß die Augen, warf den Kopf herüber und hinüber, und gebehrdete sich etwa so, als ob sie einen Anfall von Krämpfen erwartete. Der Scheerenschleifer dachte auch an seine kleine Hausapotheke die er in dem Karren mit sich führte, an Salmiakgeist und Hofmann'sche Tropfen, Einreibungen von Senfspiritus und andere entsetzliche Mittel; ehe er aber noch zu einem rechten Entschluß kommen konnte, begann seine Nachbarin zur Rechten ebenfalls, ähnliche Töne auszustoßen und überall vor und hinter ihm, und rechts und links, fing es an zu ächzen und zu stöhnen und die Ausrufe – »Oh Loooord – glory – glory – happy – happy – blessed Jesus!« wurden nach allen Seiten hin laut, und kamen in Gestalt von gewissermaßen gewaltsam ausgestoßenen Seufzern zu Tage. Nur erst mit dem Schluß der Predigt, die in einem langen Gebet endigte, beruhigten sich die Andächtigen, und die Frauen hielten ihre Taschentücher vor die Augen und weinten, als ob ihnen das größte Herzeleid in der Welt geschehen und nicht die einstige Seligkeit geschildert wäre.
Lautloses Schweigen